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Viktor schnippte ihn leicht mit dem Finger an den Hinterkopf. Dann ging er hinaus auf die Treppe.

Zu schlafen hatte er keine Lust. 

Ein glücklicher Tag

Geweckt wurde Pawlik von einer fetten Hummel. Sie kurvte vor dem Fenster und flog mit unwilligem Gebrumm mehrmals gegen die Scheibe. Pawlik kroch aus dem Bett. Er stieß beide Fensterflügel auf. Mit sanftem Klatschen schlugen Blätter gegen die Scheiben. Ein taukühler Fliederzweig kam ins Zimmer gekrochen, schüttelte mehrere Tröpfchen auf das Fensterbrett. Husch, stob die Hummel davon, in der Morgensonne wie eine goldene Glasperle leuchtend, bis sie verschwand.

„Dumme Hummel!" murmelte Pawlik.

Er trat an den Waschtisch, kippte etwas Wasser in die hohle Hand und rieb sich damit die Stirn und eine Gesichtshälfte ab. Seine Sorgenfalten hatten sich geglättet.

Wenn er den Zeigern auf der Wanduhr glauben Schlupfloch nicht fand.

Heute war alles erlaubt, auf einem Floß zu fahren, an den Fluß zu laufen, an den Teich, an die Bahn. Wenn man das Ohr auf die Schienen legte, hörte man das Geräusch des nahenden Zuges. Pawlik wußte nicht, was er zuerst tun sollte. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Am liebsten hätte er alles auf einmal getan.

Er erhob sich und ging auf die Straße.

Hinter dem dürftigen Zaun des Nachbarhauses grub ein Junge mit auffallend hellen Wimpern den Garten um.

„Shoka, he, Shoka!" rief Pawlik.

Shoka schlug mit dem Spaten auf einen großen Klumpen ein und untersuchte interessiert das aufgelockerte Erdreich.

„Shoka", fragte Pawlik im Flüsterton, „Shoka, was machst du da — hm?"

„Würmer ausgraben. Siehst du das nicht?" Pawlik seufzte. Nach dieser Antwort stand bereits fest, daß mit Shoka heute nichts anzufangen war. Überhaupt, dachte Pawlik, ist er für mich bloß zu sprechen, wenn er nicht weiß, was er machen soll. Pawlik mag Shoka sehr und fürchtet ihn auch ein wenig. Was Shoka bestimmt, geschieht, da gibt es keine Widerrede. Shoka ist stark. Er kann Pawlik an den Armen packen und durch die Luft schleudern. Er ist gewandt, kann reiten.

„Laß mich mal graben", schlug Pawlik vor. 

Wortlos legte Shoka den nächsten Erdklumpen auf die Seite. 

„Gib doch her", drängte Pawlik. 

„Laß mich in Ruhe. Ich habe so schon nichts geschafft. Gleich kommt Witka. Denkst du, ich will mit leeren Händen dastehn?" 

„Du gehst wohl mit ihm?" 

„Mit wem denn sonst?" 

„Nehmt ihr mich mit?"

„Sonst noch was?" entgegnete Shoka von oben herab.

Pawlik druckste eine Weile herum, dann ging er weg.

„Ich habe ein Fischnetz", rief ihm Shoka nach, „und einen Angelhaken. Geschenke von einem Sommerfrischler."

Shoka wollte nur angeben. Pawlik dachte, er mache sich über ihn lustig, und war beleidigt. Er überlegte, was erst geschehen müßte, damit Shoka ihn um einen Gefallen bäte.

Angenommen, Shokas Haus würde abbrennen. Shoka käme zu Pawlik, um sich Pawliks Angel auszubitten. „Du hast doch ein Netz", würde Pawlik sagen. Shoka begänne zu weinen. Und zu schluchzen: „Ich habe gar nichts, rein gar nichts habe ich mehr, das Haus ist abgebrannt und alles, alles mit." Das wäre für Pawlik der Augenblick, wo er lachen könnte. „Weißt du noch, als du Fische fangen wolltest, hast du mich nicht mitgenommen. Von mir kriegst du nicht so viel."

Ganz deutlich stellte sich Pawlik dieses Gespräch vor.

Er sah Shokas bittendes Gesicht und lächelte. Vor Vergnügen schüttelte er den Kopf.

Auf dem Hof des elterlichen Hauses angekommen, ergriff Pawlik den Rechen und ging hinter den Schuppen, wo ein Haufen alter Sägespäne im Schatten lag. Er harkte die Späne auseinander. Auf der Erde wimmelte es von Würmern. Pawlik las sie gleichzeitig in zwei Blechdosen. Als sich hinter ihm Schritte näherten, wußte er: Das kann nur Shoka sein.

Er drehte sich nicht um.

„Wie geht das Geschäft?" fragte Shoka.

„Zwei halbe Büchsen sind es schon", erwiderte Pawlik. 

„Schenkst du mir ein paar? Ich habe nur drei Stück. Gleich kommt Witka." Pawlik schnaufte. Shoka machte ein Gesicht, als wäre tatsächlich das Haus abgebrannt. Einfach zum Schreien.

„Meinetwegen kannst du alle haben", sagte Pawlik, „ich brauche sie nicht."

Nach so viel Großzügigkeit hätte Shoka Pawlik mitnehmen müssen. Statt dessen ergriff er die Büchsen mit den Würmern und empfahl sich.

Daran ist nur dieser Witka schuld, überlegte Pawlik. Dem kann natürlich auch das Haus abbrennen. Dann kommt Witka zu Pawlik. Er bittet ihn um ein Lager für die Nacht, fleht, weint und legt den Kopf an die Tanne, die auf dem Hof wächst. Pawlik sieht ihn belustigt an, lacht und verläßt das Haus für immer, um auf einer Elektrolok Maschinist zu werden.

Als Pawlik an diesem Punkt angelangt war, kam Shoka ein zweites Mal.

„Hast du Witka gesehen?" 

„Hier war niemand."

„Um sechs wollte er mich wecken. Jetzt ist es schon neun."

„Zehn", sagt Pawlik mißgünstig. „Bildest du dir ein, der kommt noch?"

„Na klar", entgegnet Shoka, seiner Sache nicht ganz sicher. „Wir sind doch für heute verabredet. Auf Witka kannst du dich verlassen."

„Und wer hat dir von deinem Karren das eine Rad geklaut?"

„Das Rad, stimmt ja, das Rad." Shoka erinnerte sich deutlich. Er wurde böse. „Kein Wort kann man ihm glauben. Er lügt wie gedruckt." 

„Hmhm, so ist das", gab Pawlik bereitwillig zu. 

Shoka geriet in Weißglut. „Na warte", stieß er drohend hervor, „dem werde ich die Hammelbeine noch langziehn." 

„Richtig", feuerte ihn Pawlik mit helltönender Stimme an. „Das Haus müßte ihm abbrennen. Das wäre gut. Was?"

Aber da kam Shoka nicht mit. „Das Haus?" meinte er, schon friedfertiger. „Nein. Warum? Sie haben so ein schönes neues. Kommst du mit?"

„Ich?" 

„Wer sonst. Euer Schwein?" 

Shoka lachte. Pawlik war nicht beleidigt. Im Gegenteil, er übertönte Shokas Lachen, obwohl er wußte, daß eigentlich kein Grund dazu war. 

„Nimm einen Topf mit", empfahl Shoka, „wir kochen uns eine Fischsuppe. Ich will nicht erst noch mal rüberlaufen. Du hast es näher." Wie der Wind war Pawlik im Haus. Er kehrte mit einem weißen Emailletopf zurück. Es war ihm klar, daß ihn unangenehme Dinge erwarteten, aber bis da war es noch lange hin. Jetzt hieß es schnell machen, ehe es sich Shoka anders überlegte.

Sie trabten die staubige Straße runter und gelangten auf eine mit Heuhaufen bedeckte Wiese, sprangen über einen Graben, schlurften über das Stoppelfeld, um von den kurzen, harten Grashalmen nicht gepiekt zu werden.

Kein Lüftchen wehte. Über der Wiese lag eintöniges Zirpen. Grashüpfer sangen ihr Lied. Am Himmel wärmten sich weiße Wolken in der Sonne. Komisch, daß sie nicht braun werden, dachte Pawlik, oder vielleicht werden sie braun, und dann sind es Regenwolken?

Pfeifend kam eine Elektrolok aus dem Wald gesaust. 

„Zwei Maschinisten, hast du gesehen?" schrie Pawlik. 

„Meinetwegen zwei Dutzend", brummte Shoka. 

„Man könnte so schön zwischen den Schienen laufen, aber von einer zur anderen Schwelle ist es blödsinnig nah und bis zur nächsten blödsinnig weit. Dabei könnte es so bequem sein, aber das ist ihnen ganz egal, wenn sie ihre Bahnlinie bauen. An uns Fußgänger denkt keiner."

,,Da hast du auch recht", pflichtete ihm Pawlik bei. Er wollte noch fragen, warum es auf der Lokomotive zwei Maschinisten gab, doch in diesem Augenblick trat ein feister Feriengast aus dem Gestrüpp hervor.

,,Oh", sagte er und kam näher, „noch zwei Angler?"

Pawlik und Shoka blickten ihn schweigend an. 

„Seid ihr auf den Mund gefallen?' fragte der Urlauber, der sich große Mühe gab, freundlich zu erscheinen. „Oder habt ihr Angst vor mir?"