Die Wilddiebe hatten es plötzlich sehr eilig. Ich mußte lachen. Das waren erwachsene Männer, und sie liefen vor uns davon. Als Stjopka aber nicht aufhörte, einen Paragraphen nach dem anderen hinter ihnen herzuschreien, wurde es Sergej Sergejewitsch schließlich zu bunt. Er machte kurzentschlossen kehrt und rannte auf uns zu. Stjopka ergriff das Hasenpanier. Ich blieb verwirrt stehen. Sergej Sergejewitsch war krebsrot im Gesicht. Er stampfte mit den Stiefeln auf wie ein Stier. Offenbar ging es ihm jedoch nur darum, Stjopka das Fell zu gerben. Von mir nahm er keine Notiz. Das fand ich kränkend. „Wilddieb", flüsterte ich ihm nach, so leise, daß ich es selber kaum hörte.
Stjopka rannte eine Weile auf dem Pfad weiter, bog dann in den Wald ein und stapfte durch den hohen Schnee. Sergej Sergejewitsch immer hinterher, bis er sich in seinem Pelzmantel verfing. Zum Schluß standen sie sich in einem Abstand von zwanzig Metern gegenüber. Sergej Sergejewitsch fluchte.
„Vater", brüllte Stjopka wie am Spieß, „hierher!"
Sergej Sergejewitsch erkannte, daß er gegen den Jungen nichts ausrichten konnte. Er wich zurück. Stjopka folgte ihm. Sergej Sergejewitsch spuckte aus und rannte los. Stjopka blieb ihm auf den Fersen. „
Du räudiger Wilddieb", schallte es durch den Wald, „lauf nur, mir entkommst du nicht. Personen, die sich des Verstoßes gegen die oben angeführten Verbote schuldig machen, werden gerichtlich zur Verantwortung gezogen."
Immer mutiger wurde Stjopka, immer näher rückte er an die Wilddiebe heran, die wie ein scheuendes Pferdegespann durch das Unterholz jagten.
Als den dreien schon die Sachen am Leibe dampften, kamen wir auf einer unbekannten Straße heraus. „Gleich nageln wir sie fest", sagte Stjopka. „Hier fahren bestimmt Autos."
Die Wilderer schwenkten auf die rechte Seite ab, und wir erblickten einen blauen Pobeda, der am Straßenrand parkte. Im Nu saßen sie alle drin. Der Schlag klappte zu, die Räder drehten sich. Es war so schnell gegangen, daß wir nicht einmal die Nummer erkannt hatten. Wie begossene Pudel standen wir auf der Straße.'
„Warum hast du ihnen auch solche Angst eingejagt", meinte ich vorwurfsvoll zu Stjopka. „Von den Gerichten hättest du nicht auch noch anzufangen brauchen. Es wäre viel vernünftiger gewesen, sie still und heimlich zu verfolgen. Dann hätten wir jetzt wenigstens die Nummer."
„Ich wollte ihnen keine Angst machen, sie nur ein bißchen ärgern. Konnte ich ahnen, daß sie solche Angsthasen sind?"
Wir hörten Motorengeräusch und fuhren herum. Vor uns stand ein Lastwagen. Der Fahrer reckte den Oberkörper durchs Fenster. Er drohte mit der Faust. „Ihr wißt wohl nicht, daß die Straße rutschig ist! Wegen euch Parasiten landet man noch im Gefängnis."
Ich sah, daß Stjopkas Blick unruhig hin und her hüpfte, ein Zeichen dafür, daß er scharf nachdachte.
„Genosse Schofför", rief er, „das war keine böse Absicht. Wir tippeln gerade ins Krankenhaus zum Bruder. Wenn Sie uns bis Priosersk mitnehmen könnten?"
„Zu welchem Bruder?" wollte der Fahrer wissen.
„Zu meinem", erwiderte Stjopka. „Sie haben ihm den Bauch aufgeschnitten."
Der Fahrer schwieg eine Weile. Dann fragte er: „Wie alt ist er?"„Fünf."
„Sind das Geschichten. So ein kleiner Kerl und muß schon operiert werden. Los, steigt ein."
Wir setzten uns neben ihn. Als wir einige Meter gefahren waren, fragte der Schofför: „Und was sagen die Ärzte? Wird er durchkommen?"
„Er ist nicht mehr", antwortete Stjopka.
„Dann fahrt ihr wohl zum Begräbnis?"
„Nein. Ich habe überhaupt keinen Bruder."
Der Fahrer bremste so scharf, daß der Wagen ins Schleudern geriet.
„Raus mit euch! Lausebengel."
„Genosse Schofför", flehte Stjopka, „ich meine es ehrlich und hätte bestimmt nicht geschwindelt. Aber wenn wir die Wahrheit sagen, wird uns ja immer nicht geglaubt. Wir müssen wirklich ganz schnell zur Miliz."
„Und dann wohl zur Schwester?" fragte der Schofför.
„Nein, das mit der Miliz ist wahr. Ehrenwort." Stjopka erzählte ihm, wie sich alles zugetragen hatte.
Danach sagte der Schofför: „Mußtest du erst schwindeln?? Wenn du ehrlich gewesen wärst, hätte ich euch auch mitgenommen."
„Nein, nein", entgegnete Stjopka, „das weiß ich besser. Es muß schon jemand tot sein oder im Sterben liegen, sonst ist man verraten und verkauft."
Der Fahrer lachte und startete erneut. Er konnte sich nicht wieder beruhigen. Um ein Haar wäre ihm eine Kuh unter die Räder geraten.
Er brachte uns bis zur Miliz, ging sogar mit uns hinein.
Der diensthabende Offizier war ein junger Leutnant mit roten Wangen. Stjopka erstattete ihm Bericht. Um seine Worte noch eindrucksvoller zu machen, fügte er hinzu: „Sie hatten auch alle einen Dolch bei sich."
Ich stand neiderfüllt neben meinem Freund. Nie im Leben wäre ich auf einen so brauchbaren Trick verfallen. Vielleicht hätte es dieser Lüge gar nicht bedürft. Der Leutnant funkelte ohnedies mit den Augen.
„Habt ihr die Nummer erkannt?" „Leider nein." Er setzte sich wieder hin.
„Zu dumm. Wie soll ich nach ihnen fahnden lassen?"
„Leutnant, weißt du was", schaltete sich der Fahrer ein, „komm in meinen LKW. Die Spitzbuben sind bestimmt aus der Stadt, da könnte ich wetten. Auf der Landstraße werden wir sie erwischen. Einundsechzig Kilometer von hier ist der Kontrollposten. Die Genossen sollen den Wagen anhalten. Ruf doch an. Welche Farbe hat das Auto?"
„Es ist blau", erwiderte Stjopka.
Alles vollzog sich haargenau so, wie der Fahrer vorausgesagt hatte. Eine Stunde später waren wir am Ziel. Allerdings erblickten wir nicht nur einen blauen Pobeda, sondern gleich vier. Die Insassen standen auf der Straße, gestikulierten und schimpften, was das Zeug hielt. Der eine jammerte, er käme zu spät ins Theater, ein anderer wollte sein Flugzeug nicht verpassen.
Ein dritter griff sich an die Pelzmütze und stieß mit dem Stiefelabsatz gegen die Motorhaube seines Autos.
„Begreifen Sie doch", regte er sich auf, „dieser Wagen ist nicht blau, sondern ultramarin. Nicht blau, ul-tra-ma-rin!"
Unser Fahrer wiegte bedenklich den Kopf. „Na, die werden dir die Hölle heiß machen, Leutnant. Sehen ganz danach aus."
Der Leutnant stieg aus. Sogleich stürzten sich alle auf ihn.
„Haben Sie veranlaßt, daß wir hier festgehalten werden?"
„Wie Verbrecher behandelt man uns."
„Geben Sie mir Ihren Namen."
„Nicht einmal sonntags hat mein seine Ruhe."
Stjopka lief um einen Pobeda herum und rief: „Hier sind sie, Genosse Leutnant, kommen Sie her, hier sind sie!"
Die Menschen machten einen Lärm wie eine Betonmaschine.
Der Leutnant sprach auf jeden einzelnen ein, aber keiner hörte ihm zu. Der Mann mit der Pelzmütze zog ihn am Ärmel zu seinem Auto. Er schrie ununterbrochen, daß der Wagen nicht blau, sondern ultramarin sei. Ich war im Fahrersitz geblieben und hatte auch jetzt keine Lust auszusteigen. Eigentlich hatten wir ja das Donnerwetter heraufbeschworen und nicht der Leutnant. Zum Glück eilte der Inspektor herbei, der die blauen Pobedas angehalten hatte.
„Aber Genossen, beruhigen Sie sich doch", sprach er auf die erregten Menschen ein. „Der Leutnant erfüllt nur seine Pflicht. Warum machen Sie ihm das Leben schwer? Es lag der Befehl vor, jeden blauen Pobeda zu stoppen. Eine halbe Stunde haben Sie hier zugebracht, Bürger, länger nicht, aber durch dieses kleine Ungemach beigetragen, eine Verbrecherbande dingfest zu machen. Jetzt können Sie Weiterreisen — außer diesem Wagen da, der bleibt hier. Schönen Dank", sagte er, zog den Handschuh aus und streckte jedem die Hand hin, „schönen Dank auch Ihnen, und Ihnen gleichfalls."