Выбрать главу

»Was meinst du damit?«

»Er war Fußsoldat in einer Schlacht, die dort vor zwei Nächten geschlagen wurde. Während des Kampfes gewann seine Feigheit die Oberhand, und er ist desertiert.«

Der Jüngling wollte widersprechen, und Ganelon versetzte ihm einen Tritt.

»Sei still!« sagte er. »Ich erzähle doch nur, was du mir gesagt hast!«

Der junge Mann bewegte sich seitwärts wie ein Krebs und starrte mich mit weitaufgerissenen Augen flehend an.

»Schlacht? Wer hat denn gekämpft?« fragte ich.

Ganelon lächelte grimmig.

»Die Geschichte dürfte Euch bekannt vorkommen«, sagte er. »Die Streitkräfte Avalons gingen in die schwerste – und vielleicht letzte – einer ganzen Reihe von Auseinandersetzungen mit Wesen, deren Herkunft nicht natürlich zu erklären ist.«

»Oh?«

Ich musterte den Jungen, der den Blick senkte – doch ich sah die Angst in seinen Augen, ehe die Lider herabglitten.

». . . Frauen«, sagte Ganelon. »Bleichgesichtige Furien aus einer unbekannten Hölle, lieblich und kalt. Bewaffnet und in Rüstung. Langes, helles Haar. Augen wie Eis. Sie reiten auf dem Rücken weißer feuerspeiender Reittiere, die sich von Menschenfleisch ernähren. Sie stürmen nachts aus einem Höhlengewirr in den Bergen hervor, welches vor einigen Jahren von einem Erdbeben geöffnet wurde. Sie veranstalteten zahlreiche Überfälle und nahmen junge Männer als Gefangene mit, brachten alle anderen um. Viele tauchten später als seelenlose Infanterie in ihrem Gefolge wieder auf. Das alles hört sich sehr nach den Menschen des Kreises an, mit denen wir es zu tun hatten.«

»Aber von denen waren viele noch am Leben, als sie befreit wurden«, sagte ich. »Im Kampf wirkten sie gar nicht so seelenlos, nur irgendwie betäubt – so wie es mir auch einmal ergangen ist. Seltsam«, fuhr ich fort, »daß man die Höhlen nicht am Tage versperrt hat, wo die Reiterinnen ihr Unwesen doch nur nachts getrieben haben . . .«

»Der Deserteur hat mir berichtet, daß man so etwas versucht hat«, sagte Ganelon. »Doch die unheimlichen Wesen seien nach einer gewissen Zeit stets wieder aufgetaucht, stärker denn je zuvor.«

Das Gesicht des Jungen war gespenstisch bleich, doch als ich ihn fragend ansah, nickte er.

»Sein General, den er den Protektor nennt, hat sie oft besiegt«, fuhr Ganelon fort. »Er hat sogar den Teil einer Nacht mit der Anführerin, einer bleichen Hexe namens Lintra, verbracht – ob im Liebesspiel oder zu Verhandlungen, weiß ich nicht genau. Jedenfalls ist nichts dabei herausgekommen. Die Überfälle gingen weiter, und die Macht der unheimlichen Wesen wuchs. Der Protektor faßte schließlich den Plan, einen umfassenden Angriff einzuleiten, um den Gegner völlig zu vernichten. Und während dieses Kampfes ist unser Freund hier geflohen« – er deutete mit dem Schwert auf den jungen Mann –, »weshalb wir jetzt nicht wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist.«

»Verhält es sich so?« fragte ich den Gefangenen.

Der Junge wandte sich von der Spitze des Schwerts ab, hielt einen Augenblick lang meinem Blick stand und nickte langsam.

»Interessant«, sagte ich zu Ganelon. »Sehr interessant. Ich habe das Gefühl, daß die Probleme Avalons mit den Gefahren zu tun haben, die wir vor kurzem bannen konnten. Wenn ich nur wüßte, wie der Kampf hier ausgegangen ist!«

Ganelon nickte und faßte seine Waffe fester.

»Also, wenn wir mit ihm fertig sind . . .«, sagte er.

»Moment – Ihr habt gesagt, er wollte sich etwas zu essen stehlen?«

»Ja.«

»Bindet ihn los. Wir geben ihm zu essen.«

»Aber er wollte uns bestehlen!«

»Habt Ihr mir nicht erzählt, Ihr hättet einmal einen Mann wegen eines Paars Schuhe umgebracht?«

»Ja, aber das war doch etwas anderes.«

»Inwiefern?«

»Na, ich – ich habe mich nicht erwischen lassen.«

Ich lachte schallend. Zuerst blickte er mich verärgert an, dann verwirrt. Schließlich begann er ebenfalls zu lachen. Der junge Mann sah uns an, als hätten wir den Verstand verloren.

»Also gut«, sagte Ganelon schließlich, »also gut.« Er bückte sich, drehte den Jungen mit einer kräftigen Handbewegung herum und schnitt die Schnur durch, die seine Handgelenke zusammenhielt.

»Komm, mein Junge«, sagte er. »Ich besorge dir etwas zu essen.« Er beschäftigte sich mit unserer Ausrüstung und öffnete mehrere Proviantpakete.

Der Junge stand auf und humpelte langsam hinter ihm her. Er ergriff, was ihm gereicht wurde, und begann es hastig hinunterzuschlingen, ohne den Blick von Ganelon zu wenden. Seine Informationen, sollten sie stimmen, warfen etliche Komplikationen für mich auf – als erstes den Umstand, daß ich in einem vom Krieg überzogenen Land meine Absichten wahrscheinlich nicht so schnell verwirklichen konnte. Auch verstärkten sich meine Befürchtungen hinsichtlich Art und Ausmaß der Störungen, die ich hervorgerufen hatte.

Ich half Ganelon ein kleines Feuer anzufachen.

»Wie beeinflußt dies Eure weiteren Pläne?« fragte er.

Ich sah eigentlich keine Alternative. Die Schatten in der Nähe dessen, was ich erstrebte, waren sicher ähnlich beeinträchtigt. Ich konnte mein Ziel natürlich in einem Schatten suchen, der nicht heimgesucht wurde – aber wenn ich dann dort eintraf, wäre es der falsche Ort für mich. Was ich erstrebte, wäre dort nicht vorhanden. Wenn die Vorstöße des Chaos auf meinem Wunschweg durch die Schatten eintraten, hingen sie mit der Art meiner Wünsche zusammen und mußten früher oder später bewältigt werden, so oder so. Ausweichen konnte man ihnen nicht. So lief das Spiel nun mal, und ich durfte mich nicht beschweren – hatte ich doch die Regeln selbst aufgestellt.

»Wir reiten weiter«, sagte ich. »Avalon ist mein Ziel.«

Der junge Mann stieß einen kurzen Schrei aus und begann warnend auf mich einzureden – vielleicht aus einem Gefühl des Verpflichtetseins heraus, weil ich Ganelon davon abgehalten hatte, ihn zu durchbohren. »Reitet nicht nach Avalon, Sir! Dort gibt es nichts, was Ihr erstreben könntet! Man würde Euch töten!«

Ich lächelte ihn an und dankte ihm. Ganelon lachte leise vor sich hin und sagte: »Nehmen wir ihn doch mit, damit er sich als Deserteur verantworten kann.«

Daraufhin rappelte sich der Jüngling auf und rannte davon. Immer noch lachend, zog Ganelon seinen Dolch und machte Anstalten, die Klinge zu schleudern. Ich hieb ihm gegen den Arm, und er traf weit daneben. Der junge Mann verschwand im Wald, und Ganelon lachte noch immer.

Er brachte den Dolch wieder an sich. »Ihr hättet mich nicht aufhalten sollen«, sagte er.

»Ich habe anders entschieden.«

Er zuckte die Achseln.

»Wenn er heute nacht zurückkehrt und uns die Hälse durchschneidet, seid Ihr vielleicht anderer Ansicht.«

»Dann allerdings. Aber er kommt nicht zurück, und das wißt Ihr auch.«

Wieder hob er die Schultern, schnitt sich ein Stück Fleisch ab und erwärmte es über den Flammen.

»Nun, der Krieg hat ihm wenigstens beigebracht, wie man die Beine unter den Arm nimmt«, sagte er anerkennend. »Vielleicht erleben wir den morgigen Tag doch noch.«

Er biß ab und begann zu kauen. Sein Beispiel spornte mich an, und ich versorgte mich ebenfalls mit einem Stück Fleisch.

Später erwachte ich aus unruhigem Schlaf und starrte durch das Dach der Blätter auf die Sterne. Ein in die Zukunft schauender Teil meines Geistes beschäftigte sich mit dem Jungen und nahm uns tüchtig ins Gebet. Es dauerte lange, bis ich wieder einschlafen konnte.

Am Morgen häuften wir Erde über die Feuerstelle und ritten weiter. Bis zum Nachmittag schafften wir es in die Berge und ließen sie am folgenden Tag hinter uns.

Auf unserem Weg zeigten sich da und dort frische Spuren – doch wir begegneten niemandem.

Am nächsten Tag kamen wir an mehreren Bauernhäusern und Siedlungen vorbei, ohne uns aufzuhalten. Ich hatte mich gegen die wilde, dämonische Route entschlossen, der ich bei der Verbannung Ganelons gefolgt war. Zwar wäre dieser Weg viel kürzer gewesen, doch hätte sich mein Begleiter bestimmt darüber aufgeregt. Außerdem brauchte ich Zeit zum Nachdenken, so daß ein solcher Ausflug nicht in Frage kam. Inzwischen ging auch der lange Weg seinem Ende entgegen. An diesem Nachmittag erlangten wir Ambers Himmel, und ich bewunderte stumm den Anblick. Es sah beinahe so aus, als ritten wir durch den Wald von Arden. Allerdings war kein Hörnerklang zu vernehmen, und kein Julian, kein Morgenstern, keine gierig hechelnden Hunde tauchten auf, wie damals, als ich zum letztenmal durch Arden kam. Wir nahmen nur den Vogelgesang in den mächtigen Bäumen wahr, das Keckem eines Eichhörnchens, das Bellen eines Fuchses, das Plätschern eines Wasserfalls, das Weiß und Blau und Rosa von Blumen in den Schatten.