Ich schnürte meine Vorräte auf und machte ein Frühstück. Ein heißer, staubiger Tag stand mir bevor.
Während ich in den Dünen arbeitete, dachte ich an Doyle, den kleinen Juwelier aus Avalon mit den dünnen Haaren und dem feuerroten, mit Geschwülsten bedeckten Gesicht. Juweliersrouge? Wozu wollte ich all das Juweliersrouge – genug, um eine Armee von Juwelieren ein Dutzend Leben lang zu versorgen? Ich hatte die Achseln gezuckt. Was interessierte es ihn, wozu ich das Zeug brauchte, solange ich dafür zahlte? Nun, wenn es eine neue Verwendung für das Zeug gab, die viel Geld zu bringen versprach, wäre man ja ein Dummkopf . . . Mit anderen Worten, er war nicht in der Lage, mich innerhalb einer Woche mit der gewünschten Menge zu versorgen? Kleine gepreßte Kicherlaute zwischen Zahnlücken. Eine Woche? O nein! Natürlich nicht! Lächerlich, kam gar nicht in Frage . . . Ich begriff. Nun, vielen Dank, und vielleicht war der Konkurrent ein Stück weiter oben in der Lage, das Zeug zu beschaffen; außerdem mochte er sich für ein paar ungeschliffene Diamanten interessieren, die ich in einigen Tagen erwartete . . . Diamanten, sagten Sie? Moment. Er interessierte sich stets für Diamanten . . . Ja, aber in Sachen Juweliersrouge ließen seine Leistungen doch zu wünschen übrig! Eine erhobene Hand. Vielleicht hatte er sich etwas zu voreilig über seine Fähigkeit geäußert, das Poliermittel zu liefern. Die Menge hatte ihn doch etwas stutzig gemacht. Die Ingredienzien gab es allerdings reichlich, und die Formel war ziemlich simpel. Ja, eigentlich gab es keinen Grund, warum man nicht etwas arrangieren könnte. Und innerhalb einer Woche. Aber nun zu den Diamanten . . .
Ehe ich seinen Laden verließ, hatten wir etwas arrangiert.
Ich habe viele Menschen kennengelernt, die der Meinung waren, daß Schießpulver explodiert – was natürlich nicht zutrifft. Es brennt sehr schnell ab und entwickelt dabei einen Gasdruck, der ein Geschoß aus dem offenen Ende einer Hülse preßt und es durch den Lauf einer Waffe treibt, nachdem es von der Zündkapsel entzündet worden ist, die das eigentliche Explodieren besorgt, wenn der Zündhebel hineingetrieben wird. Mit der typischen Voraussicht meiner Familie hatte ich im Laufe der Jahre mit einer Reihe von Brennstoffen experimentiert. Meine Enttäuschung angesichts der Entdeckung, daß sich Schießpulver in Amber nicht entzünden ließ und daß alle ausprobierten Zündkapseln dort ebenfalls nicht funktionierten, wurde nur durch die Erkenntnis abgemildert, daß auch keiner meiner Verwandten Feuerwaffen nach Amber bringen konnte. Erst viel später bot sich mir während eines Besuchs in Amber die Lösung. Ich hatte ein Armband poliert, das für Deirdre bestimmt war – und als ich das verschmutzte Tuch in einen Kamin warf, erlebte ich die in Amber so wundersame Eigenschaft des Juweliersrouges aus Avalon! Zum Glück flog nur eine kleine Menge in die Luft, und ich war in jenem Augenblick allein.
Das Mittel war ein ausgezeichneter Zündstoff. Mit einer ausreichenden Menge nichtzündfähigen Materials verschnitten, konnte man es auch richtig zum Abbrennen bringen.
Ich behielt die Entdeckung für mich, nahm ich doch an, daß sich das Mittel eines Tages dazu einsetzen ließ, um in Amber gewisse grundsätzliche Entscheidungen herbeizuführen.
Leider hatten Eric und ich unseren Zusammenstoß, ehe dieser Tag heranrückte, und die Entdeckung wurde zusammen mit all meinen anderen Erinnerungen auf Eis gelegt. Als ich mein Gedächtnis endlich zurückgewonnen hatte, tat ich mich mit Bleys zusammen, der einen Angriff auf Amber plante. Er brauchte mich eigentlich nicht, hatte mich aber als Partner akzeptiert – wohl um ein Auge auf mich zu haben. Hätte ich ihm Waffen geliefert, wäre er unbesiegbar und ich überflüssig gewesen. Und hätten wir Amber tatsächlich erobert, wie es seine Pläne vorsahen, wäre die Situation noch unhaltbarer geworden, da der größte Teil der Besatzungsmacht und natürlich das Offizierskorps auf seiner Seite standen. Dann hätte ich etwas Besonderes aufbieten müssen, um das Kräfteverhältnis wieder auszugleichen. Zum Beispiel ein paar Bomben und etliche automatische Waffen.
Wäre ich einen Monat früher wieder zu mir gekommen, hätte sich alles anders entwickelt. Dann säße ich jetzt vielleicht in Amber und wäre nicht ausgeglüht und erschöpft in dem Bewußtsein, daß ein weiterer Höllenritt und ein ganzer Sack voll Sorgen vor mir lagen, mit denen ich mich befassen mußte.
Ich spuckte Sand, um nicht zu ersticken, wenn ich lachte. Himmel, unser ›Wäre doch nur‹ war wirklich etwas Besonderes! Ich konnte an andere Dinge denken als an das, was hätte geschehen können. Zum Beispiel an Eric . . .
Ich erinnere mich an jenen Tag, Eric. Ich stand in Ketten und war vor dem Thron auf die Knie gezwungen worden. Eben hatte ich mich selbst gekrönt, um dich zu verspotten, und war dafür geschlagen worden. Als ich die Krone das zweitemal in der Hand hielt, schleuderte ich sie in deine Richtung. Aber du hast sie aufgefangen und gelacht. Ich war froh, daß sie wenigstens nicht beschädigt war, wenn sie dich schon nicht verwunden konnte. Ein so schönes Ding . . . Ganz aus Silber, mit sieben langen Zacken besetzt mit Smaragden, die schöner sind als alle Diamanten. An jeder Schläfe ein großer Rubin . . . An jenem Tag hast du dich selbst gekrönt, eine Geste der Arroganz, des hastig arrangierten Pomps. Deine ersten Worte als Herrscher wurden mir zugeflüstert, noch ehe das Echo »Lang lebe der König!« im Saal verhallt war. Ich erinnere mich an jedes einzelne Wort. »Deine Augen haben den schönsten Anblick genossen, den sie jemals sehen werden«, hast du gesagt, gefolgt von dem Befehclass="underline" »Wachen! Bringt Corwin in die Schmiede und brennt ihm die Augen aus! Er soll sich an die Szenen dieses Tages als die letzten erinnern, die er jemals vor Augen hatte! Dann werft ihn in die Schwärze des tiefsten Verlieses unter Amber, auf daß sein Name vergessen sei!«
»Jetzt herrschst du in Amber«, sagte ich laut. »Doch weder habe ich mein Augenlicht verloren, noch bin ich vergessen!«
Nein, dachte ich. Sieh zu, wie du mit deinem Titel fertig wirst, Eric. Die Mauern Ambers sind hoch und mächtig. Versteck dich dahinter. Umgib dich mit dem nutzlosen Stahl von Klingen. Wie eine Ameise panzerst du deine Behausung mit Staub. Du weißt jetzt, daß du nicht sicher leben kannst, solange ich lebe, und ich habe dir versprochen, daß ich zurückkehren werde. Ich komme, Eric! Ich bringe Waffen aus Avalon, und ich werde deine Tore niedertreten und deine Verteidiger auslöschen. Und dann wird es so sein wie schon einmal vor langer Zeit, eine Minute lang, ehe deine Männer dich retteten. An jenem Tage holte ich mir nur wenige Tropfen deines Blutes. Diesmal soll es alles sein.
Ich scharrte einen weiteren Rohdiamanten frei, etwa den sechzehnten, und schob ihn in den Beutel an meinem Gürtel.
Während ich auf die untergehende Sonne starrte, dachte ich an Benedict, Julian und Gérard. Was für eine Verbindung bestand zwischen diesen Männern? Wie immer sie aussah – jede Interessenverbindung, die Julian einschloß, war mir zuwider. Gérard war in Ordnung. Ich hatte ruhig einschlafen können damals im Lager, als ich mir vorstellte, daß sich Benedict mit ihm in Verbindung gesetzt hatte. Doch wenn er jetzt mit Julian verbündet war, lag hier ein Grund zur Besorgnis. Wenn mich ein Mensch noch mehr haßte als Eric, dann Julian. Wenn er erfuhr, wo ich steckte, war ich in großer Gefahr. Für eine Konfrontation war ich noch nicht gerüstet.
Vermutlich hätte Benedict einen moralischen Grund gefunden, mich in diesem Augenblick zu verraten. Schließlich wußte er, daß mein Tun darauf gerichtet war, Unruhe nach Amber zu tragen – und er wußte sehr wohl, daß ich etwas im Schilde führte. Ich vermochte seine Einstellung sogar zu verstehen. Ihm ging es in erster Linie um die Erhaltung des Reiches. Im Gegensatz zu Julian war er ein Mann mit Prinzipien, und ich bedauerte es, nicht auf seiner Seite zu stehen. Ich konnte nur hoffen, daß mein Coup so schnell und schmerzlos ablaufen würde wie eine Zahnziehung bei Betäubung und daß wir dann hinterher wieder am selben Strang ziehen konnten. Nachdem ich nun Dara kennengelernt hatte, wünschte ich mir dies auch um ihretwillen.