»Geh zurück!«, hatte er gesagt. »Hier gibt es nichts für dich! Nichts als Gefahr.«
»Gibt es hier wirklich nichts für mich?«, hatte ich gefragt. Zu sehr Ehrenmann, um etwas zu sagen, hatte er mir auch ohne Worte geantwortet, und ich hatte meine Wahl getroffen.
»Es war zu spät«, sagte ich und senkte den Blick auf meine Hände, die offen auf meinen Knien lagen. Regenwolken verdunkelten den Tag, doch meine beiden Eheringe glänzten im schwindenden Licht, Gold und Silber. Ich hatte Franks Goldring nicht von meiner linken Hand gezogen, als ich Jamie geheiratet hatte, sondern Jamies Silberring am Ringfinger meiner rechten Hand getragen, jeden Tag, seit er ihn mir vor über zwanzig Jahren angesteckt hatte.
»Ich habe Frank geliebt«, sagte ich leise, ohne Brianna anzusehen. »Sehr sogar. Aber zu diesem Zeitpunkt war Jamie mein Herz und die Luft, die mein Körper atmete. Ich konnte ihn nicht verlassen. Ich konnte es nicht«, sagte ich und hob plötzlich den Kopf, um an Brianna zu appellieren. Sie starrte mich versteinert an.
Ich senkte den Blick erneut auf meine Hände und fuhr fort.
»Er hat mich zum Haus seiner Familie gebracht – Lallybroch hieß es. Es war wunderschön dort.« Wieder schloss ich die Augen, um vor Briannas Miene zu entfliehen, und beschwor das Bild des Anwesens von Broch Tuarach vor meinem inneren Auge herauf – Lallybroch für die Menschen, die dort lebten. Ein Highlandhof mit Wäldern und Bächen und sogar etwas Ackerland – eine Seltenheit in den Highlands. Ein friedvoller Ort, abgeschieden hinter einem Pass inmitten hoher Berge, die es von den Unruhen fernhielten, die immer wieder in den Highlands aufflammten. Doch selbst Lallybroch hatte sich nur als vorübergehende Zuflucht erwiesen.
»Jamie war vogelfrei«, sagte ich, und hinter meinen geschlossenen Augenlidern sah ich die Peitschennarben, die die Engländer auf seinem Rücken hinterlassen hatten. Ein Netz aus dünnen weißen Linien, die seine breiten Schultern wie ein eingebranntes Gitter überzogen. »Sie hatten Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Einer seiner eigenen Pächter hat ihn an die Engländer verraten. Sie haben ihn festgenommen und ihn in das Gefängnis von Wentworth gebracht – um ihn zu hängen.«
Roger stieß einen gedehnten, leisen Pfiff aus.
»Beeindruckender Bau«, sagte er. »Hast du ihn einmal gesehen? Die Mauern müssen drei Meter dick sein!«
Ich öffnete die Augen. »Das sind sie auch«, sagte ich ironisch. »Ich bin in ihrem Inneren gewesen. Aber selbst die dicksten Mauern haben Tore.« Ich spürte einen leisen Hauch des verzweifelten Muts, der mich in das Gefängnis von Wentworth geführt hatte, um mein Herz zu finden. Wenn ich das für dich tun konnte, sagte ich lautlos zu Jamie, kann ich das hier auch. Aber hilf mir doch, du verdammter Schotte – hilf mir!
»Ich habe ihn befreit«, sagte ich und holte tief Luft. »Das, was von ihm übrig war. Jack Randall hat die Garnison in Wentworth befehligt.« Lieber hätte ich mich nicht an die Bilder erinnert, die meine Worte jetzt zurückholten, doch sie verschwanden nicht. Jamie, nackt und blutüberströmt auf dem Fußboden von Eldridge Manor, wo wir Zuflucht gefunden hatten.
»Ich werde nicht zulassen, dass sie mich wieder mitnehmen, Sassenach«, hatte er zu mir gesagt, die Zähne fest zusammengebissen vor Schmerz, während ich die zermalmten Knochen seiner Hand richtete und seine Wunden säuberte. »Sassenach.« So hatte er mich von Anfang an genannt, das schottische Wort für Fremde. Engländer. Erst im Scherz, dann voll Zuneigung.
Und ich hatte es nicht dazu kommen lassen, dass sie ihn fanden; mit der Hilfe seines Verwandten, eines schmächtigen Schotten namens Murtagh, hatte ich ihn über die Nordsee nach Frankreich gebracht. Dort hatten wir in der Abtei Ste. Anne de Beaupré Unterschlupf gefunden, wo einer seiner Fraser-Onkel Abt war. Doch als wir dort in Sicherheit waren, hatte ich festgestellt, dass meine Aufgabe nicht damit endete, ihm das Leben zu retten.
Was Jack Randall ihm angetan hatte, war in seine Seele gesunken, so wie die Enden der Peitsche in seinen Rücken gesunken waren, und die Narben, die es dort hinterlassen hatte, waren nicht minder dauerhaft. Bis heute war ich mir nicht sicher, was ich getan hatte, als ich seine Dämonen heraufbeschworen und in der Finsternis seiner Gedanken mit bloßen Händen gegen sie gekämpft hatte; manchmal ist in der Heilkunst der Unterschied zwischen Medizin und Magie nicht groß.
Wieder spürte ich den kalten, harten Stein, gegen den ich geprallt war, und die Kraft, die mir Jamies Rage gegeben hatte, die Hände, die sich um meinen Hals schlossen, und die brennende Kreatur, die in der Dunkelheit Jagd auf mich gemacht hatte.
»Aber ich habe ihn geheilt«, sagte ich leise. »Er ist zu mir zurückgekommen.«
Brianna schüttelte langsam den Kopf, zwar verwirrt, aber mit dieser sturen Haltung, die ich wirklich sehr gut kannte. »Grahams sind dumm, Campbells sind Betrüger, MacKenzies sind bezaubernd, aber gerissen, und Frasers sind stur«, hatte mir Jamie einmal die allgemeinen Charaktermerkmale der Clans beschrieben. Er hatte gar nicht so unrecht gehabt; Frasers waren extrem stur – nicht zuletzt er selbst. Oder Brianna.
»Ich glaube das nicht«, sagte sie tonlos. Sie richtete sich im Sitzen auf und betrachtete mich genau. »Ich glaube, dass du zu viel über diese Männer aus Culloden nachgedacht hast«, sagte sie. »Du hast schließlich einiges hinter dir, und vielleicht hat Papas Tod …«
»Frank war nicht dein Vater«, sagte ich unverblümt.
»Doch!«, gab sie so blitzartig zurück, dass es uns beide erschreckte.
Frank hatte sich irgendwann in das Beharren der Ärzte ergeben, dass jeder Versuch, mich »zu zwingen, die Realität zu akzeptieren«, wie es einer von ihnen formulierte, meine Schwangerschaft in Gefahr bringen konnte. Auf den Fluren war viel gemurmelt worden – und hin und wieder auch geschrien –, doch er hatte es aufgegeben, mich nach der Wahrheit zu fragen. Und ich hatte es in meiner Erschöpfung und Verzweiflung aufgegeben, sie ihm zu erzählen.
Diesmal würde ich nicht aufgeben.
»Ich habe es Frank versprochen«, sagte ich. »Vor zwanzig Jahren, nach deiner Geburt. Ich habe versucht, ihn zu verlassen, aber er wollte mich nicht gehen lassen. Er hat dich geliebt.« Ich spürte, wie meine Stimme sanfter wurde, als ich Brianna ansah. »Er konnte die Wahrheit nicht glauben, aber er wusste – natürlich –, dass er nicht dein Vater war. Er hat mich gebeten, es dir nicht zu sagen – ihn deinen einzigen Vater sein zu lassen –, solange er am Leben war. Danach, hat er gesagt, wäre es meine Entscheidung.« Ich schluckte und leckte mir die trockenen Lippen.
»Ich war ihm das schuldig«, sagte ich. »Weil er dich geliebt hat. Doch jetzt ist Frank tot – und du hast ein Recht darauf zu erfahren, wer du bist. Wenn du es bezweifelst, geh in die Nationalgalerie. Dort hängt ein Bild von Ellen MacKenzie, Jamies Mutter. Sie trägt das hier.« Ich berührte die Perlenkette an meinem Hals. Süßwasserperlen aus schottischen Flüssen, durchflochten mit kleinen Goldkügelchen. »Jamie hat sie mir an unserem Hochzeitstag geschenkt.«
Ich betrachtete Brianna, die aufrecht und stocksteif dasaß und deren Gesichtsknochen sich vor lauter Protest deutlich abzeichneten. »Nimm einen Handspiegel mit«, sagte ich. »Wirf einen genauen Blick erst auf das Porträt und dann in den Spiegel. Es ist dir zwar nicht exakt aus dem Gesicht geschnitten, aber du bist deiner Großmutter sehr ähnlich.«
Roger starrte Brianna an, als hätte er sie noch nie gesehen. Er ließ den Blick zwischen uns hin- und herschweifen, als müsste er einen Entschluss fassen, dann richtete er sich plötzlich auf und erhob sich von dem Sofa, auf dem er neben ihr gesessen hatte.
»Ich habe da etwas, was du, glaube ich, sehen solltest«, sagte er entschlossen. Er ging eilig zu dem alten Sekretär des Reverends hinüber und zog ein Bündel vergilbter Zeitungsausschnitte aus einem der kleinen Fächer, das mit einem Gummi zusammengerollt war.