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»Das ist ja mein Stammbaum«, sagte Roger überrascht. »Den habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Und auch nie darauf geachtet, wenn ich ihn gesehen habe«, fügte er hinzu. »Wenn du mir erzählen willst, dass ich ein Adoptivkind bin, das weiß ich schon.«

Claire nickte, ohne den Blick von dem Stammbaum abzuwenden. »Oh ja. Das ist der Grund, warum dein Vater – ich meine Mr. Wakefield – diesen Stammbaum aufgesetzt hat. Er wollte sichergehen, dass dir deine wirkliche Familie vertraut ist, obwohl er dir seinen eigenen Namen gegeben hat.«

Roger seufzte bei dem Gedanken an den Reverend und das kleine, silbergerahmte Foto auf seinem Sekretär, das einen unbekannten, dunkelhaarigen, lächelnden jungen Mann in einer Fliegeruniform aus dem Zweiten Weltkrieg zeigte.

»Ja, das weiß ich auch. Mein Familienname war MacKenzie. Willst du mir sagen, dass ich mit den MacKenzies verwandt bin, die du … äh, kanntest? Ich sehe keine dieser Namen auf diesem Stammbaum.«

Claire verhielt sich, als hätte sie ihn nicht gehört, und fuhr mit dem Finger über das Spinnennetz der handgemalten Ahnenfolge.

»Mr. Wakefield war furchtbar penibel«, murmelte sie wie zu sich selbst. »Jeder Fehler wäre ihm zuwider.« Ihr Finger hielt auf der Seite inne.

»Da«, sagte sie. »Da ist es gewesen. Von da an«, ihr Finger fuhr abwärts über die Seite, »ist alles in Ordnung. Das waren deine Eltern, deine Großeltern, deine Urgroßeltern und so weiter. Darüber aber nicht.« Der Finger fuhr nach oben.

Roger beugte sich über die Grafik, dann hob er den Kopf, und der Blick seiner moosgrünen Augen war nachdenklich.

»Hier? William Buccleigh MacKenzie, geboren 1744, Eltern William John MacKenzie und Sarah Innes. Gestorben 1782.«

Claire schüttelte den Kopf. »Gestorben 1744 an den Pocken, Alter zwei Monate.« Sie blickte auf, und ihre goldenen Augen hefteten sich so durchdringend auf die seinen, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief. »Du bist nicht das erste Adoptivkind in der Familie«, sagte sie. Ihr Finger tippte auf den Eintrag. »Er hat eine Amme gebraucht«, sagte sie. »Seine leibliche Mutter war tot – also hat man ihn einer Familie gegeben, die ein Baby verloren hatte. Sie haben ihm den Namen des Kindes gegeben, das sie verloren hatten – das war damals üblich –, und ich glaube nicht, dass jemand mit einem Eintrag im Pfarrbuch das Augenmerk auf seine Herkunft lenken wollte. Er war schließlich bei der Geburt getauft worden; es war nicht nötig, das noch einmal zu tun. Colum hat mir erzählt, wo sie ihn untergebracht haben.«

»Geillis Duncans Sohn«, sagte er langsam. »Das Kind der Hexe.«

»So ist es.« Sie legte den Kopf schief und betrachtete ihn abschätzend. »Ich habe es sofort gewusst, als ich dich gesehen habe. Es sind die Augen. Die hast du von ihr.«

Roger setzte sich, denn plötzlich war ihm kalt, trotz des Bücherregals, das den Luftzug blockierte, und des frisch entzündeten Kaminfeuers.

»Bist du sicher?«, sagte er, doch natürlich war sie sich sicher. Vorausgesetzt, dass nicht die ganze Geschichte ein Hirngespinst war, das ausgefeilte Konstrukt eines kranken Verstandes. Er sah sie an. Ungerührt saß sie da mit ihrem Whisky, gefasst, als würde sie gleich noch Käsegebäck bestellen.

Kranker Verstand? Dr. Claire Randall, Chefärztin einer großen, bedeutenden Klinik? Vom Wahn gepackt? Einfacher, wenn er sich selbst für wahnsinnig hielt. Genau das glaubte er allmählich in der Tat.

Er holte tief Luft und legte beide Hände flach auf die Grafik, so dass der Eintrag für William Buccleigh MacKenzie nicht mehr zu sehen war.

»Das ist tatsächlich interessant, und ich bin froh, dass du es mir gesagt hast. Aber eigentlich ändert es doch nichts, oder? Höchstens, dass ich die obere Hälfte dieses Stammbaums abreißen und in den Müll werfen kann. Wir wissen schließlich nicht, woher Geillis Duncan stammte.«

Claires Blick war in die Ferne gerichtet.

»Nur, dass Dougal der Vater des Kindes war. Das war der eigentliche Grund, warum man sie umgebracht hat. Nicht wegen Hexerei. Colum MacKenzie konnte es nicht publik werden lassen, dass sein Bruder mit der Frau des Fiskalprokurators Ehebruch begangen hat. Und sie hätte Dougal gern geheiratet; vielleicht hat sie den MacKenzies ja damit gedroht, die Wahrheit über Hamishs Abstammung zu verraten.«

»Hamish? Oh, Colums Sohn. Ja, ich erinnere mich.« Roger rieb sich die Stirn. Langsam wurde ihm schwindelig.

»Nicht Colums Sohn«, verbesserte Claire. »Dougals Sohn. Colum konnte keine Kinder zeugen, aber Dougal konnte es – und hat es getan. Hamish sollte das Amt des Clanoberhauptes erben; Colum hätte jeden umgebracht, der Hamish drohte – und hat es getan.«

Sie holte tief Luft. »Und das«, sagte sie, »bringt mich zu dem zweiten Grund, warum ich dir die Geschichte erzählt habe.«

Roger vergrub beide Hände in den Haaren und starrte auf den Tisch hinunter, wo sich die Linien des Stammbaums zu winden schienen wie Schlangen, die ihn verspotteten und ihre gespaltenen Zungen zwischen den Namen umherhuschen ließen.

»Geillis Duncan«, sagte er heiser. »Sie hatte eine Impfnarbe.«

»Ja. Das war der Auslöser dafür, dass ich schließlich doch nach Schottland zurückgekehrt bin. Als ich damals mit Frank gegangen bin, habe ich mir geschworen, dass ich nie zurückkommen würde. Ich wusste zwar, dass ich nie imstande sein würde zu vergessen, doch ich konnte mein Wissen begraben; ich konnte mich von hier fernhalten und es vermeiden herauszufinden, was nach meiner Rückkehr geschehen war. Das schien das mindeste, was ich tun konnte, für Frank und für Jamie. Und für das kommende Baby.« Einen Moment pressten sich ihre Lippen fest zusammen.

»Aber Geillis hat mir das Leben gerettet, bei dem Prozess in Cranesmuir. Vielleicht war sie ohnehin verloren; das schien sie jedenfalls zu glauben. Doch sie hat jeden Hauch einer Chance in den Wind geschlagen, um mich zu retten. Und sie hat mir diese Nachricht hinterlassen, die Dougal mir in dieser Höhle in den Highlands überbracht hat, wo ich von ihm erfahren habe, dass Jamie im Gefängnis war. Zwei Teile. Ein Satz: ›Ich weiß nicht, ob es möglich ist, doch ich glaube, ja.‹ Und eine Abfolge von vier Ziffern – eins, neun, sechs und acht.«

»Neunzehnhundertachtundsechzig«, sagte Roger mit dem Gefühl, dass er träumte. Gewiss würde er jeden Moment aufwachen. »Dieses Jahr. Was hat sie denn damit gemeint, sie glaubt, es wäre möglich?«

»Zurückzugehen. Durch die Steine. Sie hatte es nie versucht, aber sie dachte, ich könnte es. Und sie hatte natürlich recht.« Claire drehte sich um und nahm ihren Whisky vom Tisch. Sie sah Roger über den Rand des Glases hinweg an, und ihre Augen hatten die Farbe des Inhalts. »Wir haben 1968, das Jahr, in dem sie selbst in die Vergangenheit gegangen ist. Nur, dass ich glaube, dass sie noch nicht fort ist.«

Das Glas rutschte Roger durch die Finger, und er fing es in letzter Sekunde auf.

»Was … hier? Aber sie … warum … du kannst doch nicht wissen …« Er redete in Bruchstücken, weil er nicht mehr zusammenhängend denken konnte.

»Ich weiß es ja auch nicht«, sagte Claire. »Aber ich glaube es. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Schottin war, und alles spricht dafür, dass sie irgendwo in den Highlands durchgekommen ist. Es gibt zwar Steinkreise in Hülle und Fülle, aber wir wissen, dass Craigh na Dun eine Passage ist – für die, die sie benutzen können. Außerdem«, fügte sie hinzu, als sei sie im Begriff, das Schlussplädoyer anzustimmen, »hat Fiona sie gesehen.«

»Fiona?« Das, so fand Roger, war einfach zu viel. Die krönende Absurdität. Alles andere konnte er glauben – Zeitpassagen, Clanintrigen, historische Enthüllungen –, aber Fiona in die ganze Sache hineinzuziehen, war mehr, als seine Vernunft verkraften konnte. Er warf Claire einen flehenden Blick zu. »Sag mir, dass du das nicht ernst meinst«, bettelte er. »Nicht Fiona.«