»Bonnie Prince Charlie«, sagte ich leise zu mir selbst, während ich mich in dem großen Wandspiegel betrachtete. Er war hier, jetzt, in derselben Stadt, vermutlich nicht allzu weit entfernt. Wie würde er wohl sein? Ich konnte ihn mir nur anhand des bekannten historischen Porträts vorstellen, das einen gutaussehenden, etwas femininen jungen Mann von ungefähr sechzehn zeigte, mit sanften hellroten Lippen und gepudertem Haar, wie es der Mode der Zeit entsprach. Oder anhand der Fantasiegemälde, die eine robustere Version desselben Wesens zeigten, das ein Schwert schwang, während es von einem Boot die Gestade Schottlands betrat … Schottlands, das er bei dem Versuch, es wieder für sich und seinen Vater zu beanspruchen, in Schutt und Asche legen würde.
Zum Scheitern verurteilt, würde er doch genügend Unterstützung finden, um das Land zu spalten und seine Gefolgsmänner mitten durch einen Bürgerkrieg zum blutigen Ende auf dem Feld von Culloden zu führen. Er würde dann zurück in die Sicherheit Frankreichs flüchten, doch die Rache seiner Feinde würde jene treffen, die er zurückließ.
Um eine solche Katastrophe zu verhindern, waren wir hier. Wenn man in Jareds Haus in Frieden und Luxus daran dachte, schien es unglaublich. Wie verhinderte man eine Rebellion? Nun, wenn Aufstände in Wirtshäusern ausgeheckt wurden, ließen sie sich ja vielleicht beim Dinner verhindern. Ich betrachtete mich achselzuckend im Spiegel, blies mir eine verirrte Locke aus dem Auge und begab mich nach unten, um die Köchin zu umgarnen.
Das Personal, das zunächst dazu zu neigen schien, mich mit ängstlichem Argwohn zu betrachten, begriff schnell, dass ich keinerlei Absicht hatte, mich in seine Arbeit einzumischen, und entspannte sich zu dienstbeflissener Wachsamkeit. Schon mit vor Erschöpfung getrübtem Blick hatte ich den Eindruck gehabt, dass mindestens ein Dutzend Dienstboten zu meiner Begutachtung im Flur aufgereiht standen. Wie sich herausstellte, waren es sechzehn, einschließlich des Stallknechts, des Stalljungen und des Laufburschen, die ich im allgemeinen Gedränge gar nicht bemerkt hatte. Meine Achtung vor Jareds geschäftlichem Erfolg wuchs noch weiter, bis mir klarwurde, wie gering die Bezahlung der Dienstboten war: ein neues Paar Schuhe und zwei Livres im Jahr für die männlichen Bediensteten, etwas weniger für die Hausmädchen und die Küchenmägde, etwas mehr für Würdenträger wie Madame Vionnet, die Köchin, und den Butler Magnus.
Während ich die Abläufe des Haushalts studierte und mir alles merkte, was ich vom Tratsch der Dienstmädchen aufschnappen konnte, war Jamie täglich mit Jared unterwegs, um Kunden zu besuchen, immer mehr Menschen kennenzulernen und sich darauf vorzubereiten, »Seiner Hoheit zu assistieren«, indem er gesellschaftliche Kontakte knüpfte, die sich für einen Prinzen im Exil als wertvoll erweisen konnten. Unter unseren abendlichen Gästen würden wir unsere Verbündeten finden – oder unsere Feinde.
»St. Germain?«, sagte ich, weil ich plötzlich einen vertrauten Namen aus Marguerites Geplapper heraushörte, während sie das Parkett bohnerte. »Der Comte St. Germain?«
»Oui, Madame.« Sie war eine kleine, fette junge Frau mit einem platten Gesicht und Glubschaugen, die ihr das Aussehen eines Steinbutts verliehen, aber sie war freundlich und gefällig. Sie spitzte die Lippen zu einem kleinen Kreis, um darauf hinzuweisen, dass nun wahrhaft skandalöse Informationen folgen würden. Ich sah sie so ermunternd wie möglich an.
»Der Comte, Madame, hat einen sehr schlechten Ruf«, sagte sie bedeutsam.
Da das – glaubte man Marguerite – so gut wie auf jeden unserer abendlichen Gäste zutraf, zog ich die Augenbrauen hoch und wartete auf weitere Einzelheiten.
»Er hat nämlich seine Seele an den Teufel verkauft«, vertraute sie mir mit gesenkter Stimme an und sah sich dabei um, als könnte besagter Herr hinter dem Kaminvorsprung lauern. »Er zelebriert schwarze Messen, bei denen das Blut und Fleisch unschuldiger Kinder unter den Verderbten geteilt werden!«
Da habe ich mir ja einen schönen Erzfeind ausgesucht, dachte ich.
»Oh, jeder weiß davon, Madame«, versicherte mir Marguerite. »Aber es spielt keine Rolle; die Frauen sind trotzdem verrückt nach ihm, wohin er auch immer geht, werfen sie sich ihm an den Hals. Aber er ist ja auch reich.« Das reichte offensichtlich aus, um das Trinken von Blut und den Verzehr von Fleisch aufzuwiegen, wenn nicht gar zu überwiegen.
»Wie interessant«, sagte ich. »Aber ich dachte, Monsieur le Comte ist Monsieur Jareds Konkurrent; importiert er nicht ebenfalls Wein? Warum lädt ihn Monsieur Jared denn überhaupt ein?«
Marguerite blickte von ihrer Bohnerarbeit auf und lachte.
»Aber Madame! Damit Monsieur Jared beim Essen den besten Beaune servieren kann, er Monsieur le Comte mitteilen kann, dass er gerade zehn Kisten erworben hat, und er ihm am Ende des Mahls großzügig eine Flasche mit heimgeben kann!«
»Ich verstehe«, sagte ich und grinste. »Und wird Monsieur Jared ähnlich eingeladen, um mit Monsieur le Comte zu speisen?«
Sie nickte, und ihr weißes Halstuch hüpfte über ihrem Ölfläschchen und ihrem Lappen auf und ab. »Oh ja, Madame. Aber nicht so oft!«
Heute Abend war der Comte St. Germain glücklicherweise nicht eingeladen. Wir speisten nur en famille, so dass Jared mit Jamie die wenigen Einzelheiten durchgehen konnte, die vor seiner Abreise noch zu arrangieren waren. Die Wichtigste war der Morgenempfang des Königs in Versailles.
Eine Einladung zu diesem Ereignis war ein außerordentliches Zeichen der Gunst, erklärte uns Jared beim Essen.
»Nicht dir gegenüber, Junge«, sagte er freundlich und zeigte mit der Gabel auf Jamie. »Mir gegenüber. Der König möchte sichergehen, dass ich auch wieder aus Deutschland zurückkomme – zumindest möchte Duverney das, der Finanzminister. Die jüngste Woge von Steuern trifft die Kaufleute schwer, und viele Ausländer sind gegangen – mit all den üblen Auswirkungen auf die Staatskasse, die du dir vorstellen kannst.« Er verzog das Gesicht bei dem Gedanken an Steuern und warf einen finsteren Blick auf den Baby-Aal auf seiner Gabel.
»Montag in einer Woche möchte ich fort sein. Ich warte nur auf die Nachricht, dass die Wilhelmina sicher in Calais eingelaufen ist, dann breche ich auf.« Jared biss in den Aal und nickte Jamie zu, während er mit vollem Mund redete. »Ich lasse das Geschäft in guten Händen zurück, Junge; was das betrifft, mache ich mir keine Sorgen. Aber vielleicht sollten wir uns vor meinem Aufbruch noch ein wenig über andere Dinge unterhalten. Ich habe mit dem Grafen Marischal ausgemacht, dass wir ihn übermorgen zum Montmartre begleiten, damit du Seiner Hoheit Prinz Charles Edward deine Aufwartung machen kannst.«
Ein plötzlicher Stoß der Erregung traf meine Magengrube, und ich wechselte einen raschen Blick mit Jamie. Er nickte Jared zu, als wäre dies nichts Ungewöhnliches, doch in seinen Augen glitzerte die Vorfreude, als er mich ansah. Das war also der Anfang.
»Seine Hoheit lebt in Paris sehr zurückgezogen«, sagte Jared und machte dabei Jagd auf die letzten Baby-Aale, die, vor Butter glänzend, über seinen Teller rutschten. »Es würde sich nicht für ihn geziemen, sich in der feinen Gesellschaft zu zeigen, solange ihn der König nicht offiziell willkommen heißt. Also verlässt Seine Hoheit nur selten das Haus und empfängt nur wenige Personen, mit Ausnahme der Anhänger seines Vaters, die ihn besuchen, um ihm ihre Aufwartung zu machen.«
»Das habe ich aber anders gehört«, mischte ich mich ein.
»Was?« Zwei verblüffte Augenpaare wandten sich in meine Richtung, und Jared legte die Gabel aus der Hand und überließ den letzten Aal seinem Schicksal.
Jamie sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Was hast du gehört, Sassenach, und von wem?«
»Von den Dienstboten«, sagte ich und heftete den Blick auf meinen Teller. Erst Jareds Stirnrunzeln brachte mich auf den Gedanken, dass es möglicherweise nicht üblich war, dass die Dame des Hauses mit den Hausmädchen plauderte. Nun, zum Teufel damit, dachte ich aufmüpfig. Es gab ja sonst nicht viel für mich zu tun.