Ich hob meine Klinge.
Als wir den Hang hinabsprengten, griffen sie an.
Sie zischten und krächzten und flatterten. Ihr Anblick verriet mir, daß er nicht mehr genug Kämpfer hatte. Grayswandir war eine Flamme in meiner Hand, ein Blitz. Ich tötete die Wesen, sobald sie in meine Nähe kamen, und im Sterben flammten sie auf. Zu meiner Rechten sah ich Lance ein ähnliches Chaos anrichten, dabei murmelte er unverständliche Worte vor sich hin. Waren es Gebete für die Toten? Zu meiner Linken hieb Ganelon um sich, und eine Kette von Bränden kennzeichnete den Weg, den er genommen hatte. Inmitten der aufzuckenden Blitze rückte die Zitadelle langsam näher, ragte immer höher vor uns auf.
Die etwa hundert Mann, die von uns noch übrig waren, stürmten weiter, und links und rechts sanken die scheußlichen Ausgeburten der Hölle zu Boden.
Als wir das Tor erreichten, stellte sich uns eine Infanterie aus Menschen und Ungeheuern entgegen. Wir griffen an.
Die Gegenseite war uns zahlenmäßig überlegen, doch wir hatten keine andere Wahl. Vielleicht hatten wir die Entfernung zu unserer eigenen Infanterie zu groß werden lassen. Aber ich nahm es eigentlich nicht an. Wie ich die Lage sah, war die Zeit nun allein entscheidend.
»Ich muß durch!« rief ich. »Er ist drinnen!«
»Er gehört mir!« sagte Lance.
»Ihr beide könnt mit ihm tun, was Ihr wollt!« sagte Ganelon und ließ seine Klinge kreisen. »Dringt ein, sobald Ihr könnt! Ich begleite Euch!«
Wir hieben um uns und töteten, doch dann schlug sich das Kriegsglück auf die Seite der anderen. Sie bedrängten uns, all die häßlichen Wesen, die nicht ganz Menschen waren oder nicht mehr, vermengt mit menschlichen Kämpfern. Wir wurden auf einen kleinen Kreis zusammengedrängt und mußten uns nach allen Seiten verteidigen, bis endlich unsere erschöpfte Infanterie eintraf und loszulegen begann. Wieder stießen wir auf das Tor zu und schafften es diesmal, alle vierzig oder fünfzig Mann.
Wir kämpften uns durch, und nun stellten sich uns die Soldaten im Innenhof entgegen.
Das letzte Dutzend von uns, das es bis zum Fuß des düsteren Zitadellenturms schaffte, sah sich einer letzten Gruppe Wächter gegenüber.
»Ran!« rief Ganelon, als wir von unseren Pferden sprangen und zum Nahkampf vorstürmten.
»Ran!« brüllte Lance, und wahrscheinlich meinten beide mich – oder jeweils den anderen.
Ich löste mich aus dem Scharmützel und hastete die Treppe hinauf.
Ich wußte, daß er sich dort oben befand, im höchsten Turm; ich mußte mich ihm zum Kampf stellen und ihn besiegen. Ich wußte nicht, ob ein Sieg in meiner Macht lag, doch ich mußte es versuchen. Wußte ich doch als einziger, woher er wirklich kam und daß ich derjenige war, der ihn hierhergeführt hatte.
Oben an der Treppe stieß ich auf eine massive Holztür. Ich versuchte sie zu öffnen, doch sie war von innen verschlossen. Ich trat mit voller Kraft zu.
Krachend stürzte sie einwärts.
Und da sah ich ihn am Fenster stehen, einen menschenähnlichen Körper in leichter Rüstung, mit einem Ziegenkopf auf breiten Schultern.
Ich trat über die Schwelle und blieb stehen.
Als die Tür nachgab, war er herumgefahren und hatte die Augen aufgerissen – und jetzt versuchte er durch das Visier meinen Blick zu bannen.
»Sterblicher, du bist zu weit gegangen«, sagte er. »Oder bist du gar kein sterblicher Mensch?« In seiner Hand funkelte eine Klinge.
»Frag Strygalldwir«, sagte ich.
»Du also hast ihn getötet«, stellte er fest. »Hat er dich erkannt?«
»Vielleicht.«
Auf der Treppe hinter mir hallten Schritte herauf. Ich trat nach links in den Schutz des Türrahmens.
Ganelon stürmte ins Zimmer, und ich rief: »Halt!« Er blieb sofort stehen.
Er wandte sich in meine Richtung.
»Dies ist das Wesen«, sagte er. »Was ist es?«
»Meine Sünde gegen etwas, das ich einst geliebt habe«, sagte ich. »Laß es in Ruhe. Es gehört mir.«
»Oh, bitte sehr!«
Er rührte sich nicht.
»Hast du das wirklich ernst gemeint?« fragte das Geschöpf.
»Finde es doch heraus!« sagte ich und sprang vor.
Doch das Wesen stellte sich nicht zum Kampf. Statt dessen tat es etwas, das jeder sterbliche Kämpfer für töricht gehalten hätte.
Es schleuderte seine Klinge in meine Richtung, mit der Spitze voran, wie einen Blitz. Und die Bewegung wurde von einer Art Donnerschlag begleitet.
Die Elemente außerhalb des Turms stimmten in das Echo ein, eine ohrenbetäubende Reaktion.
Ich parierte den Angriff mit Grayswandir. Die Waffe bohrte sich in den Boden und begann sofort zu brennen. Draußen zuckten im gleichen Moment Blitze auf.
Einen Augenblick lang war das Licht so grell wie eine Magnesiumsfackel, und in dieser Sekunde fiel das Geschöpf über mich her.
Es drückte mir die Arme an die Flanken, und seine Hörner hieben gegen mein Visier, einmal, zweimal . . .
Dann richtete ich meine Kräfte gegen die mächtigen Arme, und ihr Griff begann sich zu lockern.
Ich ließ Grayswandir fallen und löste mich mit einer letzten gewaltigen Anspannung aus der Umarmung meines Gegners.
Doch im gleichen Augenblick begegneten sich unsere Blicke.
Wir hieben beide zu, gerieten ins Taumeln.
»Lord von Amber«, sagte das Wesen nun. »Warum bekämpft Ihr mich? Ihr wart es doch selbst, der uns diese Passage eröffnet hat, diesen Weg . . .«
»Ich bereue eine voreilige Handlung und versuche sie rückgängig zu machen.«
»Dazu ist es nun zu spät – und dies ist ein seltsamer Ort, um damit zu beginnen.«
Wieder hieb das Wesen zu, so schnell, daß es meine Deckung durchbrach. Ich wurde gegen die Wand geschleudert. Das Geschöpf war gefährlich schnell.
Und dann hob es die Hand und machte ein Zeichen, und ich hatte eine Vision der Gerichte des Chaos vor Augen – eine Vision, die mir die Nackenhaare sträubte, die meine Seele einem kalten Wind aussetzte, in der Erkenntnis, was ich getan hatte.
». . . Seht Ihr?« fragte mein Gegner. »Ihr habt uns dieses Tor aufgetan. Wenn Ihr uns jetzt helft, verschaffen wir Euch, was Euch rechtmäßig gehört.«
Einen Augenblick lang war ich in Versuchung. Durchaus möglich, daß das Wesen sein Versprechen wahrmachen konnte, daß es mir helfen würde, wenn ich ihm half.
Aber danach würde es immer eine Gefahr für mich sein. Für kurze Zeit verbündet, würden wir uns später wieder bekämpfen, sobald wir das Gewünschte erhalten hatten – und die Kräfte der Finsternis waren dann weitaus stärker. Trotzdem – wenn ich Herrscher über die Stadt war . . .
»Machen wir das Geschäft?« lautete die scharfe, fast schrille Frage.
Ich dachte an die Schatten und die Orte jenseits der Schatten . . .
Langsam hob ich den Arm und löste meinen Helm . . .
Ich schleuderte ihn, als das Wesen aufzuatmen schien. Ich glaube, Ganelon sprang im gleichen Augenblick vorwärts.
Ich warf mich quer durch das Zimmer und trieb das Wesen gegen die Wand.
»Nein!« brüllte ich.
Die menschenähnlichen Hände fanden meinen Hals – etwa in dem gleichen Augenblick, da sich meine Finger um seinen Hals schlossen.
Ich drückte mit voller Kraft, drehte die Hände zur Seite. Vermutlich tat die Kreatur das gleiche.
Ich hörte etwas brechen wie einen trockenen Ast. Ich fragte mich, wessen Hals da eben gebrochen sein mochte. Meiner tat jedenfalls fürchterlich weh.
Ich öffnete die Augen, und über mir wölbte sich der Himmel. Ich lag auf dem Rücken; eine Decke schützte mich vor der Kühle des Bodens.
»Ich fürchte, er schafft es«, sagte Ganelon, und ich drehte den Kopf mühsam in die Richtung, aus der ich seine Stimme gehört hatte.
Er saß am Rand der Decke, ein Schwert über den Knien. Lorraine war bei ihm.
»Wie steht der Kampf?« fragte ich.
»Wir haben gesiegt«, sagte er. »Ihr habt Euer Versprechen gehalten. Als Ihr das Ding umgebracht hattet, war alles vorbei. Die graugesichtigen Menschen sanken bewußtlos zu Boden, die Ungeheuer verbrannten.«
»Gut.«
»Ich habe hier gesessen und mich gefragt, warum ich Euch nicht mehr hasse.«