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„Issajew, gib es her."

„Das tue ich nicht."

„Weshalb nicht?"

„Es gehört nicht mir."

„Issajew!" Die Stimme des Lehrers klang ruhig, aber von seinem Gesicht war das Lächeln verschwunden. „Hör zu, Issajew. In dieser Klasse gibt es dreißig Schüler. Wenn mir einer nicht gehorcht, denken die anderen, sie brauchen es auch nicht. Ich kann niemandem Sonderrechte einräumen. Du mußt mir das Heft geben."

„Als Sie noch zur Schule gingen — Sie hätten es hergegeben?"

„Ich hätte es getan. Und du mußt es auch tun." „Ich tue es aber nicht."

„Und weshalb nicht?"

„Weil es nicht meins ist."

Durch die Klasse ging verhaltenes Lachen. Der Lehrer lief rot an.

„Issajew, verlaß den Raum."

„Warum?"

„Hinaus. Sonst gehe ich."

Sonst gehe ich. Diese Worte hätten den widerspenstigsten Schüler erweicht. Sie verfehlten ihre Wirkung auf Issajew.

„Aber weshalb bloß?"

Die Klasse, die still geworden war, blickte erschrocken und ehrerbietig zu Petka auf. „Wenn du nicht unverzüglich den Raum verläßt", sagte der Lehrer langsam, „werde ich deinen Ausschluß aus der Schule beantragen."

Jetzt begriff auch Petka, daß er etwas zu weit gegangen war. Aber einfach klein beigeben? Nein, das war nicht nach seinem Geschmack. Er ging bis an die Tür, drehte sich um.

„Ich habe Ihnen nichts getan, und Sie haben kein Recht, mich anzuschreien", erklärte er, obwohl Viktor Nikolajewitsch nicht daran gedacht hatte zu schreien. Im Gegenteil, seine Stimme hatte unnatürlich ruhig geklungen.

Petka schloß die Tür hinter sich. Der Lehrer hörte, wie er sich entfernte und dabei absichtlich laut mit den Absätzen knallte.

„Polujanow, lauf bitte hinter Issajew her. Sage ihm, daß wir beide nach der Stunde zum Direktor gehen."

Dimka flog aus der Klasse. Die übrigen Schüler saßen mit gespitzten Ohren. Sie starrten den Lehrer an. Was würde jetzt geschehen? Es geschah nichts, nur daß die Hand mit der Kreide ein wenig zitterte. So wurde die Linie, die Viktor Nikolajewitsch an der Tafel zog, nicht gerade, sondern krumm. Er wischte sie wieder fort, zog eine neue Linie, wischte auch diese aus und unternahm einen dritten Versuch. Nun war endlich alles in Ordnung.

„Wir waren also bei der Feststellung stehengeblieben, auf jedem Menschen laste eine Luftsäule von „Soso, darauf pfeifst du", wiederholte der Direktor gedehnt und hart, „nun gut."

Er nahm ein Blatt Papier sowie einen Bleistift und legte beides auf den Tisch. „Setz dich. Schreib."

„Was soll ich schreiben?" fragte Petka verdutzt. „Folgendes: Ich habe keine Lust, ein Angehöriger der Intelligenz zu werden."

Petka wurde unruhig. Ob ihm das noch eine Sonderstrafe einbringen konnte?

 „Schreib!"

Mit widerstreitenden Gefühlen ergriff der Junge den Bleistift, setzte sich auf den Rand des Stuhls und kam der Aufforderung des Direktors nach. „Ich habe keine Lust, ein Angehöriger der In..." An dieser Stelle stutzte er, dachte ein wenig nach, schüttelte den Kopf und schrieb entschlossen: „.. .tilegenz zu werden."

„In Ordnung", meinte der Direktor. „Aber ein gebildeter Mensch, einfach ein gebildeter, möchtest du wohl auch nicht werden? In einem Wort drei Fehler!"

Petka war aufrichtig entsetzt. Er vergaß sogar, daß er den Direktor vor sich hatte.

„Drei, Piaton Jakowlewitsch, das ist doch ein Witz?"

Der Direktor lachte. Er bemerkte Petkas Verwirrung, wollte sich jedoch nicht daran weiden.

„Geh jetzt, Issajew. Das nächste Mal denke daran: Ehe man etwas niederschreibt, strengt man seinen Kopf an. Erst denken, dann handeln. Und vergiß nicht, daß unser heutiges Gespräch das letzte ist. Hast du mich verstanden?"

„Ja", erwiderte Petka. An der Tür blieb er stehen. Da ihm dämmerte, daß die Angelegenheit offenbar keine Folgen nach sich ziehen werde, fragte er hoffnungsvoll, schon halb im Scherz: „Muß ich meiner Mutter Bescheid sagen, daß sie herkommen soll?" „Verschwinde!" fauchte der Direktor und schlug mit der Faust auf den Tisch, Petka stürmte beglückt hinaus.

„Das war mal wieder ganz Issajew", erklärte Platon Jakowlewitsch, während er auf das Geräusch der sich entfernenden Schritte lauschte. „Haben Sie gesehen? Schreit man ihn an, grinst er. Tut er einem leid, fühlt er sich vor den Kopf gestoßen. Sein Vater ist beim Holzflößen umgekommen. Die Mutter hat den ganzen Tag zu tun. Dann ist noch ein kleiner Bruder da. Petka spielt den Herrn im Hause. Arbeit gibt es genug. Er holt Holz aus der Taiga, wäscht ab, bisweilen kocht er auch das Mittagessen. Dabei ist er noch ein Kind. Wenn es ihm zu langweilig wird, rennt er aus dem Haus und vollführt alle möglichen Streiche, schreit herum, wirft den Leuten Frechheiten an den Kopf. In ihren Augen ist er ein Rowdy. Er kann machen, was er will, immer bekommt er das gleiche zu hören: ,Du bist ein Rowdy.' Das hat man ihm so lange eingetrichtert, bis er es schließlich selber glaubte. Jetzt beweist er den Leuten, daß sie recht haben. Letztes Jahr hat er sich mit einem Floß bis kurz vor die Igarka treiben lassen. Wissen Sie, warum? Weil die Mutter ihn beleidigt hatte. Er wollte auf eigenen Füßen stehen und sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Meiner Ansicht nach hat er ein zu stark ausgeprägtes Würdegefühl. Er ist bereit, sich mit der ganzen Welt zu prügeln. Haben Sie noch nicht gemerkt, wie Sie ihn am empfindlichsten treffen können? Indem Sie Ihre Überlegenheit hervorkehren, ihn von oben herab behandeln. Wir Erwachsenen scheuen uns, mit Kindern als mit unseresgleichen umzugehen. Wir haben ein Recht darauf, stolz und selbstsicher aufzutreten, zu lieben, zu hassen. Und sie sollten dieses Recht nicht haben? Aber sie denken und fühlen wie wir, nur ihr Wissen reicht an das der Erwachsenen nicht heran. Dafür duldet ihr Ehrgefühl keinen Kompromiß. Was ihnen mißfällt, lehnen sie bedingungslos ab. Sie bauen an ihrer eigenen Welt. Für Spott gibt es dort keinen Platz. Um von den Kindern als ihresgleichen angesehen zu werden, muß man ein einfacher und aufrichtiger Mensch sein. Betrug können sie nicht vertragen. Ich beurteile mein Verhalten immer danach, wie sie mir entgegentreten, und ich würde mich glücklich schätzen, wenn mich einer von meinen Schülern aufforderte, mit ihnen Fußball zu spielen. Dieser Issajew ist stets im Unrecht, aber eine außerordentlich ehrliche Haut. Viktor Nikolajewitsch, Sie sind noch sehr jung. Ich weiß, Issajew wirkt manchmal unausstehlich. Doch jetzt etwas anderes. Ich verstehe, daß Sie im Augenblick noch schwer zu kämpfen haben. Ihnen zu helfen, gehört zu meinen Pflichten. Ich kann Ihnen nur den einen, sehr wichtigen Rat geben: Verhalten Sie sich jederzeit so, daß Sie von Ihren Schülern zum Fußballspielen eingeladen werden. Entschuldigen Sie, das soll keine Belehrung sein, aber ich verstehe Sie. Mir ist es genauso ergangen."

„Ich möchte für alle stets nur das Beste", erwiderte Viktor Nikolajewitsch, nachdem er eine Weile überlegt hatte, „nur — sie begreifen es nicht. Sagen Sie, Platon Jakowlewitsch, bleibt das lange so?"

Der Direktor verzog das Gesicht. Er war dermaßen groß und schwer, daß im Takt seines Lachens der Tisch und die daraufstehende Lampe erzitterten und die violette Tinte im Fäßchen kleine Wellen schlug. Erst jetzt glaubte Viktor Nikolajewitsch, daß der Direktor ihn tatsächlich nicht hatte belehren wollen.

Petka war wie ein Pfeil den Korridor entlang und durch die Tür gesaust. Als er auf der Straße stand, wurde ihm bewußt, daß die Ferien begonnen hatten.

Jurka und Dimka nahmen ihn in Empfang. „Bist du rausgeflogen?"

„Ach was. Wir haben uns ein bißchen unterhalten. Über das Heft."

„Petka", versprach Jurka gerührt, „du kriegst zwein Sechzehn-Millimeter-Patronen von mir. Du hast mich doch darum gebeten. Erinnerst du dich?"