„Wo sollen wir gewesen sein?" fragte ich dumm.
„Das möchte ich von dir wissen. Wer hat das Gewehr zerschlagen?"
„Welches Gewehr?"
„Das weißt du sehr genau. Los, raus mit der Sprache. Was habt ihr gemacht?"
„Na nichts", erwiderte ich kleinlaut, „eine kleine Bootsfahrt, was sonst."
„Bleib ihm bloß vom Halse", schimpfte Sjowkas Mutter.
Eine Woche darauf kam er zu mir. „Hast du es keinem erzählt?"
„Nein."
„Behalt's auch weiter für dich."
„Wir müßten die Stelle der Fischereikontrolle zeigen. Meinst du nicht?"
„Dort gibt's nichts mehr zu holen."
„Woher willst du das wissen?"
„Ich weiß es eben. Sprich mit keinem drüber. Ich werde schon alles machen."
„Und ich?"
„Wenn es soweit ist, sage ich dir Bescheid."
„Vater gibt mir neuerdings den Bootsschlüssel", erklärte ich.
Nach einer Kunstpause erwiderte Sjowka: „Boris, wie du weißt, habe ich für ein Zelt gespart. Das Geld hat jetzt Lomakin. Dafür darf ich sein Boot ausleihen."
„Aber wir können doch unseres nehmen", entgegnete ich, „verlang dein Geld zurück."
„Damit wäre er nicht einverstanden. Ich habe sein Boot schon benutzt. Konnte ja nicht ahnen, daß die Sache so günstig steht. Außerdem ist seins schön leicht."
„Dann eben ohne mich."
„Was ist denn? Du hast doch nichts abgekriegt." Sjowka ging fort. Ich konnte mir nicht erklären, womit ich ihn beleidigt hatte. Mir fiel ein, daß seine Mutter gesagt hatte, ich sollte ihm vom Halse bleiben. Ich faßte einen Entschluß: Mit unserer Freundschaft ist es aus.
Fünf Tage darauf kam Sjowka zu mir.
„Boris, eine tolle Sache. Komm schnell."
„Ich habe kein Interesse", gab ich gelangweilt zurück.
„Boris, Menschenskind, laß das Getue. Ich habe seinen neuen Schlupfwinkel entdeckt. Los, wir nehmen dein Boot."
Ich weiß nicht, wie es ihm gelungen war, Stepans Versteck ein zweites Mal zu finden. Wahrscheinlich hatte er den ganzen Tag auf dem Strom zugebracht. Seine Haut glich gegerbtem Leder.
Wir brachen am Tage auf, lange bevor Stepan Feierabend hatte. Diesmal mußten wir noch weiter rudern.
Wieder gelangten wir auf eine Wiese. Ich sah die eingerammten Pfähle, die aufgespannten Netze, die Fangleine. Sie war in mehreren Reihen zwischen die Bäume gehängt. Die Stahlhaken schaukelten hin und her. Wenn zwei zusammenstießen, klingelte es wie ein feines Glöckchen.
Sjowka holte Rasierklingen aus der Tasche.
Ich versuchte ihn zurückzuhalten. „Wozu? Wir nehmen den Kram mit und liefern ihn bei der Fischereikontrolle ab."
Sjowka schüttelte den Kopf. „Er soll wissen, daß ich es gewesen bin."
Ohne weitere Umschweife trat mein Freund an das erste Netz und zersäbelte es völlig.
„Wenn er das wieder flickt, will ich nicht mehr Sjowka heißen", verkündete er und säbelte weiter. „Jetzt die Fangleine."
Insgesamt brauchten wir eine halbe Stunde, um die Netze in einen Haufen zerfetztes Garn zu verwandeln, die Leine in viele winzige Stücke zu zerschneiden und die Haken im Jenissej zu versenken. Aber selbst danach hatte Sjowka sein Mütchen noch nicht gekühlt. Als wir zurückgerudert waren, stöberte er Stepans Boot auf und schlug mit einem Hammer drei Löcher in die Planken.
Sonntag früh bummelten wir ans Ufer.
Stepan stand bei seinem Boot. Er besserte die schadhaften Stellen mit Blechflicken aus. Die Nägel, die er verwendete, waren winzig klein. Uns würdigte er keines Blickes, obwohl wir in einem Abstand vorüberschlenderten, daß er uns unmöglich übersehen konnte.
Erst als das letzte Stück Blech festgenagelt war, fragte er: „Hast du mein Boot so zugerichtet?"
„Allerdings", erwiderte Sjowka.
„Na, dann tritt doch mal näher, wenn du kein Feigling bist."
„Sie haben es ja auch nicht weiter", entgegnete mein Freund.
Stepan stand auf. Sjowka bückte sich und nahm einen Stein in die Hand.
„Verdammter Schweinehund", grunzte Stepan. Er kam heran.
Sjowka hob den Arm.
Ich packte ihn an der Schuler. „Sjowka, was machst du denn!"
Stepan grinste. „Richtig, Miliz, gib's ihm." Sjowka bekam böse Augen. „Misch dich nicht in Dinge, die dich nichts angehn", fuhr er mich an. Er ließ den Stein fallen und kletterte den Hang hoch. Wieder lachte Stepan.
„Dieb!" rief ich und stürzte hinter Sjowka her. Jetzt taten mir die zerfetzten Netze kein bißchen mehr leid.
Als wir am Montag gegen Mittag durch eine Straße gingen, wurden wir von Shuikows Lastwagen eingeholt. Auf gleicher Höhe mit uns drosselte Stepan den Motor, lehnte sich heraus und fragte: „Hast du meine Netze so zugerichtet?"
Es klang beinah fröhlich.
„Allerdings", erwiderte Sjowka.
Wie der Wind war Stepan aus dem Auto. Ehe wir uns versahen, stand er neben uns. Wir rannten, was wir konnten, kamen aber nicht weit, wenige Meter. Da ich als zweiter lief, packte er mich am Kragen. Ich sah seinen verzerrten Mund, sein Gesicht. Er glich gar nicht mehr dem Mann, den wir tags zuvor am Ufer getroffen hatten, und besaß sogar kaum noch Ähnlichkeit mit dem von der Waldwiese. Gleich wird er mich totschlagen, dachte ich, und ich schrie, daß es durch die ganze Straße schallte. Sjowka hörte meine Schreie. Er kam zurückgelaufen. An den Häuserfronten wurden Fenster aufgestoßen. Ich starrte Sjowka an. Er war meine letzte Hoffnung.
Als Stepan den Arm losließ, wandte ich mich um. Neben mir stand mein Vater. Er hatte Stepan gepackt.
„Was geht hier vor?" fragte er. Stepan schüttelte sich. „Nichts weiter, Genosse Chef. Ich wollte die beiden gerade zu Ihnen bringen."
„Boris, was war los?"
„Das Boot haben sie mir kaputt gemacht", antwortete Stepan statt meiner, „den Boden zertrümmert, Genosse Chef. Ein neues Boot."
„Ihr kommt mit", befahl mein Vater, „und Shuikow, Sie gehen an die Arbeit. Ich werde sehen, was los ist."
Mein Vater führte uns zur Dienststelle.
„Wer war das?" fragte er, als wir ihm in seinem Arbeitszimmer gegenüberstanden.
„Ich", erwiderte Sjowka.
„Wir", verbesserte ich ihn.
„Warum habt ihr das getan?"
Ich leckte mir die Lippen. „Weil er ein Dieb ist. Er hat Netze wie die Fischereigenossenschaft und eine Fangleine mit zweihundert Haken."
„Woher weißt du das?"
„Das sagen alle Leute", schaltete sich Sjowka schnell ein.
„Solange er nicht überführt wird, ist er kein Dieb", wies mich Vater zurecht. Er zog fünf Rubel aus der Tasche. „Für die Reparaturkosten. Bring ihm das Geld."
„Ich gehe nicht zu ihm", widersprach ich. Vater zuckte die Achseln. „Dann gehe ich selbst. Du verstehst, daß die Sache für dich dadurch nicht angenehmer wird."
Das sah ich ein und erklärte mich bereit, hinzugehen. „Na schön", sagte ich und nahm das Geld.
Nun hört mal zu, Freunde", sprach Vater weiter, „wozu braucht ihr das Boot?"
„Für Spazierfahrten", gab Sjowka zurück.
,,Wo führen sie euch denn hin, diese Spazierfahrten?"
„Nur am Ufer lang", sagte ich.
„Soso." Mein Vater wiegte den Kopf. „Na gut."
Den Geldschein schoben wir unter Stepans Tür. Wenn er ihn fand, würde er Augen machen.
Fast einen Monat blieb er in seinen vier Wänden. Wir feierten schon unseren Sieg. Gleichzeitig taten wir alles, um ihm nicht wieder über den Weg zu laufen.
Ende Juli sahen wir sein Boot auf dem Jenissej. Aber wir fuhren jetzt für die Genossenschaft das Heu von den entfernteren Wiesen ein. Daher ging es uns wie den Erwachsenen. Wir hatten keine Zeit.
Als wir eines Tages eine neue Fuhre holen wollten und an dem großen Graben vorüberruderten, hatte Sjowka einen Einfall. „Weißt du, wollen wir nicht mal schnell an der Stelle nachsehn, wo wir ihn das erstemal getroffen haben?"