Ich hatte nur Angst, daß ich es nicht schaffen würde.
In einem Anfall der Leidenschaft, genährt von Wut, Entsetzen und Schmerz, hatte ich dieses Etwas entfesselt, ein Gebilde, das auf irgendeine Weise seine Entsprechung fand auf jeder Erde, die es gab. Das sind die Folgen des Blutfluchs eines Prinzen von Amber.
Wir beobachteten sie die ganze Nacht hindurch, die Wächter des Kreises – und am nächsten Morgen zogen wir uns zurück.
Das Urteil lautete: Angriff!
Wir ritten den ganzen Weg zurück, und nichts folgte uns. Als wir die Burg von Ganelon erreichten, schmiedeten wir Pläne. Unsere Truppen waren bereit – vielleicht mehr als bereit –, und wir beschlossen, innerhalb der nächsten zwei Wochen zuzuschlagen.
Neben Lorraine liegend, erzählte ich ihr von diesen Dingen. Ich war der Meinung, daß sie Bescheid wissen müßte. Ich besaß die Macht, sie in die Schatten zu entführen, noch diese Nacht, wenn sie sich nur bereit erklärte. Doch sie war nicht einverstanden.
»Ich bleibe bei dir«, sagte sie.
»Na gut.«
Ich sagte ihr nicht, daß meinem Gefühl nach alles in meinen Händen ruhte, doch ich hatte so eine Ahnung, als ob sie es wüßte und mir aus irgendeinem Grund vertraute. Ich hätte mir nicht vertraut, aber das war ihre Sache.
»Du weißt ja, wie es ausgehen kann«, sagte ich.
»Ich weiß«, sagte sie, und ich wußte, daß sie es wußte, und das war alles.
Wir wandten uns angenehmeren Dingen zu, und später schliefen wir ein. Sie hatte geträumt.
Am nächsten Morgen sagte sie zu mir: »Ich habe geträumt.«
»Wovon?« fragte ich.
»Von dem bevorstehenden Kampf«, sagte sie. »Ich sehe dich und den Gehörnten im Kampf vereint.«
»Wer siegt?«
»Das weiß ich nicht. Aber während du schliefst, habe ich etwas getan, das dir vielleicht hilft.«
»Das hättest du lieber nicht tun sollen«, sagte ich. »Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Dann träumte ich von meinem eigenen Tod, in dieser Zeit.«
»Ich möchte dich an einen Ort bringen, den ich kenne.«
»Nein, mein Platz ist hier«, erwiderte sie.
»Ich will ja nicht so tun, als gehörtest du mir«, sagte ich, »aber ich kann dich vor den Dingen schützen, die du geträumt hast. Soviel liegt in meiner Macht, das mußt du mir glauben.«
»Ich glaube dir. Aber ich gehe nicht.«
»Du bist ein verdammter Dickschädel!«
»Laß mich bleiben.«
»Wie du willst . . . Hör mal, ich würde dich sogar nach Cabra schicken . . .«
»Nein.«
»Du bist ein verdammter Dickschädel!«
»Ich weiß. Ich liebe dich.«
». . . und ein Dummkopf obendrein. Wir haben uns auf ›mögen‹ geeinigt, weißt du noch?«
»Du wirst es schaffen«, sagte sie.
»Geh zur Hölle!«
Und sie begann leise zu weinen, und ich mußte sie wieder trösten.
Das war Lorraine.
3
Eines Morgens dachte ich zurück an all die Dinge, die früher geschehen waren. Ich stellte mir meine Brüder und Schwestern vor, als spielten sie Karten, was natürlich nicht stimmte. Ich dachte an das Krankenhaus, in dem ich erwacht war, an den Kampf um Amber, an meinen Marsch durch das Muster in Rebma und an meine Zeit mit Moire, die jetzt vielleicht in den Armen Erics lag[2]. Meine Gedanken schweiften an jenem Morgen zu Bleys und Random, Deirdre, Caine, Gérard und Eric. Es war der Morgen vor der großen Schlacht, und wir lagerten in den Bergen in der Nähe des Kreises. Unterwegs waren wir mehrfach angegriffen worden, doch die Scharmützel waren nur kurz gewesen. Wir hatten die Angreifer zurückgeschlagen oder vernichtet und waren weitergezogen. Als wir das vorher festgelegte Gebiet erreicht hatten, schlugen wir unser Lager auf, stellten Wachen aus und legten uns hin. Unsere Nachtruhe blieb ungestört. Ich erwachte und stellte mir die Frage, ob meine Brüder und Schwestern wohl dieselbe Meinung von mir hatten wie ich von ihnen. Es war ein trauriger Gedanke.
In der Abgeschlossenheit eines kleinen Hains, den Helm voller Seifenwasser, rasierte ich mir den Bart ab. Dann kleidete ich mich an, legte meine ureigenen mitgenommenen Farben an. Wieder einmal war ich hart wie Stein, düster wie der Erdboden und zornig wie die Hölle – wie früher. Heute war der entscheidende Tag. Ich setzte den Helm auf, zog das Kettenhemd über, schloß den Gurt um meine Hüfte und legte Grayswandir an. Dann schloß ich den Umhang vor meinem Hals mit einer Silberrose und wurde schließlich von einem Melder entdeckt, der mir mitteilen sollte, daß alles bereit sei.
Ich küßte Lorraine, die sich nicht hatte davon abbringen lassen, uns zu begleiten. Dann stieg ich auf mein Pferd, einen Braunen namens Star, und ritt in die vorderste Reihe.
Dort stieß ich auf Ganelon und Lance. »Wir sind fertig«, sagten sie.
Ich rief meine Offiziere zusammen und gab meine Befehle. Sie salutierten, machten kehrt und ritten davon.
»Bald«, sagte Lance und zündete seine Pfeife an.
»Wie geht es Eurem Arm?«
»Wieder sehr gut«, erwiderte er, »nach dem Kampf, den Ihr mir gestern geliefert habt. Ausgezeichnet.«
Ich öffnete mein Visier und zündete mir ebenfalls eine Pfeife an.
»Ihr habt Euch ja den Bart abrasiert!« sagte Lance. »Damit seid Ihr Euch gar nicht mehr ähnlich.«
»Ohne Bart sitzt der Helm besser«, sagte ich.
»Das Glück sei mit uns allen«, warf Ganelon ein. »Ich kenne zwar keine Götter, doch wenn sich welche auf unsere Seite stellen wollen, heiße ich sie willkommen!«
»Es gibt nur einen Gott«, sagte Lance. »Ich bete, daß Er uns beisteht.«
»Amen«, sagte Ganelon und hielt eine Flamme an seinen Pfeifenkopf. »Für heute.«
»Der Sieg wird uns gehören.«
»Ja«, sagte ich, als die Sonne im Osten höher stieg und die Vögel des Morgens sich in die Luft schwangen. »Es fühlt sich so an.«
Als wir fertig waren, klopften wir unsere Pfeifen aus und steckten sie in die Gürtel. Dann zogen wir zum letztenmal die Schnallen und Schnüre unserer Rüstungen nach, und Ganelon sagte: »Also los. Gehen wir ans Werk.«
Meine Offiziere machten Meldung. Meine Abteilungen waren bereit.
In langer Kolonne ritten wir den Berg hinab und versammelten uns außerhalb des Kreises. Drinnen rührte sich nichts; Truppen waren nicht zu sehen.
»Was mag mit Corwin sein?« wandte sich Ganelon an mich.
»Er ist bei uns«, erwiderte ich, und er sah mich seltsam an, schien zum erstenmal die Rose an meinem Hals wahrzunehmen. Er nickte abrupt.
»Lance«, sagte er, als wir uns formiert hatten, »gebt den Befehl!«
Und Lance zog seine Klinge. Sein Schrei »Angriff!« wurde ringsum wiederholt.
Wir waren eine halbe Meile weit in den Kreis eingedrungen, ehe etwas geschah. Fünfhundert Berittene bildeten unsere Vorhut. Eine dunkelgekleidete Kavallerie erschien, die wir in einen Kampf verwickelten.
Nach fünf Minuten brach der Widerstand zusammen, und wir ritten weiter.
Dann hörten wir den Donner. Blitze zuckten, Regen rauschte hernieder. Das seit langer Zeit über dem Kreis lauernde Gewitter brach endlich los.
Eine dünne Kette Fußsoldaten, zumeist Lanzenträger, versperrte uns den Weg, wartete in stoischer Ruhe. Vielleicht ahnten wir die Falle, trotzdem griffen wir an.
Gleich darauf bestürmte die feindliche Kavallerie unsere Flanke. Wir wirbelten herum, und der Ernst des Soldatenlebens begann.
Etwa zwanzig Minuten später . . .
Wir hielten durch, warteten auf die Hauptmacht unserer Armee.
Schließlich ritt unsere zweihundertköpfige Gruppe weiter . . .
Menschen. Wir töteten Menschen an diesem Ort, Menschen, die die Unsrigen töteten – graugesichtige Menschen mit ausdruckslosen starren Mienen. Ich wollte mehr. Noch einen mehr . . .
Die logistischen Probleme des Gegners mußten halb metaphysischer Art gewesen sein. Wie viele Kämpfer konnten durch dieses Tor geführt werden? Ich wußte es nicht genau. Kurz darauf . . .
Wir kamen über eine Anhöhe, und tief unter uns lag eine unheimliche Zitadelle.