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,,Es scheint, wir sitzen in einer Mausefalle", unkte der Ornithologe.

Viktor hüllte sich in Schweigen. Er wollte seinen Dreier nicht dazugeben.

„Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zum Schutzhäuschen zu rudern und auf besseres Wetter zu warten." 

„Ist man bloß eine kleine Brise", meinte Viktor mit finsterem Gesicht und starrte auf die Spitze seiner Schuhe.

„Hier merkt man den Wind kaum, weil wir uns hinter der Insel befinden. Guck mal, was draußen los ist." Viktor blickte gleichfalls zur Mitte der Wasserfläche. In der bewegten Luft flatterten die Möwen wie Papierfetzen.

Die Insel, auf der das Schutzhäuschen stand, war etwa dreihundert Meter entfernt. Zehn Minuten später setzten sie bereits den Fuß über die Schwelle.

Den Sommer über blieb das Häuschen leer. Zwei eiserne Bettgestelle mit eingedrückten Matratzen füllten das halbe Zimmer aus. An einer Wand stand ein Öfchen, dessen kleine Tür durch Drahtschlaufen festgehalten wurde. Auf dem Tisch lag ein Bastbeutel mit Salz. Die Tapete war schon alt, und an einer Stelle hatte jemand mit fetten Tintenbuchstaben an die Wand geschrieben: „Der Beobachter Wassiljew ist ein Wilddieb."

„Auf dem Boden muß es Daunenfedern geben", murmelte der Ornithologe und ging hinaus. Er kam bald zurück, um einen Armvoll fest zusammengepreßtes Heu auf das eine Bettgestell zu breiten. „Du kannst dich hinlegen. Bei mir hat's damit noch Zeit."

Viktor schielte ihn von unten an, schwieg aber. „Ich warte, bis die Flut am höchsten steht, dann muß ich das Boot aufs Land ziehen", erklärte der Ornithologe. 

„Ich bleibe auch auf."

Der Mann zuckte die Schultern, ließ sich am Tisch nieder und zog sein Büchlein aus der Kartentasche.

Der Junge setzte sich auf den Bettrand. Eine Minute später folgte er dem Drang, die Beine auszustrecken. Nach zwei Minuten war er eingeschlafen.

Als er am nächsten Morgen erwachte, lag er noch lange mit geschlossenen Augen im Bett, jede Sekunde darauf gefaßt, an der Schulter gerüttelt und zum Aufstehen ermahnt zu werden. Da ihn aber niemand wecken wollte, wurde es ihm schließlich zu dumm. Er drehte den Kopf auf die andere Seite und erblickte den Ornithologen, der im Schlaf mit der einen Wange auf das geöffnete Buch gesunken war. Die Arme hatte er weit von sich gestreckt und die Hände gefaltet.

Da fiel Viktor ein: Richtig, das Boot! Vorsichtig, damit die Stahlfedern nicht knarrten, kroch er vom Bett herunter und lief ans Ufer. In geringer Höhe jagten Wolkenfetzen über die Insel. Auf der anderen Seite der Bucht bog der Wind die jungen Birken zur Erde. Von dort drang dumpfer Lärm herüber. In gleichmäßigen Abständen spritzten an den Steinen weiße Wassersäulen empor. Das Schutzhaus hatte eine günstige Lage. Der Wind verschonte die Bucht, so daß es hier verhältnismäßig ruhig war. Nur manchmal schwappte eine ungestüme Woge über das Ufer, streifte kaum das Heck des Bootes, flutete zurück. Gischt schäumte hinterher.

Der Ornithologe hatte über das Boot gewacht und es zu der Zeit aufs Land gezogen, als das Wasser am höchsten stand.

Viktor verharrte eine Weile am Ufer. Dann schlenderte er zum See, der fünfzig Meter hinter dem Schutzhäuschen begann. Die jungen Sägetaucher erschraken vor ihm. Ihre Mutter blickte sich besorgt um und steuerte in die Mitte des Sees. Wie auf eine Schnur gereiht, schwamm die Brut hinterher. Man hätte die Kücken mit einem Knüppel erschlagen können.

Viktor wandte sich dem Häuschen zu. Der Ornithologe stand bereits draußen und betrachtete das Meer. Zwischen der Insel und dem Festland bäumten sich träge die Wellen auf. Von hier sahen sie wie Gekräusel auf einem Spielbassin aus, aber Viktor wußte, daß sich die Fischer bei solchem Wetter auch mit einem Motorboot nur ungern hinauswagten.

„Wenn du's dir verkneifen kannst, geh mal nicht an den See", sagte der Ornithologe mahnend, ohne sich umzudrehen, „du schreckst nur die Brut auf, das ist nicht gut."

Viktor dachte sich seinen Teil.

„Siehst du, wir können uns wieder aufs Ohr hauen.

Schade, jammerschade. Aber was willst du machen?

Legst du dich noch mal hin?"

Es war eine sehr persönliche Frage, und Viktor konnte sie nicht einfach übergehen.

„Nein", sagte er.

„Wenn du Hunger hast, schlaf."

Viktor war hungrig wie ein Bär. Am Vortage hatten sie zwar gefrühstückt, aber nichts eingesteckt. Sie wollten ja beizeiten zurück sein.

„Ich bin ganz satt", schwindelte er, getreu seinem Entschluß, stark zu bleiben.

Der Ornithologe trat ins Haus. Viktor hörte, wie die Bettfedern quietschten. Es klang unsagbar kränkend. Selbstverständlich wußte der Ornithologe keinen Rat, aber es war wohl nicht nötig, sich so aufzuführen.

„Wenn du feststellen willst, ob jemand auf See was taugt, mußt du bis zum nächsten Sturm warten", hatte der Ornithologe einmal gesagt. Nun war Sturm gekommen, aber es gab keinen Kampf, keine lauten Kommandos, nur das Tosen der Naturgewalten. Und das Quietschen der Bettfedern. Und ein erbärmliches Leeregefühl im Magen.

Der erste Tag auf der Insel verlief ohne Zwischenfälle.

Auch der nächste Morgen brachte nichts Neues. Viktor kroch durchs Gebüsch und pflückte eine Handvoll unreife, mattgrün schimmernde Heidelbeeren. Sie zogen ihm das Wasser im Mund zusammen, und das Zahnfleisch schmerzte.

Beide, der Junge und der Mann, schliefen eine Woche Vorrat. Und jetzt lag Viktor auf einem Haufen von verdorrtem Seetang. Da er nichts Besseres zu tun wußte, beguckte er sich die über der Stadt hängenden Rauchfahnen durchs Fernglas. In der Nähe der Fischfabrik lagen zwei Trawler vor Anker. Beide Schiffe gehörten der Naturschutzverwaltung. Wie, wenn sie nun in See stächen? Doch Viktor erwartete keine Hilfe. Ach wo, wie sollte jemand auf die Idee kommen, sie zu suchen? Auf keinen Fall schon heute.

Er setzte das Glas ab und studierte die Hinteransicht des Ornithologen, der seine grüne Wetterjacke trug. Jetzt blieb ihnen nichts anderes übrig als zu warten. Viktor begriff dies sehr gut. Aber daß der Mensch es fertigbrachte, auch in diesen Minuten er selbst zu bleiben und seelenruhig wie zuvor in seinem Notizblock zu kritzeln, war mehr als empörend.

Viktor stand auf und bummelte in den Wald.

„Daß du mir nicht an den See gehst!" ermahnte ihn der Ornithologe.

„Wo werd ich denn, dort ist doch die Brut", entgegnete der Junge herausfordernd. „Die Kleinen könnten vor Angst krepieren."

Der Ornithologe blickte ihm erstaunt nach. Dann vergrub er sich wieder in seine Schreibarbeit.

Als Viktor ein paar Meter gegangen war, versperrte ihm eine umgestürzte Birke den Weg. Noch steckte Leben in dem Stamm und in den grünen Blättern.

Irgendwo hatte er gelesen: Wenn man die Birkenrinde einkerbt, fließt süßer Saft heraus. Er griff in die Hosentasche, um nach dem Messer zu kramen, und fand — eine Praline. Vergessen war der Birkensaft. Was für eine wunderhübsche Praline! Noch dazu eine mit einer Erdbeere auf dem Papier. Langsam wickelte er die mit Schokolade überzogene Süßigkeit aus und legte sie auf die flache Hand. Betörender Erdbeergeruch kitzelte ihm die Nase.

Zwischen den Baumstämmen erblickte er den zu Stein erstarrten, unbeweglichen Rücken des Ornithologen. Da krampften sich seine Finger zusammen. Die Augen blieben starr auf den Mann gerichtet. Er schob die Praline in den Mund, zermalmte sie genußvoll mit den Zähnen, schwelgte im Gefühl seiner Rache und hatte nur den einen Wunsch, daß sich der Ornithologe umdrehen möge.

Dann rollte er das Konfektpapier zu einem Kügelchen zusammen, warf es in die Heidelbeerstauden und ging an den Strand.