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Daraufhin nickte er nur und löste damit in mir unangenehme Spekulationen über seine Kontakte in Amber aus. Vielleicht stand er neuerdings auf Erics Seite!

»Wann warst du denn zum letztenmal dort?« wagte ich mich vor.

»Gut zwanzig Jahre ist das jetzt her«, erwiderte er. »Doch ich halte Kontakt und lasse mich informieren.«

Nicht mit jemandem, der diesen Umstand mir gegenüber hatte erwähnen wollen! Und das mußte ihm bekannt sein; sollte ich seine Worte nun als Warnung verstehen – oder etwa als Drohung? Meine Gedanken überschlugen sich. Natürlich besaß er ein Spiel mit den Haupttrümpfen. Ich blätterte sie im Geiste vor mir auf und ging sie hastig durch. Random hatte ahnungslos getan, als ich ihn nach Benedicts Verbleib befragte. Brand wurde schon lange vermißt. Ich hatte einen Hinweis darauf, daß er noch lebte, als Gefangener an einem unbekannten üblen Ort, unfähig, Informationen über die Geschehnisse in Amber zu erlangen. Flora konnte seine Kontaktperson auch nicht gewesen sein, da sie bis vor kurzem in den Schatten praktisch im Exil gelebt hatte. Llewella hielt sich in Rebma auf, Deirdre ebenfalls; als ich sie zum letztenmal sah, war sie außerdem in Amber in Ungnade gewesen. Fiona? Julian hatte mir gesagt, sie sei »irgendwo im Süden«. Er wußte nicht genau, wo. Wer blieb nun noch übrig?

Eric selbst, Julian, Gérard oder Caine. Eric kam nicht in Frage. Der hätte niemals Einzelheiten über Vaters Nichtabdankung auf eine Weise verbreitet, die es Benedict ermöglichte, sich eine solche Meinung zu diesem Thema zu bilden. Julian stand hinter Eric, war allerdings nicht ohne persönlichen Ehrgeiz. Wenn es ihm nützen konnte, würde er Informationen weitergeben. Das gleiche galt für Caine. Gérard dagegen hatte auf mich immer den Eindruck gemacht, als interessiere ihn das Wohl Ambers mehr als die Frage, wer denn auf seinem Thron saß. Seine Sympathie für Eric hielt sich allerdings in Grenzen, und er war einmal bereit gewesen, Bleys oder mich gegen ihn zu unterstützen. Meiner Auffassung nach hätte er Benedicts Informiertheit über die Ereignisse als eine Art Rückversicherung für das ganze Land angesehen. Ja, mit ziemlicher Sicherheit war es einer dieser drei. Julian haßte mich, Caine mochte mich nicht besonders, hatte aber auch nichts gegen mich, und Gérard und ich teilten angenehme Erinnerungen, die bis in meine Kindheit zurückreichten. Ich mußte schleunigst herausfinden, wer dahintersteckte – und Benedict war natürlich nicht so ohne weiteres bereit, mir klaren Wein einzuschenken, kannte er doch meine jetzigen Beweggründe nicht. Eine Verbindung zu Amber konnte dazu verwendet werden, mir zu schaden oder zu nützen, je nach seinen Wünschen, je nach der Person am anderen Ende. So war diese Information für ihn zugleich Waffe und Schild, und es kränkte mich doch etwas, daß er es für richtig hielt, mir diesen Umstand so deutlich vor Augen zu führen. Ich rang mich schließlich zu der Annahme durch, seine kürzliche Verwundung habe ihn unnatürlich vorsichtig gemacht – denn ich hatte ihm bisher niemals Grund zur Sorge gegeben. Allerdings führte dies dazu, daß ich ebenfalls ungewöhnlich vorsichtig war – eine traurige Erkenntnis, wenn man nach vielen Jahren einen Bruder wiedersieht.

»Interessant«, sagte ich und ließ den Wein in meinem Becher kreisen. »So gesehen hat es den Anschein, als habe jedermann voreilig gehandelt.«

»Nicht jeder«, sagte er.

Ich spürte, daß sich mein Gesicht rötete.

»Verzeihung«, sagte ich.

Er nickte knapp. »Bitte setze deinen Bericht fort.«

»Nun, zurück zu meinen Vermutungen«, setzte ich an. »Als Eric zu dem Schluß kam, der Thron habe nun lange genug leer gestanden und es wäre Zeit, danach zu greifen, muß er sich zugleich überlegt haben, daß meine Amnesie nicht ausreichte und daß es besser wäre, meinen Anspruch ein für allemal zu unterbinden. Daraufhin sorgte er dafür, daß ich auf der Schatten-Erde in einen Unfall verwickelt wurde, der tödlich hätte sein müssen – es aber nicht war.«

»Woher weißt du das alles? Wieviel vermutest du nur?«

»Als ich sie später befragte, hat Flora diesen Plan gewissermaßen eingestanden – einschließlich ihrer Rolle dabei.«

»Sehr interessant. Sprich weiter.«

»Der Schlag auf den Kopf sorgte für etwas, das mir nicht einmal Sigmund Freud hatte verschaffen können«, fuhr ich fort. »Erinnerungsfetzen regten sich in mir, die mit der Zeit immer stärker wurden – besonders als ich Flora wiedersah und allen möglichen Dingen ausgesetzt wurde, die mein Gedächtnis anregten. Ich überzeugte Flora schließlich, daß ich mich wieder an alles erinnern konnte, und brachte sie dazu, offen über Menschen und Umstände zu sprechen. Dann tauchte Random auf. Er war auf der Flucht vor etwas . . .«

»Auf der Flucht? Wovor? Warum?«

»Vor irgendwelchen seltsamen Kreaturen aus den Schatten. Den Grund habe ich nie erfahren.«

»Interessant«, meinte er, und ich mußte ihm zustimmen. In meiner Zelle hatte ich oft darüber nachgedacht und mich gefragt, warum wohl Random, von den Furien gehetzt, überhaupt auf der Bühne erschienen war. Vom Augenblick unserer Begegnung an bis zu unserer Trennung hatten wir in einer Art Gefahr geschwebt; ich war zu der Zeit mit meinen eigenen Sorgen beschäftigt, und er hatte nichts verlauten lassen über die Gründe für sein plötzliches Auftauchen. Ich hatte mir im Augenblick seines Erscheinens natürlich Gedanken gemacht, doch ich wußte nicht, ob es sich um etwas handelte, das ich hätte wissen sollen, und ließ die Frage zunächst offen. Die späteren Ereignisse lenkten mich davon ab, bis ich mich dann in der Zelle und jetzt in diesem Augenblick wieder damit befassen konnte. Interessant? In der Tat. Aber auch beunruhigend.

Ich vermochte Random über meinen Zustand zu täuschen«, fuhr ich fort. »Er nahm an, ich erstrebte den Thron, während ich mich zunächst nur darum bemühte, mein Gedächtnis wiederzufinden. Er erklärte sich einverstanden, mir bei der Rückkehr nach Amber zu helfen, und brachte mich auch tatsächlich zurück. Na ja, fast«, korrigierte ich mich. »Wir landeten in Rebma. Doch inzwischen hatte ich Random reinen Wein eingeschenkt, und er schlug vor, ich solle das Muster noch einmal abschreiten und mich auf diese Weise völlig wiederherstellen. Die Gelegenheit bot sich mir, und ich ergriff sie. Das Ergebnis war positiv, und ich nutzte die Macht des Musters, um mich nach Amber zu versetzen.«

Er lächelte. »In diesem Augenblick muß Random ein sehr unglücklicher Mensch gewesen sein«, bemerkte er.

»Jedenfalls ist er nicht gerade in Jubelrufe ausgebrochen«, sagte ich. »Er hatte Moires Urteil akzeptiert – er mußte eine Frau ihrer Wahl heiraten, ein blindes Mädchen namens Vialle, und mindestens ein Jahr lang bei ihr bleiben. Ich ließ ihn zurück und erfuhr später, daß er das Urteil erfüllt hatte. Deirdre war ebenfalls dort. Wir hatten sie unterwegs getroffen; sie war aus Amber geflohen, und wir suchten zu dritt in Rebma Schutz. Auch sie blieb dort.«

Ich leerte meinen Becher, und Benedict deutete mit einer Kopfbewegung auf die Flasche, die aber schon fast leer war. Er nahm eine neue aus seiner Truhe, und wir füllten unsere Becher. Ich trank einen großen Schluck. Dieser Wein war noch besser als der erste – vermutlich sein Privatvorrat.

»Im Palast«, fuhr ich fort, »schlug ich mich in die Bibliothek durch, wo ich mir ein Spiel Tarockkarten verschaffte. Dies war der Hauptgrund für meinen Vorstoß. Doch Eric überraschte mich gleich darauf, und wir kämpften in der Bibliothek. Ich verwundete ihn und hätte ihn wohl auch besiegen können, doch nun traf Verstärkung für ihn ein, und ich mußte fliehen. Ich setzte mich mit Bleys in Verbindung, der mich zu sich in die Schatten holte. Den Rest weißt du sicher von deinen Informanten. Daß Bleys und ich uns zusammentaten, Amber angriffen und die Schlacht verloren. Er stürzte vom Kolvir in die Tiefe. Ich warf ihm meine Karten zu, und er fing sie auf. Soweit ich gehört habe, wurde seine Leiche bis jetzt nicht gefunden. Doch es war ein tiefer Sturz – wenn ich auch annehme, daß in jenem Augenblick Flut herrschte. Ich weiß nicht, ob er an jenem Tag gestorben ist oder nicht.«