Das Feuer, die Leiche, die Nacht selbst verschwanden abrupt in einem Schrei aus blendendem Lärm. Roger fand sich auf dem Bauch im Gras wieder und klammerte sich hektisch an die Erde, auf der Suche nach einer vertrauten Empfindung, an der er seinen gesunden Verstand verankern konnte. Die Suche war vergeblich; keiner seiner Sinne schien zu funktionieren – selbst der Boden hatte keine Substanz, und er hatte das Gefühl, auf Treibsand zu liegen, nicht auf Granit.
Vom Gleißen geblendet, vom Kreischen des reißenden Steins betäubt, tastete, schlug er um sich, spürte seine eigenen Gliedmaßen nicht, war sich nur eines immensen Sogs bewusst, dem er unbedingt widerstehen musste.
Er hatte keinerlei Zeitgefühl; ihm war, als hätte er schon ewig in der Leere gekämpft, als ihm schließlich doch etwas außerhalb seines Selbsts zu Bewusstsein kam. Hände, die verzweifelt nach seinen Armen packten, und Brüste, die sich erstickend weich an sein Gesicht drückten.
Allmählich kehrte auch sein Gehör zurück und damit der Klang einer Stimme, die ihn rief. Die ihn beschimpfte und zwischen den Wörtern keuchte.
»Du Idiot! Du … Arsch! Wach auf, Roger, du … Esel!« Ihre Stimme war zwar gedämpft, doch er verstand sie klar und deutlich. Mit unmenschlicher Anstrengung streckte er die Hände aus und bekam ihre Handgelenke zu fassen. Er wälzte sich herum, schwerfällig wie der Beginn einer Lawine, und sah sich dann verständnislos in Brianna Randalls tränenüberströmtes Gesicht aufblinzeln. Ihre Augen waren dunkel wie Höhlen im sterbenden Licht des Feuers.
Der Gestank nach Benzin und gebratenem Fleisch war überwältigend. Er wandte sich zur Seite, würgte und übergab sich heftig ins feuchte Gras. Er war viel zu beschäftigt, um dankbar zu sein, dass nun auch sein Geruchssinn zurückgekehrt war.
Er wischte sich den Mund am Ärmel ab und tastete unsicher nach Briannas Arm. Sie war in sich zusammengesunken und zitterte.
»O Gott«, sagte sie. »O Gott. Ich dachte, ich kann dich nicht aufhalten. Du bist geradewegs darauf zugekrochen. O Gott.«
Sie leistete zwar keinen Widerstand, als er sie an sich zog, doch sie reagierte auch nicht auf ihn. Sie zitterte einfach weiter vor sich hin, und die Tränen rannen ihr aus den großen, leeren Augen, während sie immer wieder wie eine kaputte Schallplatte »O Gott« wiederholte.
»Schsch«, sagte er und tätschelte sie. »Es wird alles gut. Schsch.« Das Schwindelgefühl in seinem Kopf ließ jetzt nach, obwohl er sich immer noch fühlte, als hätte man ihn in mehrere Stücke gespalten und sie mit Gewalt in alle Himmelsrichtungen verstreut.
Der Gegenstand am Boden, der jetzt dunkler wurde, knallte leise, doch abgesehen davon und von Briannas mechanischen Beschwörungen kehrte die Stille der Nacht jetzt zurück. Er hielt sich die Ohren zu, als wollte er die Echos des mörderischen Lärms zum Schweigen bringen.
»Du hast es auch gehört?« Brianna weinte zwar immer noch, nickte aber ruckartig wie eine Marionette.
»Hast du …«, begann er, während er mühselig seine Gedankenfragmente zusammensetzte. Dann fuhr er auf, denn eines erwischte ihn mit voller Wucht.
»Deine Mutter!«, rief er aus und packte Brianna fest an beiden Armen. »Claire! Wo ist sie?«
Briannas Mund öffnete sich entsetzt, und sie rappelte sich auf und sah sich wild im Inneren des leeren Kreises um, überragt von den mannshohen Steinen, schroff und halb verborgen im Schatten des sterbenden Feuers.
»Mutter!«, schrie sie. »Mutter, wo bist du?«
»Ist ja gut«, sagte Roger und versuchte, verlässlich und beruhigend zu klingen. »Es geht ihr gleich besser.«
In Wahrheit hatte er keine Ahnung, ob es Claire Randall jemals wieder bessergehen würde. Zumindest war sie am Leben, das war alles, was er mit Sicherheit sagen konnte.
Sie hatten sie besinnungslos im Gras neben dem Rand des Kreises gefunden, so weiß wie der aufgehende Mond über ihnen, und nur das dunkle Blut, das ihr langsam aus den aufgeschürften Handflächen sickerte, zeugte davon, dass ihr Herz noch schlug. An den höllischen Abstieg zum Auto dachte er lieber nicht – er hatte sie wie einen Sack über der Schulter liegen gehabt und sie ungeschickt durchgerüttelt, weil ihm die Steine unter den Füßen davonrollten und sich seine Kleidung im Geäst verfing.
Der Rückweg vom Gipfel des verfluchten Hügels hatte ihn erschöpft; es war Brianna, die sie zum Pfarrhaus zurückgefahren hatte, das Gesicht so konzentriert, dass sich ihre Knochen deutlich abzeichneten, die Hände wie Schraubzwingen um das Lenkrad gekrallt. Auf dem Nebensitz zusammengesunken, hatte Roger im Rückspiegel den letzten schwachen Widerschein der Glut auf dem Hügel hinter ihnen gesehen, wo eine kleine, leuchtende Wolke wie Kanonenrauch schwebte und stumm von einem Kampf zeugte, der vorüber war.
Jetzt stand Brianna über das Sofa gebeugt, auf dem ihre Mutter lag, reglos wie eine Grabfigur auf einem Sarkophag. Erschauernd hatte Roger den Kamin vermieden, in dem die Glut des Feuers schlief, und hatte stattdessen die kleine Elektroheizung herbeigeschoben, mit der sich der Reverend an den Winterabenden die Füße gewärmt hatte. Ihre Rippen glühten heiß und orange, und ihr lautes, freundliches Surren übertönte das Schweigen des Studierzimmers.
Roger setzte sich auf einen kleinen Hocker neben dem Sofa und fühlte sich wie weichgespült. Mit letzter Kraft griff er nach dem Telefontischchen, und seine Hand schwebte ein paar Zentimeter über dem Apparat.
»Sollten wir nicht …« Er musste innehalten, um sich zu räuspern. »Sollten wir nicht … einen Arzt rufen? Die Polizei?«
»Nein«, sagte Brianna beinahe geistesabwesend, während sie sich über die reglose Gestalt auf der Couch beugte. »Sie kommt zu sich.«
Augenlider zuckten, spannten sich kurz an, als die Erinnerung an den Schmerz zurückkehrte, dann entspannten und öffneten sie sich. Ihre Augen waren klar und sanft wie Honig. Sie wanderten hin und her, überflogen Brianna, die aufrecht und starr an seiner Seite stand, dann hefteten sie sich auf Rogers Gesicht.
Claires Lippen waren so blutleer wie ihr restliches Gesicht; sie brauchte mehr als einen Versuch, die Worte als heiseres Flüstern hervorzubringen.
»Ist sie … zurückgegangen?«
Sie hatte die Finger in den Stoff ihres Rockes geknotet, und er sah den schwachen, dunklen Streifen aus Blut, den sie dort hinterließen. Instinktiv klammerten sich seine eigenen Hände an seine Knie, und seine Handflächen kribbelten. Auch sie hatte sich also festgehalten, in Gras und Kies nach dem kleinsten Halt gesucht, um nicht von der Vergangenheit verschlungen zu werden. Er schloss die Augen bei der Erinnerung an diesen reißenden Sog und nickte.
»Ja«, sagte er. »Das ist sie.«
Die klaren Augen hoben sich augenblicklich zum Gesicht ihrer Tochter, und die Augenbrauen darüber krümmten sich wie fragend. Doch es war Brianna, die die Frage stellte.
»Dann ist es also wahr?«, fragte sie zögernd. »Es ist alles wahr?«
Roger spürte den kleinen Schauder, der ihren Körper durchfuhr, und ohne zu überlegen, nahm er ihre Hand. Er zuckte unwillkürlich zusammen, als sie sie drückte, und plötzlich hörte er in Gedanken den Reverend: »Selig sind die, die glauben, ohne zu sehen.« Und die, die es sehen mussten, um es zu glauben? Die Nachwirkungen jenes Glaubens, der dem Sehen entsprang, zitterten angsterfüllt an seiner Seite, voller Schrecken über das, was jetzt sonst noch geglaubt werden musste.
Während sich Brianna aufrichtete, um einer Wahrheit zu begegnen, die sie bereits gesehen hatte, entspannten sich Claires rigide Konturen auf dem Sofa. Ihre bleichen Lippen verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln, und eine Miene durchdringenden Friedens glättete ihr erschöpftes weißes Gesicht und ließ sich leuchtend in den goldenen Augen nieder.
»Es ist wahr«, sagte sie. Ein Hauch von Farbe kehrte in ihre blassen Wangen zurück. »Würde dich deine Mutter anlügen?« Und sie schloss die Augen wieder.