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Vom Horizont her, aus der unverschleierten, starren Ferne, kommen in friedlichem Spiel grüne Wellen herangeplätschert. Nahe dem Ufer spüren sie den Grund unter sich. Da beginnt die Brandung. Hoch bäumen sich die Wellen auf, brüllen und tosen. Wie von Riesenfäusten geschüttelt, erzittern die Felsen. Schaum spritzt über die grün- und braunzottigen Steine. Zerfetzte Rinnsale jagen durch Spalten und Klüfte, prallen aufeinander, schießen zischend in die Luft und sinken Augenblicke später klatschend zurück.

Auf sandigem Grund tanzt der Tang zum Rhythmus der See einen trägen, unendlichen Reigen. Wie Astern im Wind neigen und recken die Meeresblumen ihre Blütenköpfe.

Tag für Tag hat das Wasser die Erde fortgeleckt. Was sich mit in die Ferne führen ließ, ist längst hinweggespült. Darum leuchtet das Meer am Ufer in kristallener Klarheit und strahlt lichterfüllt wie vor Sonnenaufgang der Himmel. Wenn die See ruhiger wird, tummeln sich bunte, glotzäugige Fische im seichten Wasser, bewegen die geschmeidigen Flossen, stoßen faul mit der Nase gegen die Steine, als wollten sie sich vergewissern, daß die Insel noch an der alten Stelle steht. Haben sie sich im Spiel am Ufer Genüge getan, geht es durch zittrige Lichtstreifen zurück in die Tiefe des Meeres.

Dort, in der samtigen Finsternis, ruhen auf schlammigem Grund wohlgeformte Säulen mit eingemeißelten Schriftzeichen. Kunstvoll verzierte Geländer schützen die riesigen, in die Berghänge gehauenen Treppen.

Spitzen Riesenhelmen gleich, ragen die vergoldeten Kuppeln der Tempel empor.

Könnten die Bewohner des Meeres denken, würden sie nicht müde werden, die versunkenen Wunder anzustaunen: das aus farbigen Gesteinen bestehende Mosaik der Wände, die geräumigen Paläste, in denen sich einst Wind und Sonnenschein ein Stelldichein gaben, die kupfernen Opferschalen, die aus Elfenbein geschnitzten Streitkeulen, das Büdnis eines großen Drachen, der seine Flügel über die Fluten breitet.

All das wurde von Menschenhand geschaffen. Und vom Meer verschluckt.

Nur der steinerne Reiter nicht. Der sitzt noch heute wie vor Tausenden Jahren auf seinem Roß, obgleich sich um ihn her und von ihm unbemerkt alles veränderte. Diejenigen aber, denen er in der Nacht, da die Berge barsten und es Sterne vom Himmel regnete, über das unversehrt gebliebene Stück Land einen Weg wies, die sind nicht mehr.

Vor langer Zeit hatten Menschen hier auf zwei Inseln ein Reich errichtet.

In diesem Land waren Blumen erblüht und Gräser gewachsen, die heute niemand mehr kennt, auch Bäume mit Stämmen so biegsam wie Gerten — und Früchten, die, wenn sie reif geworden, köstliche Speisen und Getränke und heilende Salben lieferten.

Ein Korn, das auf die Erde fiel, ließ in sechs Monaten tausend Körner reifen. Niemand wußte, was Hunger war.

In den dichten Wäldern lebten Herden wilder Elefanten. Sie griffen die Menschen nicht an, sondern kamen vor ihre Häuser, um dienstbar zu sein.

Diejenigen, die das Inselland zuerst erblickten, waren geblendet von seinem Reichtum und sprachen: ,Hier laßt uns leben.'

Sie bauten Paläste, gruben Kanäle, schufen die Hauptstadt und andere Städte. Atlantis nannten sie ihr Reich, zu Ehren des großen Meeres, das sie auf seinen Fluten hergetragen hatte.

Als sie die Erde durchwühlten, fanden sie in ihrem Schoße von Menschenhand gehauene Säulen und Herdplatten. Auch Tafeln, mit Zeichen beschrieben. Da wußten alle, die gekommen waren, daß vor ihnen schon Menschen in diesem Land gelebt hatten. Nur was aus ihnen geworden, vermochte niemand zu sagen.

Dann förderte man ein steinernes Standbüd zutage, einen Mann, der, aufrecht stehend, die linke Hand zum Himmel reckte und die rechte so hielt, als ließe er zwischen Daumen und Zeigefinger etwas zur Erde rieseln. Die Augen hatte er geschlossen. In sein Gewand waren zwei Monde gemeißelt und ein geflügelter Drache, der die Sonne verdeckte. Da die Menschen den Sinn dieser Bilder nicht zu deuten vermochten, blieb die Statue an der gleichen Stelle stehen, wo man sie gefunden hatte: auf einem Berg, von dem aus die Insel und das angrenzende Meer vortrefflich zu überschauen waren.

Nachdem die Siedler alle nötigen Arbeiten verrichtet hatten, begann für sie ein Leben, das frei war von jeder Sorge um die Zukunft. Der fruchtbare Boden beschenkte sie mit Nahrung im Überfluß. Wie die Überlieferung berichtet, waren die Bewohner von Atlantis ein glückliches Volk.

Kurzweilig, auf angenehme Weise verbrachten sie die Zeit. Die Frauen schmückten sich mit Gold und einem zauberhaften Metall, das bei Anbruch der Dunkelheit in mattem, geheimnisvollem Licht erstrahlte. Die Männer erlangten in der Kriegskunst eine ungeahnte Geschicklichkeit. Sie handhabten die Waffen zur Verteidigung ihres Lebens so meisterhaft, daß sie bei Turnieren und militärischen Wettkämpfen einander keine Schramme mehr beibringen konnten. Die wagemutigen Kinder der Atlantisbürger aber stürzten sich von den höchsten Felsen ins Meer. Sie lachten und tollten im Wasser, daß es eine Lust war, und schwammen weit hinaus — bis dorthin, wo die lustigen Fischlein mit ihren krummen Rücken Purzelbäume schossen.

Dann brach eine Zeit an, da die Bewohner von Atlantis in den Wissenschaften und Künsten sowie bei der Verschönerung ihrer Wohnstätten solche Erfolge erzielt hatten, daß die Grenzen des Möglichen erreicht schienen. Sie sagten die Bewegungen der Gestirne voraus und die Richtung, aus der die Winde wehen würden. Vor den Fenstern brachten sie steinerne Gardinen an, fast so fein wie Spinngewebe. Auch lernten sie, aus Blumen Farbe herzustellen und aus den Erzen der Erde Metalle zu gewinnen. Von den Gärten des Herrschers trug jedes leichte Lüftchen liebliche Weisen ans Ohr. Wenn der Wind zunahm, erklang die Musik lauter und lauter, bis sie das Tosen der Brandung übertönte. Bei Sturm aber lag eine machtvolle Melodie über der Stadt. Sie erfüllte die Straßen und packte die Menschen, als sängen Himmel und Erde in urgewaltigem Chor. Dies war das Lied der Gärten, in denen alle Sträucher und Bäume aus purem Gold bestanden und aus dem zauberhaften Metall, das bei Anbruch der Dunkelheit in mattem, geheimnisvollem Glanz erstrahlte.

So lebten die Menschen von Atlantis.

Viel Zeit verging, bis sie erfuhren, daß aller Reichtum sowie ihr Leben vergänglich waren. Da schlich sich die Furcht in ihre Herzen."

,Jurka, ins Bett mit dir!"

„Ja, gleich, Papa." 

Vaters Stimme klang faul, verschlafen, und Jurka wußte: Wenn ich ein paar Sekunden ruhig sitze, träumt er wieder: Acht Stunden ist er gestern in der Luft gewesen, ist mit seiner „Schawruschka", dem zweisitzigen Amphibienflugzeug Sch-2, über die Taiga geflogen, jetzt wird er vor Mittag kaum aus den Federn finden. Früher hatte es Jurka immer ein wenig gewurmt, daß der Vater keine großen Maschinen fliegt und nie höher steigt als tausend Meter, daß er auf den gewundenen Taigaflüßchen landet, die so schmal sind, daß man einen Stein darüberwerfen kann, oder auf den öden Seen, oder auf dem Jenissej oder irgendeinem fernen steinigen Fleck.

Im vorigen Jahr änderte Jurka seinen Standpunkt. Das war, als Papas „Schawruschka" mit dem Bauch in einem unter Wasser verborgenen Haufen von abgesunkenem Flößgut hängenblieb und die ganze Abteüung länger als vierundzwanzig Stunden nach dem Verschollenen suchen mußte. Da begriff der Junge, daß dieses niedrige „Insektenschwirren", bei dem der Pilot das Recht hat, „seinen Landungsplatz nach eigenem Gutdünken zu wählen", weit gefahrvoller ist als ein Langstreckenflug in der modernsten Maschine. Von diesem Tag an bemerkte Jurka, daß der Vater, wenn er von der Arbeit nach Hause gekommen war, bisweilen über dem Abendessen einschlief und des Nachts häufig im Traum redete.

„Jurka!"

„Gleich, Mutter."

Aber Mutter läßt nicht mit sich umspringen wie Vater. Sie kriecht aus dem Bett, zieht den Morgenrock über, kommt aus dem Schlafzimmer getapst. Dann steht sie in der Tür, mit halbgeschlossenen Augen, weil die Sonne blendet.