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Es gab keine Felsbrocken, mit denen ich ihr ein Steingrab hätte bauen können; also hieb ich mit Grayswaridir auf den Boden ein und bettete sie in die flache Grube. Er hatte ihr Armbänder, Ringe und den juwelenbesetzten Aufsteckkamm abgenommen – ihr ganzes Vermögen. Ich mußte ihr die Augen schließen, ehe ich provisorisch meinen Mantel über sie legte und mit Zweigen bedeckte; dabei begannen meine Hände zu zittern, und mein Blick trübte sich. Ich brauchte lange, um darüber hinwegzukommen.

Ich ritt weiter, und es dauerte nicht lange, bis ich ihn einholte; er galoppierte dahin, als sei der Teufel hinter ihm her, was ja auch stimmte. Ich sprach kein Wort, als ich ihn vom Pferd holte, und auch hinterher nicht, und ich beschmutzte auch nicht meine Klinge, obwohl er die seine zog. Ich schleuderte seinen entstellten Leichnam in eine hohe Eiche, und als ich später zurückschaute, war die Baumkrone schwarz von Vögeln.

Ehe ich das Grab schloß, gab ich ihr die Ringe, Armbänder und Kämme zurück – und das war Lorraine. Ihr ganzes Leben, all ihre Wünsche, hatten hier gemündet, zu diesem Ort geführt – und das ist die ganze Geschichte unserer Begegnung und Trennung in jenem Land, das Lorraine heißt. Eine Geschichte, die wohl zu meinem Leben paßt, hat doch ein Prinz von Amber Anteil und Verantwortung an allem Übel, das in der Welt lauert – worin auch der Grund zu suchen ist, warum ein Teil meiner selbst mit einem spöttischen »Ha!« reagiert, sobald ich einmal von meinem Gewissen spreche. In vielen Urteilen über mich wird gesagt, meine Hände seien blutig. Ich bin ein Teil des Bösen, das in der Welt und in den Schatten existiert. Ich sehe mich zuweilen als ein Übel, dessen Daseinszweck es ist, sich anderen bösen Einflüssen entgegenzustellen. Ich vernichte Menschen wie Melkin, wenn ich sie aufspüren kann, und an jenem Großen Tag, von dem die Propheten sprechen, an den sie aber eigentlich gar nicht glauben, an jenem Tag, da die Welt gesäubert wird von allem Bösen, werde auch ich in die Düsternis hinabsinken, zähneknirschend und meine Flüche murmelnd. Neuerdings habe ich das Gefühl, daß es sogar schon vorher dazu kommen könnte. Wie dem auch sei . . . Bis zu jenem Augenblick werde ich mir nicht die Hände waschen und sie auch nicht nutzlos in den Schoß legen.

Ich wendete mein Pferd und kehrte zur Burg des Ganelon zurück, der dies alles wußte, aber nie begreifen würde.

4

Über die unheimlichen und verrückten Wege nach Avalon ritten wir, Ganelon und ich, durch Gassen aus Träumen und Alpträumen, unter der hallenden Stimme der Sonne und den weißen Inseln der Nacht, bis diese zu Gold- und Diamantbrocken wurden und der Mond wie ein Schwan dahinsegelte. Der Tag schrie das Grün des Frühlings hinaus, wir überquerten einen breiten Strom, und die Berge vor uns waren mit Nacht überkrustet. Ich schickte einen Pfeil meiner Schöpfung in die mitternächtliche Schwärze empor, und der Schaft fing über mir Feuer und brannte sich wie ein Meteor nach Norden. Der einzige Drache, auf den wir stießen, war lahm und humpelte hastig in ein Versteck, wobei sein keuchender, quietschender Atem Gänseblümchen versengte. Schimmernde Vogelscharen deuteten pfeilförmig unser Ziel an, kristallklare Stimmen aus den Seen ließen unsere Worte widerhallen, während wir vorüberritten. Ich sang im Sattel, und nach einer Weile fiel Ganelon ein. Wir waren nun schon über eine Woche unterwegs, und das Land und der Himmel und die Windstöße verrieten mir, daß wir Avalon nahe gekommen waren.

Als sich die Sonne hinter den Felsen verbarg und der Tag zu Ende ging, lagerten wir in einem Wald in der Nähe eines Sees, Ich ging zum Wasser, um zu baden, während Ganelon unsere Sachen auspackte. Das Wasser war kalt und atemberaubend erfrischend. Ich plätscherte eine Weile darin herum.

Dabei glaubte ich, mehrere Schreie zu hören – doch es blieb bei einem vagen Gefühl. Wir befanden uns in einem unheimlichen Wald, aber ich machte mir keine großen Sorgen. Trotzdem zog ich mich hastig an und kehrte ins Lager zurück.

Unterwegs vernahm ich es erneut: ein Jammern, ein Flehen. Als ich näher kam, erkannte ich, daß ein Gespräch im Gange war.

Schließlich betrat ich die kleine Lichtung, die wir als Lagerplatz erwählt hatten. Unsere Sachen lagen im Gras, eine Feuerstelle war halb fertiggestellt.

Ganelon hockte unter einem alten Eichenbaum auf den Fersen. Der Mann hing an einem Ast.

Er war jung und blond. Mehr vermochte ich auf den ersten Blick nicht festzustellen. Es ist schwierig, sich einen Eindruck von den Gesichtszügen und der Größe eines Mannes zu machen, wenn er mehrere Fuß über dem Boden kopfunter an einem Baum hängt.

Die Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt worden, und er hing an einem Seil, das an seinem rechten Fußknöchel befestigt war.

Er stieß hastige, kurze Antworten auf Ganelons Fragen hervor, und sein Gesicht war feucht von Speichel und Schweiß. Er hing nicht schlaff herab, sondern pendelte hin und her. Seine Wange wies eine Abschürfung auf, an seiner Brust waren mehrere Blutflecken zu sehen.

Ich blieb stehen, zwang mich dazu, nicht einzugreifen, und beobachtete die beiden. Ganelon behandelte den Mann sicher nicht ohne Grund auf diese Weise, so daß ich nicht gerade von Mitleid für den Burschen überwältigt wurde. Was immer Ganelon auf diese Verhörmethode gebracht hatte, in jedem Fall waren die Informationen auch für mich interessant. Außerdem interessierten mich die Erkenntnisse, die mir das Verhör über Ganelon bringen würde, der nun immerhin eine Art Verbündeter war. Und ein paar weitere Minuten mit dem Kopf nach unten konnten dem Burschen nicht groß schaden . . .

Als das Pendeln nachließ, stieß Ganelon seinen Gefangenen mit der Schwertspitze an und ließ ihn erneut heftig ausschwingen. Dies führte zu einer weiteren leichten Brustwunde; ein neuer roter Fleck breitete sich aus. Gleichzeitig stieß der Jüngling einen Schrei aus. An seiner Gesichtsfarbe erkannte ich, daß er noch ziemlich jung war. Ganelon streckte sein Schwert aus und hielt die Spitze mehrere Zoll über die Stelle, die der Hals des Jungen beim Zurückschwingen passieren mußte. Im letzten Augenblick ließ er die Schneide zurückschnellen und lachte leise, als der Junge sich hin und her warf und zu flehen begann. »Bitte!«

»Ich will alles hören«, sagte Ganelon.

»Das ist schon alles«, sagte der Gepeinigte. »Ich weiß wirklich nicht mehr!«

»Warum nicht?«

»Sie sind dann an mir vorbeigaloppiert! Ich konnte nichts mehr sehen!«

»Warum bist du ihnen nicht gefolgt?«

»Sie waren beritten – ich war zu Fuß.«

»Warum bist du ihnen nicht zu Fuß gefolgt?«

»Ich war durcheinander.«

»Durcheinander? Du hattest Angst! Du bist desertiert!«

»Nein!«

Ganelon streckte die Waffe aus und zog sie wieder im letzten Augenblick zurück.

»Nein!« rief der Jüngling.

Wieder hob Ganelon die Klinge.

»Ja!« kreischte der Junge. »Ja, ich hatte Angst!«

»Und dann bist du geflohen?«

»Ja! Ich bin immer weiter geflohen! Ich bin seither auf der Flucht . . .«

»Und du weißt nicht, wie sich die Sache weiterentwickelt hat?«

»Nein!«

»Du lügst!«

Wieder geriet die Klinge in Bewegung.

»Nein!« flehte der Junge. »Bitte . . .«

Ich trat vor. »Ganelon«, sagte ich.

Er sah mich an und senkte grinsend seine Waffe. Der Junge sah mich an.

»Was haben wir denn hier?« fragte ich.

»Ha!« rief Ganelon und klatschte dem Jungen eins auf den Sack, daß er aufschrie. »Einen Dieb, einen Deserteur – mit einer interessanten Geschichte.«

»Dann schneide ihn los und erzähl mir, was du erfahren hast«, sagte ich.

Ganelon machte kehrt und durchtrennte mit einem einzigen Schwerthieb die Schnur. Der Junge fiel zu Boden und begann zu schluchzen.

»Ich habe ihn erwischt, wie er unsere Vorräte stehlen wollte, und kam auf den Gedanken, ihn nach der Gegend zu befragen«, sagte Ganelon. »Er kommt von Avalon – auf schnellstem Wege.«