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„Hast du den Unfug mit den toten Vögeln ausgeheckt, um ein bißchen spazierenzufahren?" frag'e der Ornithologe leise.

„Jawohl", entgegnete Viktor. „Jawohl", wiederholte er klangvoll, denn jetzt war er glücklich. „Sonst hätten Sie mich doch nicht fortgelassen."

„Du bist ein Schuft", sagte der Ornithologe. Er drehte sich um und ging, ohne noch ein Wort zu verlieren, auf die Tür zu.

„Warten Sie doch", rief ihm Viktor nach, „sehen Sie, was ich gebracht habe!" Unangenehme Gedanken blitzten in ihm auf: Er versteht mich nicht, er denkt, daß ich nur so...

Der Ornithologe war stehengeblieben. Viktor lief zu ihm hin. Er streckte die Hände aus, die die Mütze hielten, blickte dem Ornithologen in die Augen und lachte, um zu zeigen, daß er nichts übelnahm.

„Soso", meinte der Ornithologe, und Viktor sah, daß sich sein Gesicht mit roten Flecken bedeckte, „sag mal, wer hat dir das Recht gegeben, die Nester zu plündern, 'die wir pflegen? Mich haben sie sogar im Krieg freigestellt. Verstehst du? An der Front sterben Menschen, aber mich haben sie nach Hause geschickt, weil es hier keinen gab, der sich um die Vögel kümmern konnte. Weißt du überhaupt, daß nur ein paar hundert Eidernester existieren? Und daß unser Naturschutzgebiet das einzige in der Sowjetunion ist, wo noch Eiderenten brüten?"

Viktor schwieg verlegen. Die zornigen, ungerechten Worte des Ornithologen hatten ihn wie Peitschenhiebe getroffen.

„Weißt du, daß unsere Arbeiter wochenlang nicht aus den Booten kommen? Seit fünfzehn Jahren lebe ich hier. Als ich herkam, warst du noch nicht geboren. Biologe willst du werden? Du bist ein junger Naturfreund? Das bildest du dir vielleicht ein. In Wahrheit bist du ein Wilddieb. So, du hast Hunger. Ganze zwei Tage haben wir nichts gegessen, ganze zwei Tage. Und die Eiderente brütet einmal im Jahr. Du bildest dir wohl ein, daß du eine Heldentat begangen hast? Wie ein Feigling hast du dich benommen! Von deinem Magen hast du dich unterkriegen lassen."

Viktor war zerknirscht, beleidigt, stand mit gesenktem Kopf da und schwieg, weil er fürchtete, in Tränen auszubrechen.

,,Das Nest dort drüben hast du ausgenommen?" fragte der Ornithologe.

,,Doch nicht für mich." Viktor schluckte und sprach nun lauter: „Ich wollte Ihnen ... Ihr Brot habe ich nicht gegessen. Ins Meer habe ich es geschmissen."

„Was?"

„Ich bin kein Wilddieb. Verstehen Sie", schrie Viktor jetzt, „meinetwegen können Sie an Ihrem Brot ersticken!"

Der Ornithologe seufzte, ging langsam zum Boot, breitete seine Wetterjacke auf den Boden und wickelte die Eier ein. Dann zog er Hosen und Stiefel an, stieß das Boot ab und sprang hinein. Der irrsinnige Gedanke, daß er es darauf abgesehen haben könnte, sich zu ertränken, durchzuckte Viktors Hirn.

„Was machen Sie denn?" fragte er ängstlich. 

„Ich schaffe die Eier fort", erwiderte der Ornithologe, der seine alte Ruhe zurückgefunden hatte, „marsch, ins Haus, und ohne Tricks. Klar?" 

„Nein, es ist nicht klar", entgegnete Viktor und blieb am Ufer. Das Boot verschwand ums Kap. Viktor ging ein Stück weiter, stellte sich hinter einen Baum und beobachtete den Ornithologen. Die Wellen spielten mit dem Boot, das ständig zu kentern drohte. Viktor preßte die Brust an den Stamm, und jedesmal, wenn sich das Boot auf die Seite legte und vom Kamm einer Woge in den Abgrund stürzte, stockte ihm das Herz. Mit Entsetzen dachte er an die Möglichkeit, daß der Ornithologe nicht wiederkommen würde.

Aber er kam wieder. Zweimal legte er die Strecke zurück. Dann kroch er, von Seewasser durchtränkt, ans Ufer. In den Händen hielt er die zusammengerollte Wetterjacke. Was nun folgte, war das komischste von allem.

Der Ornithologe trat ins Haus, nahm ein Bündel Tang und eine mit Wasser gefüllte Konservendose mit. Das Wasser kippte er auf die Herdplatte, die er sorgfältig säuberte. Danach trug er Reisig herein, zerbrach es auf den Knien. Die trockenen Holzstücke und den Seetang setzte er in Brand. Viktor hatte sich aufs Bett gelegt und sah dem sonderbaren Treiben mit Erstaunen zu. Wenn der Ornithologe den Kopf wandte, schloß er die Augen.

Die Herdplatte erwärmte sich. Der Ornithologe faltete die Wetter jacke auseinander, holte zwei große

Eidereier hervor und schlug sie auf. Den Inhalt goß er auf die Herdplatte. Ein angenehmer Duft, vermischt mit Rauchgeruch, erfüllte das Zimmer. Viktor biß sich auf die Lippen, bis es schmerzte.

„Komm essen", rief ihn der Ornithologe.

Viktor lag, ohne sich zu rühren. 

„Ich sehe doch, daß du nicht schläfst." 

„Ich esse nichts", entgegnete Viktor. Die Augen ließ er geschlossen.

Der Ornithologe nahm den ungleichmäßig gebackenen Fladen mit den beiden gelben Dottern vom Herd und legte ihn auf den Tisch.

„Iß", wiederholte er müde und stampfte mit schweren Tritten hinaus.

Viktor fuhr auf, spähte durchs Fenster. Der hagere Ornithologe stand hoch aufgerichtet am Ufer. Er sah dem Spiel der Wellen zu.

Eine Hand streckte sich nach den Spiegeleiern aus, brach ein knuspriges, hauchdünnes Stück vom Rand ab und steckte es in den Mund. Viktor empfand den unerträglich süßen Beigeschmack des gebräunten Eiweißes. Voller Verachtung für sich selber, aber außerstande, seine Eßlust länger zu zähmen, schnitt er den gargebackenen Fladen in zwei Teile, bestreute den größeren mit grobkörnigem Salz und verzehrte ihn gierig.

Dann legte er sich aufs Bett. Rasch schlief er ein. Er träumte von einer Woge, die das Ufer überflutete, größer und größer wurde und ihn über die Erde jagte. Er rannte durch eine Straße, in der die Türen und Fenster der Häuser vernagelt waren, klopfte, aber niemand öffnete. Da erreichte ihn die Woge, und Viktor weinte.

Mitten in der Nacht wurde er von dem Ornithologen geweckt.

Die See hatte sich beruhigt. Anderthalb Stunden später befanden sie sich vor dem Gebäude der Naturschutzverwaltung.

Der verschlafene Beobachter kam ihnen entgegen.

„Seid wohl im Schutzhäuschen steckengeblieben?" fragte er gähnend.

„So ist es", erwiderte der Ornithologe. „Hab ich mir schon gedacht. Wollt ihr was essen?"

„Gib dem Jungen. Aber nicht zuviel. Er hat zwei Tage gefastet."

„Was?" wunderte sich der Beobachter.

 „Und sonst? Alles in Ordnung?" 

„Alles in Ordnung", erwiderte der Ornithologe. 

„Bist ein Held." Der Beobachter schmunzelte.

„Geh an die Arbeit!" wies ihn der Ornithologe trocken zurecht.

Nach dem Mahl suchte Viktor das Zimmer auf, das man den Kindern zugewiesen hatte. Die anderen ruhten auf dem Fußboden. Sie mußten sehr müde sein. Nicht einer rührte sich. Auch Viktor kroch in seinen Schlafsack, lag aber mit offenen Augen da. In seinem Kopf toste noch die See. Hinter der Bretterwand klapperte ein Teller, und eine Stimme, wahrscheinlich die des Beobachters, flüsterte: „Morgen schicken wir die jungen Naturfreunde nach Hause. Wie hat sich denn deiner gemacht? Alles überstanden? Muß doch schwer sein für so einen Knirps, zweimal vierundzwanzig Stunden..."

„Er ist kein Knirps", berichtigte ihn der Ornithologe. „Weißt du was, wenn ich nicht irre, ist bei uns eine Laborantenstelle frei? Bis September behalte ich ihn hier."

„Im Labor?" 

„Ja."

„Diesen Knirps! Wo Sie sogar der Studentin einen Korb gegeben haben."

„Er ist kein Knirps. Ich behalte ihn hier. Wenn er, natürlich nur, wenn er will."

Viktor setzte sich aufrecht und lehnte den Rücken gegen die Wand. In dieser Stellung verharrte er lange, bis die beiden hinter der Scheidewand verstummten.

Auf dem Fußboden prusteten einträchtig die Jungen. Viktor legte sich auf den Bauch und zog einen von ihnen am Bein.

„Wowka", flüsterte er, „Wowka, hör mal, was ich dir zu sagen habe."

Wowka hob den Kopf, blickte Viktor mit schlaftrunkenen Augen an und kuschelte sich wieder ins Kissen.