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Der zentrale Teil des Notizbuchs trug den Titel »Spekulationen«. Das zumindest war zutreffend, dachte ich ironisch. Eine Seite trug ordentlich lesbar den folgenden Eintrag: »Die Druiden haben Menschenopfer in Weidenkäfigen verbrannt, die wie Menschen geformt waren, doch manche Individuen wurden auch durch Erwürgen umgebracht, und dann schnitt man ihnen die Kehle durch, um sie ausbluten zu lassen. War Feuer oder Blut das notwendige Element?« Die kaltblütige Neugier dieser Frage beschwor Geillis Duncans Gesicht vor meinem inneren Auge herauf – nicht die Studentin mit den großen Augen und dem glatten Haar, deren Foto ich im Institut gesehen hatte, sondern die geheimnisvoll lächelnde Frau des Fiskalprokurators, zehn Jahre älter, versiert im Gebrauch von Drogen und ihres Körpers, die die Männer verführte und leidenschaftslos tötete, um ihre Ziele zu erreichen.

Und dann die letzten paar Seiten des Buchs, sorgfältig mit »Schlussfolgerungen« überschrieben, die uns am Vorabend des Beltane auf diesen finsteren Weg geschickt hatten. Ich legte die Finger um den Schlüssel und wünschte mir von ganzem Herzen, Greg Edgars wäre ans Telefon gegangen.

Roger verlangsamte das Tempo und bog in den rumpeligen Feldweg ein, der am Fuß des Hügels Craigh na Dun entlangführte.

»Ich sehe nichts«, sagte er. Er schwieg schon so lange, dass seine Stimme rauh war und aggressiv klang.

»Natürlich nicht«, sagte Brianna ungeduldig. »Man kann den Steinkreis von hier aus ja auch nicht sehen.«

Roger grunzte statt einer Erwiderung und fuhr noch langsamer. Brianna war offensichtlich furchtbar nervös, doch er war es genauso. Nur Claire schien ruhig zu sein und sich von der zunehmenden Anspannung im Inneren des Autos nicht beeindrucken zu lassen.

»Sie ist hier«, sagte Claire plötzlich. Roger trat so abrupt auf die Bremse, dass Claire und ihre Tochter nach vorn geworfen wurden und gegen die Rückenlehnen vor ihnen stießen.

»Vorsicht, du Idiot!«, fuhr Brianna Roger aufgebracht an. Sie fuhr sich mit der Hand durch das Haar und schob es sich mit einer hastigen Geste aus dem Gesicht. Er konnte sehen, wie sie schluckte, als sie sich zur Seite beugte, um einen Blick durch das dunkle Fenster zu werfen.

»Wo?«, sagte sie.

Claire nickte vor ihnen nach rechts, ohne die Hände aus den Manteltaschen zu ziehen.

»Da hinter dem Dickicht parkt ein Auto.«

Roger leckte sich die Lippen und streckte die Hand nach dem Türgriff aus.

»Es ist Edgars’ Auto. Ich gehe nachsehen; ihr bleibt hier.«

Brianna warf ihre Tür auf, und die ungeschmierten Metallscharniere quietschten. Ihr wortloser Blick war so voller Verachtung, dass Roger im gedämpften Licht der Innenbeleuchtung errötete.

Sie war schon zurück, ehe er selbst ganz ausgestiegen war.

»Niemand da«, berichtete sie. Sie blickte zur Kuppe des Hügels hinauf. »Meint ihr …«

Claire knöpfte ihren Mantel fertig zu und trat in die Dunkelheit hinaus, ohne die Frage ihrer Tochter zu beantworten.

»Hier entlang«, sagte sie.

Sie ging notgedrungen voraus, und während er zusah, wie ihre helle Gestalt gespenstisch vor ihm bergauf driftete, musste Roger an ihren letzten Ausflug auf einen steilen Hügel denken, zum Kirchhof von St. Kilda. Brianna ging es anscheinend ebenso; sie zögerte, und er hörte, wie sie wütend etwas murmelte, doch dann griff ihre Hand nach seinem Ellbogen und drückte fest zu – er konnte nicht sagen, ob sie ihn ermutigen oder ihn um Unterstützung bitten wollte. Ihn ermutigte es jedenfalls, und er tätschelte die Hand und zog sie durch seinen angewinkelten Arm. Trotz seiner allgemeinen Zweifel und des Hauchs von Grusel, der der ganzen Expedition unleugbar anhaftete, empfand er gleichzeitig Erregung, als sie sich der Hügelkuppe näherten.

Es war eine klare Nacht, mondlos und dunkel, und allein die Flechten, die im Sternenschein aufglänzten, halfen ihnen, die hünenhaften Steine des vorzeitlichen Kreises von der Nacht ringsum zu unterscheiden. Das Trio blieb auf dem sanft gerundeten Gipfel stehen, aneinandergedrängt wie ein verirrtes Grüppchen Schafe. Rogers Atmen schien unnatürlich laut zu sein.

»Das hier«, zischte Brianna, »ist albern.«

»Nein, das ist es nicht«, sagte Roger. Er fühlte sich plötzlich atemlos, als hätte ihm ein zusammengezogenes Band die Luft aus der Brust gepresst. »Da drüben ist Licht.«

Es war nur ein Moment – nicht mehr als ein Flackern, das prompt verschwand –, doch sie sah es. Er hörte sie scharf einatmen.

Und jetzt?, fragte sich Roger. Sollten sie rufen? Oder würden die Geräusche der Besucher die Gesuchte zu vorschnellem Handeln treiben? Und wenn ja, wie mochte dieses Handeln aussehen?

Er sah, wie Claire plötzlich den Kopf schüttelte, als versuchte sie, ein summendes Insekt zu verjagen. Sie trat einen Schritt zurück, fort vom nächsten Stein, und prallte gegen ihn.

Er packte sie beim Arm und murmelte »Ruhig, ganz ruhig« wie zu einem Pferd. Ihr Gesicht war ein verschwommener Fleck im Sternenlicht, doch er konnte das Beben spüren, das sie durchlief wie Strom einen Draht. Er stand wie angewurzelt da und hielt ihren Arm, in Unentschlossenheit erstarrt.

Es war der plötzliche Benzingestank, der ihm einen Ruck versetzte. Er war sich vage bewusst, dass Brianna den Kopf hochwarf, als der Geruch ihre Nase traf, und sich zur Nordseite des Kreises wandte, und dann hatte er Claires Arm losgelassen und war schon durch das Gebüsch und die Steine selbst gelaufen und schritt auf die Mitte des Kreises zu, wo sich eine zusammengekrümmte schwarze Gestalt wie ein Tintenfleck vom etwas helleren Dunkel des Grases abzeichnete.

Claires Stimme erscholl hinter ihm, kraftvoll und drängend, und die Stille zerbarst.

»Gillian!«, rief sie.

Es folgte ein leises, plötzliches Wusch, und die Nacht wurde hell. Geblendet taumelte Roger einen Schritt zurück und ging stolpernd in die Knie.

Im ersten Moment gab es nichts als den brutalen Schmerz des Lichtes auf seinen Netzhäuten und die gleißende Helle, die alles dahinter verbarg. Er hörte einen Aufschrei neben sich und spürte Briannas Hand auf seiner Schulter. Er kniff die tränenden Augen zu, und sein Sehvermögen kehrte zurück.

Die schlanke Gestalt mit der Silhouette einer Sanduhr stand zwischen ihnen und dem Feuer. Als sich seine Sicht klärte, begriff er, dass sie einen langen, weiten Rock und ein enges Mieder trug – die Kleider einer anderen Zeit. Sie hatte sich umgedreht, als der Ruf erklang, und eine Sekunde lang sah er große Augen und blondes, wehendes Haar, das sich im heißen Wind des Feuers hob und umherwehte.

Während er sich hochkämpfte, fand er Zeit, sich zu fragen, wie sie ein Holzstück von dieser Größe hier hinaufgeschleift hatte. Dann traf der Geruch nach verbranntem Haar und platzender Haut sein Gesicht wie ein Schlag, und es fiel ihm wieder ein. Greg Edgars war heute Abend nicht zu Hause. Da sie nicht wusste, ob Blut oder Feuer das notwendige Element war, hatte sie sich für beides entschieden.

Er schob sich an Brianna vorbei, einzig auf die hochgewachsene, schlanke junge Frau vor ihm konzentriert und auf ein Gesicht, das Spiegelbild des seinen war. Sie sah ihn kommen, machte kehrt und rannte wie der Wind auf den gespaltenen Stein am anderen Ende des Kreises zu. Sie trug einen Rucksack aus grobem Segeltuch über die Schulter geschlungen; er hörte sie grunzen, als das Gewicht sie mit Schwung in die Seite traf.

Einen Moment blieb sie stehen, die Hand nach dem Stein ausgestreckt, und blickte zurück. Er hätte schwören können, dass ihre Augen auf ihm ruhten, die seinen suchten und seinen Blick hielten, jenseits der Barriere aus Flammen und Hitze. Er öffnete den Mund zu einem wortlosen Ausruf. Dann fuhr sie herum, schwerelos wie ein tanzender Funke, und verschwand in der Spalte des Steins.