Als er ihr sein großes Geheimnis anvertraute, den letzten Entschluß, Schriftsteller zu werden, geschah es in der Erwartung, einen Begeisterungssturm auszulösen.
Lena nahm die Neuigkeit ohne jede Gemütsbewegung auf. Sie verzog nicht einmal die Lippen, als sie sagte: „Ach? Petka hat mir erzählt, daß er Flieger werden will. Das ist auch ein schöner Beruf."
Jurka war entsetzt.
Etwas später kam Petka. Er setzte sich zu ihnen, als wäre es sein Balken. „Guten Abend, Lena."
„Guten Abend", erwiderte das Mädchen, „morgen reise ich ab."
„Mit der ,Irtysch'", sagte Petka. „Kommst du zum Hafen?" fragte Lena.
„Ehrensache, daß wir kommen."
„Das Schiff geht um neun."
„Um neun Uhr zwanzig", verbesserte Petka.
Hierauf verstummte das Gespräch. Jurka meinte, die beiden schwiegen, weil er dabeisaß. Er war tief gekränkt, stand auf und ging ins Haus. Sie hielten ihn nicht zurück.
Als er Minuten später durchs Fenster lugte, saßen beide auf der gleichen Stelle. Sie schwiegen noch immer. Als er zum zweitenmal ans Fenster trat, war der Balken leer. Das setzt allem die Krone auf, fand Jurka. Zu Tode beleidigt verkroch er sich ins Bett, ohne vorher die Sachen auszuziehen. Übrigens schlief er traumlos und fest.
Am Morgen kam Petka, um ihn abzuholen. Sie gingen zusammen zum Hafen.
Sergej Michailowitsch, Lena und ihr Vater waren bereits da. Dimka hatte sich nicht eingefunden.
„Wo bleibt Dimka?" fragte Lena. Sogleich waren alle aufgeregt und äußerten die verschiedensten Vermutungen, wo Dimka stecken könnte und warum er nicht gekommen war, als hätte es im Augenblick nichts Wichtigeres gegeben.
Die Dampfersirene heulte einmal.
„Also", sagte Sergej Michailowitsch, „verabschieden wir uns. Dimka kommt sicher nicht mehr."
Lenas Vater drückte ihm kräftig die Hand. „Dann bleib gesund. Ich danke dir für alles."
„Und was soll nun werden, wo geht es anschließend hin?" fragte Sergej Michailowitsch. „Wieder zu uns?"
„Das weiß ich noch nicht genau. Daheim habe ich ein Haus. Das kann man natürlich verkaufen."
„Wieso weißt du es plötzlich noch nicht?" meldete sich Lena. „Bei uns gibt es keine zehnklassige Schule, nicht einmal eine siebenklassige. Ich will lernen."
„Ich sage ja, das Haus können wir verkaufen."
Jurka kam dem Mädchen zu Hilfe. „Unsere Schule ist ganz große Klasse."
Die Dampfersirene heulte zweimal.
Lena ging mit ihrem Vater über die Schiffstreppe. Oben angekommen, stellten sie sich an die Reling.
Die Dampf ersirene heulte dreimal. Die Maschine stöhnte auf. Ein Zittern lief durch das Schiff. Unter dem Heck schäumte und brodelte das Wasser.
Der Abstand zum Ufer betrug schon einen halben Meter, als Petka an Jurka und Sergej Michailowitsch vorübersauste. Mit einem Satz war er an Bord.
„Die Adresse", schrie er Lena ins Ohr, „ich habe vergessen, dir die Adresse zu geben. Swerdlowstraße achtzehn."
Ein zweiter Sprung brachte ihn auf die Anlegestelle zurück. An Bord lärmten und lachten die Leute. Aus dem Lautsprecher am Mast plärrte Marschmusik. Alle anderen Geräusche gingen darin unter. Bald fuhr der Dampfer in den Jenissej ein. Vom Wasser stiegen die Möwen auf, ihm das Geleit zu geben. Jetzt erst traf im Hafen Dimka ein, schweißbedeckt, außer Atem, das Gesicht gerötet vom schnellen Lauf. Fassungslos und beleidigt sah er die anderen an.
„Ist das dumm!" jammerte er. „Fünf Rubel habe ich für den da ausgegeben und auch noch ein Halsband gekauft." Er knöpfte das Hemd auf. Ein Hündchen kam zum Vorschein. Es war schmutzig wie eine Kröte. „Extra nach Surguticha bin ich gelaufen. Es ist ein echter Eskimohund. So was gibt es hier nicht. Lena hätte sich bestimmt gefreut."
„Ja, den wirst du nun behalten müssen", schnarrte Sergej Michailowitsch. „Das ist nicht so schlimm. Unterwegs hätte er doch nur gestört."
Dimka war gekränkt. „In einem Jahr bellt er die Vögel an."
Sergej Michailowitsch lachte, widersprach aber nicht.
„Na, dann lebt wohl, Jungs", verabschiedetet er sich.
„Ich habe noch einen weiten Weg vor mir."
„Wo stecken Sie jetzt?"
„Vierzig Kilometer von hier. Im Frühjahr kommen wir wieder. Dann sehen wir uns. Ich werde euch erzählen, was wir inzwischen gefunden haben, und ihr berichtet über eure Erfolge."
„Wir suchen nichts mehr", entgegnete Jurka.
„Warum nicht? Das wäre ein Fehler. Sucht weiter, gebt nur acht, daß ihr euch nicht zu weit von der Stadt entfernt. Ich sage immer, die Welt ist groß, aber rund. Jedes Städtchen, selbst das kleinste und unscheinbarste, steht, von einem entgegengesetzten Punktaus betrachtet, auf der höchsten Stelle. Auch euer Ust-Kamensk."
Die Kinder begleiteten Sergej Michailowitsch bis zur ersten Blinkanlage.
„Ich werde trotzdem weiterlernen", verkündete Petka, nachdem sie sich verabschiedet hatten, „unter allen Umständen. Ich habe keine andere Möglichkeit. Mit dem Abschluß der siebenten Klasse komme ich nie in eine Fliegerschule. Ich habe mich genau erkundigt und heut mit meiner Mutter gesprochen. Wißt ihr, was sie sagt? ,Als ob ich je dagegen gewesen wäre, nur du hast dir in den Kopf gesetzt, nach der siebenten abzugehen.' Dabei kamen ihr die Tränen. Als ich ihr erklärte, daß ich von der Schule gehen wollte, hat sie auch geweint. Da soll sich ein Mensch rausfinden."
„Mein Entschluß steht ebenfalls fest", behauptete Jurka. „Er ist endgültig. Aber vorläufig spreche ich nicht darüber. Sonst lacht ihr mich aus. Es ist noch zu früh."
Dimka jammerte: „Und ich habe mein ganzes Geld verplempert. Wenn es wenigstens nicht umsonst gewesen wäre."
„Jetzt tut dir's wohl leid?" höhnte Petka.
„Ach was!" empörte sich Dimka. „Wo ich aufs Geld spucke wie auf sonst was. Der Hund ist mir mehr wert. Aber knauserig bin ich deswegen nicht. Von mir aus verschenke ich ihn sogar. Willst du ihn haben? Das Halsband kriegst du dazu. Bitte." Er zog das Hündchen hervor und streckte den Arm aus.
Petka beachtete es nicht. Da hielt ihm Dimka den kleinen Kerl direkt vors Gesicht. Petka schob ihn sanft zurück. Dimka stieß mit der Schulter zu. Petka schubste, und Dimka rempelte kräftig Petka an. Die Knuffe wurden stärker. Trotzdem war es keine Rauferei, sondern ein Schritt zum Frieden. Jurka erfuhr nicht, weshalb sie sich verkracht hatten.
Alle drei kletterten die Böschung hoch und nahmen den Weg, der in den Wald führte. Sie sahen runter auf den Jenissej. Kähne fuhren stromauf, eine lange Reihe. In geringem Abstand folgte ein zweiter Zug. Auf den Decks standen Traktoren, Lastwagen, mit Planen verdeckte Maschinen.
Petka wunderte sich. „Sie kommen in die Tunguska. Warum eigentlich? Früher sind sie immer vorbeigefahren."
„Ach, wer weiß", meinte Dimka leichthin. „Sie werden wohl eine Straße bauen. Ich habe euch ja schon gesagt, daß sie letztes Jahr die Taiga vermessen wollten. In Baikit hat man Erz gefunden, so viel, daß es für die ganze Sowjetunion reicht und noch was übrigbleibt."
„Das ist Schwindel. Bis Baikit sind es hundert Kilometer. Wie wollen sie durch die Taiga kommen?"
„Ich habe euch doch gesagt, daß eine Straße gebaut wird. Die ist eins, zwei, drei fertig bei den Maschinen, die wir haben."
„Los, die Schiffe müssen wir uns aus der Nähe angucken."
„Ja, runter!"
Die Jungen liefen zur Anlegestelle zurück, schneller und schneller, neuen Entdeckungen entgegen. Wer hätte da langsam gehen können?
Ende
Diamantenpfade