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»Durchgeknallt?« Roger richtete den Blick noch einmal hastig auf das Foto. Ernst und durchdringend, ja, so sah sie ihm entgegen. Aber doch nicht von allen guten Geistern verlassen, oder? Konnte man das anhand eines Fotos überhaupt beurteilen?

»Aye. Gesellschaft der Weißen Rose. Geliebter Charlie, ach kämst du doch zurück. Ein Haufen Kerle, die sich mit Kilts und der kompletten Aufmachung verkleiden, sogar mit Schwertern. Ist natürlich nett, wenn man eine Vorliebe dafür hat«, fügte er mit glasigen Augen, um Objektivität bemüht, hinzu. »Aber Gilly musste es immer übertreiben. Ständig ging es um den Bonnie Prince, und wäre es nicht toll, wenn er den ’45er gewonnen hätte? Zu jeder Tages- und Nachtzeit hatte ich die Kerle in der Küche sitzen, die mir das Bier weggetrunken und darüber diskutiert haben, warum er nicht gewonnen hat. Auch noch auf Gälisch.« Er verdrehte die Augen. »Was für ein Schwachsinn.« Er leerte sein Glas, um seine Meinung zu unterstreichen.

Roger konnte spüren, wie sich Briannas Augen in seinen Hals bohrten. Er zog an seinem Kragen, um ihn zu lockern, obwohl er keine Krawatte trug und sein Kragenknopf offen stand.

»Ihre Frau interessiert sich nicht zufällig auch für Steinkreise, oder, Mr. Edgars?« Brianna gab sich keine Mühe mehr, höfliches Interesse vorzutäuschen; ihre Stimme war so scharf, dass man Käse damit hätte schneiden können. Edgars bekam so gut wie nichts davon mit.

»Stein was?« Er schien verwirrt, steckte sich den Zeigefinger ins Ohr und drehte ihn angestrengt, als hoffte er, sein Gehör zu verbessern.

»Die prähistorischen Steinkreise. Wie die Clava Cairns«, half Roger aus, indem er eine der berühmteren Stätten in der Nähe benannte. Mitgegangen, mitgefangen, dachte er, und im Geiste seufzte er resigniert. Brianna würde eindeutig nie wieder mit ihm sprechen, also konnte er auch versuchen, so viel wie möglich herauszufinden.

»Ach so.« Edgars lachte auf. »Aye, und jeden anderen alten Müll, den man aufzählen kann. Das ist das Letzte und das Schlimmste. Tag und Nacht in diesem Institut, wo sie mein ganzes Geld für Kurse ausgibt … Kurse! Da lachen ja die Hühner, aye? Märchenkunde gibt es da. Du wirst da doch nichts Nützliches lernen, Kleine, habe ich zu ihr gesagt. Warum lernst du nicht Maschineschreiben? Such dir Arbeit, wenn du Langeweile hast. Das habe ich ihr gesagt. Also ist sie gegangen«, sagte er trübsinnig. »Habe sie seit zwei Wochen nicht mehr gesehen.« Er starrte in sein Weinglas, als wäre er überrascht, es leer zu sehen.

»Noch einen?«, bot er an und griff nach der Flasche, doch Brianna schüttelte entschlossen den Kopf.

»Nein danke. Wir müssen los. Nicht wahr, Roger?«

Roger, der das gefährliche Glitzern in ihren Augen sah, war sich gar nicht so sicher, dass er nicht besser dran war, wenn er hierblieb und sich den Rest der Flasche mit Greg Edgars teilte. Aber es war ein langer Fußmarsch bis nach Hause, wenn er Brianna das Auto überließ. Er erhob sich mit einem Seufzer und schüttelte Edgars zum Abschied die Hand. Sie war warm, wenn auch etwas feucht, und fasste überraschend fest zu.

Edgars folgte ihnen zur Tür und hielt die Flasche am Hals umklammert. Er blickte ihnen durch das Türgitter hinterher, und plötzlich rief er: »Wenn ihr Gilly seht, sagt ihr, sie soll nach Hause kommen, aye?«

Roger drehte sich um und winkte der verschwommenen Gestalt im erleuchteten Rechteck der Tür zu.

»Ich versuch’s«, rief er und verschluckte sich fast an den Worten.

Sie waren auf dem Bürgersteig und auf halbem Weg zum Pub, als sie sich vor ihm aufbaute.

»Was zum Teufel hast du eigentlich vor?«, sagte sie. Sie klang wütend, aber nicht hysterisch. »Du hast mir doch erzählt, du hättest keine Verwandten in den Highlands, was soll also das Ganze mit deiner Cousine? Wer ist die Frau auf diesem Foto?«

Er sah sich auf der dunklen Straße nach einer Eingebung um, doch es war nicht zu ändern. Er holte tief Luft und nahm sie beim Arm.

»Geillis Duncan«, sagte er.

Sie blieb stocksteif stehen, und der Ruck zerrte an seinem Arm. In aller Ruhe löste sie ihren Ellbogen aus seinem Griff. Das zarte Gewebe des Abends war in der Mitte durchgerissen.

»Fass … mich … nicht … an«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Ist das etwas, das Mutter sich ausgedacht hat?«

Obwohl er fest entschlossen war, sich verständnisvoll zu zeigen, spürte Roger, wie er jetzt ebenfalls wütend wurde.

»Hör zu«, sagte er, »kannst du nicht einmal an jemand anderen als an dich selbst denken? Ich weiß, dass das Ganze ein Schock für dich gewesen ist – Gott, natürlich war es das. Und wenn du dich nicht überwinden kannst, es wenigstens zu erwägen … nun, ich werde dich nicht drängen. Aber es geht hier auch um deine Mutter. Und um mich.«

»Um dich? Was hast du denn damit zu tun?« Es war zu dunkel, um ihr Gesicht zu sehen, aber ihre Überraschung war nicht zu überhören.

Eigentlich hatte er die Dinge nicht noch komplizierter machen wollen, indem er ihr von seiner Rolle erzählte, doch es war eindeutig zu spät, sie ihr zu verheimlichen. Das hatte Claire zweifellos vorhergesehen, als sie vorschlug, dass er Brianna heute Abend mitnahm

Ein Geistesblitz ließ ihn begreifen, was genau Claire gemeint hatte. Es gab eine Möglichkeit, Brianna über jeden Zweifel erhaben zu beweisen, dass ihre Geschichte stimmte. Sie hatte Gillian Edgars, die – vielleicht – noch nicht verschwunden war, um ihr Schicksal als Geillis Duncan zu vollenden, unter den Ebereschen von Leoch an einen brennenden Pfahl gefesselt. Es würde wohl auch den hartnäckigsten Zyniker überzeugen, dachte er, wenn jemand vor seinen Augen in die Vergangenheit verschwand. Kein Wunder, dass Claire Gillian Edgars finden wollte.

Mit wenigen Worten beschrieb er Brianna, was ihn mit der Möchtegern-Hexe von Cranesmuir verband.

»Anscheinend steht also ihr Leben gegen das meine«, schloss er achselzuckend, und ihm war furchtbar bewusst, wie melodramatisch das klang. »Claire – deine Mutter –, sie hat es mir überlassen. Aber ich fand, dass ich sie zumindest suchen muss.«

Brianna war wieder stehen geblieben, um ihm zuzuhören. Das schwache Licht eines kleinen Ladens fing sich im Glanz ihrer Augen, als sie ihn ansah.

»Dann glaubst du es?«, fragte sie. Es lagen weder Unglaube noch Verachtung in ihrer Stimme; sie war durch und durch ernst.

Er seufzte und griff erneut nach ihrem Arm. Sie wehrte sich nicht, sondern setzte sich neben ihm in Bewegung.

»Ja«, sagte er. »Ich konnte nicht anders. Du hast ja ihr Gesicht nicht gesehen, als sie die Gravur in ihrem Ring gelesen hat. Das war echt – so echt, dass es mir das Herz gebrochen hat.«

»Dann erzähl es mir besser«, sagte sie nach kurzem Schweigen. »Was denn für eine Gravur?«

Als er zu Ende erzählt hatte, hatten sie den Parkplatz hinter dem Pub erreicht.

»Nun ja …«, sagte Brianna zögernd. »Wenn …« Sie verstummte wieder und sah ihm in die Augen. Sie stand so dicht vor ihm, dass er die Wärme ihrer Brüste dicht vor seiner Brust spürte, doch er streckte nicht die Hand nach ihr aus. Die Kirche von St. Kilda war weit fort, und keiner von ihnen wollte an das Grab unter den Eiben denken, wo die Namen ihrer Eltern in Stein gemeißelt standen.

»Ich weiß es nicht, Roger«, sagte sie und schüttelte den Kopf. Die Neonreklame über der Hintertür der Kneipe schlug dunkelrote Funken in ihrem Haar. »Ich kann einfach nicht … ich kann noch nicht darüber nachdenken. Aber …« Ihr versagte die Stimme, doch sie hob die Hand und berührte seine Wange, sacht wie der leise Abendwind. »Ich werde an dich denken«, flüsterte sie.

Wenn man es recht bedenkt, ist ein Einbruch, den man mit einem Schlüssel begeht, eigentlich kein schwieriges Unterfangen. Die Chancen, dass entweder Mrs. Andrews oder Dr. McEwan zurückkommen und mich auf frischer Tat ertappen würden, standen verschwindend gering. Selbst wenn, würde ich einfach nur sagen müssen, dass ich zurückgekommen war, um nach meiner Handtasche zu suchen, die ich verloren hatte, und die Tür offen vorgefunden hatte. Ich war zwar aus der Übung, aber es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der Lug und Trug meine zweite Natur gewesen waren. Lügen war wie Fahrradfahren, dachte ich; man verlernt es nicht.