»Was ist denn, mein Herz?«, flüsterte ich. »Jamie, ich liebe dich doch.«
»Ich weiß«, sagte er leise. »Ich weiß es, Geliebte. Lass mich dir im Schlaf erzählen, wie sehr ich dich liebe. Denn wenn du wach bist, kann ich nur stets dieselben armseligen Worte sagen. Wenn du in meinen Armen schläfst, kann ich Dinge zu dir sagen, die im Wachen töricht und albern wären, und deine Träume werden wissen, dass die wahr sind. Schlaf wieder ein, a nighean donn.«
Ich wandte meinen Kopf so weit zu ihm um, dass meine Lippen seine Kehle berührten, dort, wo sein Puls langsam unter der kleinen dreieckigen Narbe schlug. Dann legte ich den Kopf an seine Brust und gab meine Träume in seine Hand.
Kapitel 46
Timor Mortis Conturbat Me
Überall trafen wir auf Männer und ihre Spuren, während wir der Highland-Armee auf ihrem Rückzug nach Norden folgten. Wir überholten kleine Gruppen von Männern, die zu Fuß unterwegs waren und hartnäckig einen Fuß vor den anderen setzten, die Köpfe gesenkt zum Schutz vor dem windigen Regen. Andere lagen in den Gräben und unter den Hecken, zu erschöpft zum Weitergehen. Ausrüstung und Waffen waren unterwegs zurückgeblieben; hier lag ein Wagen umgestürzt am Boden, die Mehlsäcke aufgeplatzt und von der Nässe ruiniert, dort standen zwei kleine Kalverinen unter einem Baum, und ihre Rohre glänzten schwarz im Schatten.
Das Wetter war seit unserem Aufbruch schlecht und hatte uns immer wieder aufgehalten. Es war der 13. April, und ich ritt und ging mit einem fortwährenden, nagenden Gefühl des Grauens im Herzen voran. Lord George und die Clanführer, der Prinz und seine wichtigsten Berater – sie alle weilten im Culloden House, so hatte es uns einer der MacDonalds erzählt, dem wir unterwegs begegneten. Viel mehr als das wusste er nicht, und wir hielten ihn nicht länger auf; der Mann stolperte in den Nebel davon wie ein Zombie. Die Rationen waren schon knapp gewesen, als ich in die Hände der Engländer gefallen war; inzwischen hatte sich die Lage sichtlich zum Schlimmeren gewendet. Die Männer, die wir sahen, bewegten sich langsam voran, und viele von ihnen konnten vor Erschöpfung und Hunger nur noch stolpern. Doch sie marschierten hartnäckig nordwärts, um dem Befehl ihres Prinzen zu folgen. Marschierten auf den Ort zu, den die Schotten Drumossie nannten. Nach Culloden.
Einmal wurde die Straße zu schlecht für die armen Ponys. Wir würden sie am Rand eines kleines Wäldchens entlang durch die frühlingsnasse Heide führen müssen, bis die Straße eine halbe Meile weiter wieder passierbar wurde.
»Es geht schneller, wenn du durch den Wald gehst«, sagte Jamie zu mir und nahm mir die Zügel aus der tauben Hand. Er wies kopfnickend auf den kleinen Hain aus Kiefern und Eichen, wo der süße, kühle Duft der nassen Blätter vom nassen Boden aufstieg. »Geh dort entlang, Sassenach, wir treffen uns auf der anderen Seite wieder.«
Ich war zu müde, um ihm zu widersprechen. Einen Fuß vor den anderen zu setzen, war ziemlich anstrengend, und auf der glatten Schicht aus Laub und Kiefernnadeln würde es zweifellos leichter gehen als in der sumpfigen, trügerischen Heide.
Es war still im Wald, wo das Geäst der Kiefern das Heulen des Windes dämpfte und der Regen leise auf die ledrigen Eichenblätter fiel, die selbst durchfeuchtet noch am Boden raschelten.
Er lag nur ein paar Meter vom Rand des Wäldchens entfernt neben einem großen grauen Felsen. Die hellgrünen Flechten auf dem Stein hatten dieselbe Farbe wie sein Tartan, dessen Braun sich mit dem Laub vermischte, das ihn zur Hälfte zugeweht hatte. Er schien so sehr zum Wald zu gehören, dass ich womöglich über ihn gestolpert wäre, wenn mich der leuchtend blaue Fleck nicht aufgehalten hätte.
Samtweich breitete ihm der seltsame Pilz seinen Mantel über die nackten, kalten, weißen Glieder. Er zeichnete die Konturen der Knochen und Sehnen nach und ließ kleine zitternde Wedel sprießen wie die Gräser und Bäume eines Waldes, die in unfruchtbares Land eindringen.
Es war ein elektrisches, kräftiges Blau, feindselig und fremd. Ich hatte das Phänomen noch nie gesehen, doch ich hatte davon gehört, von einem alten Soldaten, den ich gepflegt hatte und der in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs gekämpft hatte.
»Wir haben es die Totenkerze genannt«, hatte er mir erzählt. »Blau, leuchtend blau. Man sieht es nur auf Schlachtfeldern – auf den Toten.« Er hatte zu mir aufgeblickt, die alten Augen fragend unter dem weißen Verband.
»Ich habe mich schon immer gefragt, wo es wohl zwischen den Kriegen lebt.«
In der Luft vielleicht, dachte ich, wo seine unsichtbaren Sporen darauf warteten, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Die Farbe war gleißend und fremd, leuchtend wie die Isatis, mit der sich die Vorfahren dieses Mannes die Gesichter bemalt hatten, ehe sie in den Krieg zogen.
Ein Windhauch streifte durch den Wald und raufte dem Mann die Haare. Sie hoben sich seidig und wie lebendig. Hinter mir knirschte es im Laub, und ich fuhr mit einem Ruck aus der Trance auf, in der ich die Leiche betrachtet hatte.
Jamie stand neben mir und blickte zu Boden. Er sagte nichts, sondern nahm mich nur beim Ellbogen und führte mich aus dem Wald. Den Toten ließen wir zurück, eingehüllt in die Saprophytenfarbe des Krieges und seiner Opfer.
Es war der Vormittag des 15. April, als wir Culloden House erreichten, nachdem wir uns und unsere Ponys gnadenlos zum Äußersten getrieben hatten, um bis hier zu kommen. Wir näherten uns von Süden, so dass wir zunächst durch eine Gruppe von Nebengebäuden kamen. Überall auf der Straße wimmelte es von Männern, doch der Stall war seltsam verlassen.
Jamie stieg ab und reichte Murtagh seine Zügel.
»Warte einen Moment hier«, sagte er. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«
Murtagh warf einen Blick zur Stalltür, die einen Spaltbreit offen stand, und nickte. Fergus, der hinter ihm im Sattel saß, wäre Jamie gern gefolgt, doch Murtagh hielt ihn mit einem knappen Wort zurück.
Steif vom Reiten, glitt ich ebenfalls vom Pferd und rutschte auf dem schlammigen Pflaster aus, als ich Jamie folgte. Irgendetwas war hier seltsam. Erst als ich ihm durch die Tür des Stallgebäudes folgte, begriff ich, was es war – es war zu ruhig.
Im Inneren war alles still; der Stall war kalt und dunkel und ließ die übliche Wärme und die Geräusche eines Stalls vermissen. Dennoch war nicht alles Leben fort; eine dunkle Gestalt regte sich im Zwielicht, zu groß für eine Ratte oder einen Fuchs.
»Wer ist da?«, sagte Jamie, der automatisch einen Schritt vortrat, um mich hinter sich zu schieben. »Alec. Bist du das?«
Die Gestalt im Heu hob langsam den Kopf, und das Plaid fiel ihm vom Kopf. Der Stallmeister von Leoch hatte nur ein Auge; über dem anderen, das er vor Jahren durch einen Unfall verloren hatte, trug er eine schwarze Augenklappe. Normalerweise reichte ihm ein Auge. Energisch und leuchtend blau war es imstande, sich den Gehorsam der Stallburschen genauso wie der Pferde, der Knechte genauso wie der Reiter zu sichern.
Jetzt war Alec MacMahon MacKenzies Auge so stumpf wie ein verstaubtes Stück Schiefer. Sein breiter, einst kraftvoller Körper war zusammengekrümmt, und die Apathie des Hungers hatte seine Wangen ausgezehrt.
Weil er wusste, dass der Alte bei feuchtem Wetter an Rheuma litt, hockte sich Jamie neben ihn, um zu verhindern, dass er aufstand.
»Was ist passiert?«, fragte er. »Wir sind gerade angekommen; was geht hier vor?«
Der Alte schien lange zu brauchen, um die Frage in sich aufzunehmen, sie zu überdenken und seine Erwiderung in Worte zu fassen. Vielleicht war es ja nur die Stille des leeren, dunklen Stalls, die seinen Worten einen hohlen Klang verlieh, als sie endlich kamen.
»Es ist alles dahin«, sagte er. »Vor zwei Nächten sind sie nach Nairn marschiert und kamen gestern fluchtartig zurück. Seine Hoheit hat gesagt, sie werden auf dem Feld von Culloden Stellung beziehen; Lord George ist jetzt dort, mit den Männern, die er um sich sammeln konnte.«