„Ja, es stimmt", antwortete ich, „sie haben ihn geschossen."
„Ich lasse euch laufen", fuhr der Leutnant fort, „nur müßt ihr mir die Wahrheit sagen. Wenn sie ihn tatsächlich getötet haben, werden sie keine Beschwerde einreichen. In diesem Fall möchte ich die Sache weiterverfolgen, sie den Untersuchungsorganen übergeben, den Experten. Die Nummer vom Pobeda hab ich notiert. Wenn ihr aber alles nur erfunden habt, dann bekomme ich wegen euch Scherereien. Schenkt mir wengistens reinen Wein ein, damit ich weiß, woran ich bin."
Stjopka nahm das letzte Stück Pfannkuchen aus dem Mund. Es wanderte zurück auf den Teller.
„Sie wollten sich mit uns nicht unterhalten. Das haben Sie selber gesagt."
„Doch, ich will. Ihr müßt mir aber reinen Wein einschenken."
Stjopka ist kein Freund von allzu graden Wegen. „Machen Sie die Augen zu", forderte er den Leutnant auf.
„Laß die Scherze", erwiderte der.
„Dann drehen Sie sich wenigstens um."
Der Leutnant stöhnte, wandte sich jedoch ab. Stjopka zog eine Filmkassette aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.
„Bitte."
„Was soll das nun wieder bedeuten?" Stjopka schmunzelte. „Wir sind lange genug um die Wette gerannt. Ich habe den Film rausgenommen. Als der Elch tot war, gingen sie mit ihren Gewehren hin und fotografierten sich. Jetzt brauchen wir nur noch die Abzüge. Dann ist der Fall klar."
Der Leutnant fuhr vom Stuhl hoch. „Hoffentlich hast du den Film nicht belichtet."
„Ach", gab Stjopka entrüstet zurück, „ich bin doch kein Anfänger. Ich hab ihn erst durchgedreht. Jetzt müßten wir ihn entwickeln lassen. Bei uns im Dorf kenn ich einen Fotografen."
„Nein, nein, mir genügt, daß ich euch kennengelernt habe. Auf die Bekanntschaft des Fotografen kann ich verzichten. Den Film gebe ich ins Labor. Vorher bringe ich euch nach Hause."
„Na gut, nehmen Sie die Kassette", willigte Stjopka ein, „aber wie steht's mit einer Bescheinigung für die Schule? Eigentlich mußte ich heute zum Unterricht."
Der Leutnant lachte. „Keine Sorge, das bringen wir in Ordnung. In welcher Schule seid ihr?"
Stjopka sagte es ihm. Der Leutnant begleitete uns ein Stück die Straße entlang. Dann hielt er einen Wagen an. Wir fuhren fast bis vor die Haustür.
Am Montag eilte Anna Naumowna im Laufschritt auf Stjopka zu.
„Chokkanen, wo warst du gestern?"
„Ich bin sehr früh von zu Hause fortgegangen. Ich wollte in die Schule, aber dann kam es anders."
Die Klasse lachte. Die Poljanskaja wurde rot. Offenbar hatte sie sich übers Wochenende noch mehr in meinen Freund verliebt.
„Daß du nicht hier warst, habe ich gemerkt. Nur weiß ich immer noch nicht, warum es anders kam."
„Weil wir ein paar Spitzbuben fangen mußten. Mein Freund Krylow und ich."
Die Klasse war entzückt, davon zeugte das Gelächter. Man kannte doch Stjopka, diesen Windhund. Sogar Anna Naumowna biß sich auf die Lippen, um ernst zu bleiben.
„Und? Habt ihr sie erwischt?"
„Natürlich — das heißt, nicht die Spitzbuben persönlich, nur zwei Fotos von ihnen. Aber das ist ja egal. Der Leutnant holt die Untersuchungsorgane."
Anna Naumowna runzelte die Stirn.
„Hör mal, Chokkanen, jetzt reicht mir das mit deinen Fliegern, Künstlern, Spitzbuben, Leutnants, Untersuchungsorganen..."
„Adlern", schrie die Klasse.
„Und mit deinen Adlern. Nach dem Unterricht wirst du zwei Stunden hierbleiben. Ich habe mit dir ein ernstes Wort zu reden, das letzte."
Anna Naumowna hatte kaum ausgesprochen, als die Tür aufging und der Sportlehrer eintrat.
„Chokkanen und Krylow zum Direktor", meldete er. „Was haben sie denn nun schon wieder ausgefressen?" Anna Naumowna stöhnte. „Das weiß ich auch nicht", erwiderte der Sportlehrer, „da ist jemand von der Miliz gekommen. Der hat nach ihnen gefragt."
Anna Naumowna wurde leichenblaß.
„Kinder, was habt ihr wieder angestellt? Schnell, sagt es mir."
Uns war selber nicht ganz wohl zumute. Schwitzend, mit pochenden Herzen traten wir den schweren Gang zum Direktor an. Anna Naumowna begleitete uns. Sie klopfte. Schon beim Öffnen der Tür sahen wir unsern Leutnant. Er saß am Tisch. Der Direktor hielt einige Fotos in der Hand.
„Ah, unsere Detektive", begrüßte uns der Direktor. „Na, Chokkanen, was macht dein Bruder? Haben sie ihm den Bauch wieder zugenäht?"
Der Leutnant lachte. Er hatte also gepetzt. Es gab keine Liebe mehr unter den Menschen.
Der Direktor stimmte in das Lachen ein.
„Der Genosse Leutnant sprach von zwei Jungen aus unserer Schule. Ich zerbrach mir den Kopf und kam nicht darauf, wen er meinte. Aber als er die Geschichte von der Operation erzählte, wurde mir alles klar. Das konnte nur Chokkanen gewesen sein. Na, und wo der steckt, darf Krylow natürlich nicht fehlen."
Der Direktor reichte uns die Fotos. Es war alles gut getroffen: der Elch, die Wilddiebe, ihre Gewehre. Leid tat mir nur, daß wir beide fehlten. Wir hätten uns dazustellen sollen.
Anna Naumowna blickte mir über die Schulter.
„Lieber Himmel, das ist ja barbarisch! Dann stimmt es wohl tatsächlich, daß ihr diesen Menschen das Handwerk gelegt habt?"
„Ja, so kann man sagen", bestätigte der Leutnant, „es ist ausschließlich ihr Verdienst."
„Und was wird jetzt mit den Wilderern geschehen?"
„Sie kommen vor ein Gericht. Ich habe sämtliche Materialien den Untersuchungsorganen übergeben. Unsere beiden Helden werden als Zeugen vorgeladen. Aber machen Sie sich keine Sorgen."
„Nein", sagte der Direktor, „jetzt machen wir uns keine mehr."
Der Leutnant verabschiedete sich. Zum Andenken schenkte er uns die beiden Fotos.
Das eine bekam die Poljanskaja. Stjopka wollte es so. Das andere nagelten wir an den Gartenzaun und benutzten es als Zielscheibe für unsere Schneebälle.
Ich vertraue dir
Die Kassiererin des Flughafens erhob sich von ihrem Stuhl. Vor dem Schalter stand ein etwa zwölfjähriger Junge in Anorak und Kapuze.
„Willst du etwa allein fliegen?"
Der Junge nickte.
„Wo hast du denn das Geld her?"
Die Hand mit den Scheinen kroch vom Fenster zurück. Der Junge blickte mißtrauisch die Kassiererin an und schlenderte dem Ausgang zu.
„Warte doch", schallte es hinter ihm her.
Er wollte schon auf die Straße schlüpfen, als die Tür von einem hünenhaften Flieger versperrt wurde.
„Halten Sie ihn!"
Eine große Hand legte sich dem Jungen auf die Schulter. Er versuchte sich loszumachen, wurde aber mühelos zurückgeschoben.
„Was hat er ausgefressen?"
Die Kassiererin kam heran. „Ach, Sie sind es, Goga? Ein komischer Bursche. Er wollte allein fliegen. Das Geld dazu hat er."
„Soso", sagte der Flieger, „wir werden gleich sehen."
Er war ein Riese. Der Junge reichte ihm kaum bis zum Gürtel.
„Na, hast du die Sprache verloren?" fragte er. „Wie heißt du?"
„Lassen Sie mich los!"
„Erst mußt du mir verraten, wohin du fliegen willst. Und warum. Du wirst vielleicht in meiner Maschine sitzen, und da muß ich das wissen, siehst du. Bei uns hat alles seine Ordnung."
Der Junge hob das scharfgeschnittene Kinn in die Höhe. Er blickte den Flieger an. Seine Lippen zitterten.
„Sie sollen mich loslassen. Warum ich fortfliege, geht Sie gar nichts an."
Die Kassiererin lachte. „Ein richtiger Iltis."
Der Blick, den ihr der Flieger zuwarf, trieb ihr das Blut ins Gesicht.
„Gehen wir", sagte er zu dem Jungen, „unterwegs kannst du mir alles erzählen."
Sie kamen an riesigen Hallen vorbei.
Die Hand blieb auf der schmächtigen Schulter.
„Wohl von zu Hause ausgerückt?" fragte Goga.