Der Kreis ähnelte dem kranken kahlen Wald im Tal südlich von Amber.
O Vater! Was habe ich getan? fragte ich tief in meinem Innern, doch es gab keine Antwort außer dem schwarzen Kreis, der sich unter mir dehnte, soweit das Auge reichte.
Durch die Schlitze meines Visiers blickte ich auf die Fläche – verkohlt wirkend, öde, nach Verfall stinkend. Inzwischen setzte ich den Helm kaum noch ab. Die Männer hielten das für eine Marotte, doch mein Rang gab mir das Recht auf gewisse exzentrische Züge. Seit gut zwei Wochen trug ich die Rüstung, seit meinem Kampf mit Strygalldwir. Ich hatte den Helm am folgenden Morgen aufgesetzt, ehe ich Harald besiegte und damit mein Versprechen Lorraine gegenüber einlöste, und war zu dem Schluß gekommen, daß ich mein Gesicht lieber verbergen sollte, während ich langsam weiter zunahm.
Ich mochte inzwischen an die hundertundachtzig Pfund wiegen und fühlte mich allmählich kräftig wie früher. Wenn ich dazu beitragen konnte, die Probleme des Landes Lorraine zu beseitigen, gab mir das zumindest eine Chance, das Ziel zu erstreben, das mir besonders am Herzen lag, und es vielleicht sogar zu erreichen.
»Das ist also der Kreis«, sagte ich. »Ich sehe aber gar keine Truppenbewegungen.«
»Dazu müßten wir wohl weiter nach Norden reiten«, sagte Lance. »Außerdem sehen wir die Wesen bestimmt erst nach Einbruch der Dunkelheit.«
»Wie weit nach Norden?«
»Drei oder vier Meilen. Sie sind ziemlich wendig.«
Zwei Tage lang waren wir geritten und hatten nun den Kreis erreicht. Einige Stunden zuvor hatten wir eine Patrouille getroffen und erfahren, daß die Truppen im Innern sich jede Nacht versammelten. Sie vollführten verschiedene Manöver und verschwanden dann gegen Morgen – zu einem weiter drinnen gelegenen Platz. Ich erfuhr auch, daß über dem Kreis ein ständiges Donnergrollen lag, ohne daß sich ein Unwetter entlud.
»Wollen wir hier frühstücken und dann nach Norden reiten?« fragte ich.
»Warum nicht?« fragte Ganelon. »Ich bin hungrig, und wir haben Zeit.«
Wir stiegen ab, aßen Trockenfleisch und tranken aus unseren Flaschen. »Die seltsame Nachricht verstehe ich immer noch nicht«, sagte Ganelon, nachdem er ausgiebig gerülpst, sich den Magen getätschelt und eine Pfeife angezündet hatte. »Wird er uns im entscheidenden Kampf zur Seite stehen – oder nicht? Wo ist er denn, wo er uns doch helfen will? Der Tag der Auseinandersetzung rückt immer näher!«
»Vergeßt ihn!« sagte ich. »Das Ganze war vermutlich ein Scherz.«
»Verdammt, das kann ich nicht!« rief er. »Die Sache ist irgendwie seltsam!«
»Worum geht es denn?« fragte Lance, und mir wurde bewußt, daß Ganelon ihm noch gar nichts gesagt hatte.
»Mein alter Lehnsherr Lord Corwin schickt eine seltsame Botschaft mit einem Vogel. Angeblich will er kommen. Ich hatte ihn für tot gehalten, und nun diese Nachricht!« sägte Ganelon. »Aber ich weiß immer noch nicht, was ich davon halten soll.«
»Corwin?« fragte Lance, und ich hielt den Atem an. »Corwin von Amber?«
»Ja, von Amber und Avalon.«
»Vergeßt die Nachricht.«
»Warum?«
»Er ist ein Mann ohne Ehre, und seine Versprechungen sind nichts wert.«
»Ihr kennt ihn?«
»Ich habe von ihm gehört. Vor langer Zeit einmal herrschte er auch über dieses Land. Erinnert Ihr Euch nicht an die Geschichten vom Dämonenherrscher? Das ist er! Das war Corwin lange vor meiner Zeit. Seine beste Tat war es, abzudanken und zu fliehen, als der Widerstand gegen ihn zu stark wurde.«
Das stimmte nicht!
Oder doch?
Amber wirft eine Vielzahl von Schatten, und mein Avalon hatte infolge meines dortigen Aufenthalts zahlreiche eigene Schatten beherrscht.
Ich mochte auf vielen Erdenwelten bekannt sein, auf denen sich Schatten meiner selbst bewegt und meine Taten und Gedanken nur unvollkommen nachgeäfft hatten.
»Nein«, sagte Ganelon. »Ich habe nie auf die alten Geschichten gehört. Allerdings frage ich mich, ob er wirklich derselbe Mann sein kann wie der, der früher einmal hier geherrscht hat. Eine interessante Überlegung.«
»Sehr«, stimmte ich zu, um aus der Diskussion nicht ausgeschlossen zu werden. »Aber wenn er vor so langer Zeit geherrscht hat, müßte er längst tot oder greisenhaft alt sein.«
»Er war ein Zauberer«, sagte Lance.
»Der Corwin, den ich kannte, war in der Tat ein Zauberer«, sagte Ganelon. »Er verbannte mich aus einem Land, das weder mit Beschwörung noch mit normalen Mitteln wiederzufinden ist.«
»Ihr habt bisher nie davon gesprochen«, sagte Lance. »Wie ist es dazu gekommen?«
»Das geht Euch nichts an«, sagte Ganelon unwirsch, und Lance schwieg.
Ich zog meine Pfeife heraus – vor zwei Tagen hatte ich mir eine zugelegt –, und Lance tat es mir nach. Es war eine Tonpfeife, die schlecht zog und in der Hand ziemlich heiß wurde. Wir entzündeten den Tabak, und zu dritt saßen wir da und rauchten vor uns hin.
»Nun, er hat jedenfalls klug gehandelt«, sagte Ganelon. »Wir wollen die Sache für den Augenblick vergessen.«
Natürlich taten wir das nicht. Doch wir ließen das Thema ruhen.
Ohne das schwarze Gebilde hinter uns wäre es sehr angenehm gewesen, dort zu sitzen und gelassen zu rauchen. Plötzlich fühlte ich mich den beiden Männern sehr verbunden. Ich wollte etwas sagen, doch mir fiel nichts ein.
Ganelon erlöste mich aus meinem Dilemma, indem er die Sprache auf eine aktuelle Frage brachte.
»Ihr wollt sie also packen, ehe sie angreifen?« fragte er.
»Genau«, erwiderte ich. »Wir wollen den Kampf in ihr Gebiet tragen.«
»Das Problem liegt darin, daß es eben ihr Gebiet ist«, erwiderte er. »Sie kennen sich dort viel besser aus als wir, und wer kann schon sagen, welche Mächte sie dort zu Hilfe rufen können?«
»Wenn wir den Gehörnten umbringen, bricht der ganze Angriff zusammen«, sagte ich.
»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht könnt Ihr es schaffen«, sagte Ganelon. »Ob ich es könnte, weiß ich nicht; ich müßte mich wohl auf das Glück verlassen. Er ist zu schlecht für einen leichten Tod. Zwar nehme ich an, daß ich noch so gut kämpfe wie vor einigen Jahren – doch das kann immerhin ein Irrtum sein. Vielleicht bin ich zu verweichlicht und zu bequem geworden. Ich habe mir diesen Schreibtischposten nicht gewünscht!«
»Ich weiß«, sagte ich.
»Ich weiß«, sagte Lance.
»Lance«, fragte Ganelon, »sollen wir dem Rat unseres Freundes folgen? Sollen wir angreifen?«
Er hätte die Achseln zucken und sich herausreden können.
Doch das tat er nicht.
»Ja«, sagte er. »Beim letztenmal hätten sie uns fast überrannt. In der Nacht, als König Uther starb, war der Ausgang sehr knapp. Wenn wir sie jetzt nicht angreifen, können sie uns beim nächstenmal wohl niederkämpfen. Gewiß, leicht würde es ihnen nicht fallen, und sie müßten mit vielen Ausfällen rechnen. Doch ich glaube, daß sie es schaffen könnten. Am besten versuchen wir uns einen Überblick zu verschaffen, dann können wir unsere Angriffspläne im einzelnen festlegen.«
»Also gut«, sagte Ganelon. »Ich habe auch keine Lust mehr zum Warten. Sagt mir nach unserer Rückkehr noch einmal, was Ihr dazu meint, dann sehen wir weiter.«
Und das taten wir.
Am Nachmittag ritten wir nach Norden, versteckten uns auf den Bergen und blickten auf den Kreis hinab. Jenseits der Grenze gaben die Wesen auf ihre Art der Anbetung Ausdruck, und sie übten sich im Kampfeinsatz. Ich schätzte ihre Zahl auf etwa viertausend Kämpfer. Wir verfügten über zweitausendfünfhundert Mann. Die Gegenseite setzte seltsame fliegende, kriechende und hüpfende Wesen ein, die in der Nacht unheimliche Geräusche ausstießen. Wir besaßen ein mutiges Herz. O ja.
Dabei brauchte ich nur einige Minuten im Zweikampf mit dem gegnerischen Anführer, um die Sache zu entscheiden – so oder so. Die ganze Sache. Das konnte ich meinen Gefährten zwar nicht sagen, doch es stimmte.
Ich war nämlich verantwortlich für die Erscheinung dort unten. Ich hatte sie ausgelöst, und es lag an mir, sie ungeschehen zu machen, wenn es ging.