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»Diese verdammte Politik! Das wollte ich damit nicht sagen! Das Soldatendasein ist mein ein und alles – und ich liebe Avalon.«

»Ich glaube Euch ja. Aber könnte er Euch glauben?«

»Mit nur einem Arm braucht er einen guten Mann. Er könnte . . .«

Ich begann zu lachen und beherrschte mich sofort wieder, denn Laute dieser Art sind noch aus großer Entfernung vernehmbar.

Außerdem ging es hier um Ganelons Gefühle.

»Es tut mir leid«, sagte ich. »Entschuldigt bitte. Ihr versteht das noch nicht richtig. Ihr begreift noch nicht, mit wem wir uns damals am ersten Abend im Zelt unterhalten haben. Euch ist er vielleicht wie ein ganz normaler Mensch vorgekommen – womöglich noch wie ein Krüppel. Aber das ist nicht der Fall. Ich habe Angst vor Benedict. Kein Wesen in den Schatten oder in der Realität kommt ihm gleich. Er ist der Waffenmeister Ambers. Könnt Ihr Euch ein Millennium vorstellen? Tausend Jahre? Mehrere Jahrtausende? Könnt Ihr einen Mann begreifen, der an fast jedem Tag eines solchen Lebens einen Teil seiner Zeit im Umgang mit Waffen, Taktiken und Strategien verbracht hat? Ihr seht ihn hier in einem winzigen Königreich als Kommandant einer kleinen Miliz, mit einem gepflegten Obstgarten hinter dem Haus – laßt Euch dadurch nicht täuschen! Was immer die Militärwissenschaft ausmacht – er hat sie im Kopf. Oft ist er von Schatten zu Schatten gereist und hat unzählige Variationen derselben Schlacht beobachtet, mit kaum veränderten Voraussetzungen, um seine Theorien über die Kriegführung auszuprobieren. Er hat Armeen von solcher Größe befehligt, daß Ihr sie Tag um Tag an Euch vorbeimarschieren lassen könntet, ohne daß ein Ende der Kolonnen abzusehen wäre. Auch wenn ihn der Verlust des Arms jetzt beeinträchtigt, würde ich nicht gegen ihn kämpfen wollen, weder mit Waffen noch mit den bloßen Fäusten. Nur gut, daß er selbst keine Absichten auf den Thron hat – sonst säße er längst darauf. Und wenn er dort säße, hätte ich meinen Anspruch wohl in diesem Augenblick aufgegeben und mich ihm unterworfen. Ich habe Angst vor Benedict.«

Ganelon schwieg eine lange Zeit, und ich trank einen tiefen Schluck, denn mein Hals war trocken geworden.

»Das wußte ich natürlich nicht«, sagte er schließlich. »Ich will es zufrieden sein, wenn er mich nur nach Avalon zurückkehren läßt.«

»Und das tut er bestimmt. Das weiß ich.«

»Dara sagte, sie hätte heute von ihm gehört. Er hat beschlossen, seinen Aufenthalt im Felde abzukürzen. Wahrscheinlich kehrt er schon morgen zurück.«

»Verdammt!« sagte ich und stand auf. »Dann müssen wir uns beeilen! Ich hoffe, Doyle hat das Zeug bereit. Wir müssen ihn morgen früh aufsuchen und die Angelegenheit beschleunigen. Ich möchte fort sein, wenn Benedict zurückkehrt!«

»Ihr habt also die Klunker?«

»Ja.«

»Darf ich sie mal sehen?«

Ich löste den Beutel von meinem Gürtel. Er öffnete die Schnur und nahm mehrere Steine heraus, die er in der linken Hand hielt und mit den Fingerspitzen langsam wendete.

»Die sehen ja nicht gerade umwerfend aus«, sagte er. »Soweit ich sie in diesem Licht überhaupt erkennen kann. Halt! Da ist ein Schimmer! Nein . . .«

»Sie sind natürlich im Rohzustand. Ihr haltet ein Vermögen in den Händen.«

»Erstaunlich«, sagte er, tat die Steine wieder in den Beutel und schloß ihn. »Und es hat Euch keine Mühe gemacht.«

»So leicht war es nun auch wieder nicht.«

»Trotzdem will es mir etwas unfair erscheinen, daß Ihr so schnell an ein Vermögen gekommen seid.«

Er gab mir den Beutel zurück.

»Ich will dafür sorgen, daß Ihr ein Vermögen erhaltet, wenn unsere Arbeit beendet ist«, sagte ich. »Das dürfte ein kleiner Ausgleich sein, falls Benedict Euch keine Stellung anbietet.«

»Nachdem ich nun weiß, wer er ist, bin ich entschlossener denn je, eines Tages für ihn zu arbeiten.«

»Wir wollen sehen, was sich tun läßt.«

»Jawohl. Vielen Dank, Corwin. Wie fädeln wir unsere Abreise ein?«

»Am besten legt Ihr Euch jetzt hin, denn ich werde Euch früh wecken. Star und Feuerdrache mögen es bestimmt nicht, vor einen Wagen gespannt zu werden – doch wir müssen uns eines von Benedicts Fahrzeugen ausborgen und in die Stadt fahren. Vorher sorge ich noch für etwas, das von unserem geordneten Rückzug ablenkt. Dann treiben wir Juwelier Doyle zur Eile an, beschaffen uns unsere Fracht und verschwinden möglichst schnell in die Schatten. Je größer unser Vorsprung ist, desto schwerer wird es Benedict fallen, uns aufzuspüren. Wenn wir einen halben Tag herausholen können, ist es für ihn praktisch unmöglich, uns in die Schatten zu folgen.«

»Warum sollte ihm überhaupt daran liegen, uns zu folgen?«

»Er mißtraut uns – zu Recht. Er wartet darauf, daß ich handle. Er weiß, daß ich mir hier etwas beschaffen will, doch er weiß nicht, was. Er möchte es aber wissen, damit er Gefahr von Amber abwenden kann. Sobald er erkennt, daß wir endgültig verschwunden sind, weiß er, daß wir das Gewünschte bekommen haben, und wird nach uns suchen.«

Ganelon gähnte, reckte sich, trank sein Glas aus.

»Ja«, sagte er schließlich. »Wir sollten uns wirklich hinlegen, um für die große Hatz gerüstet zu sein. Nachdem Ihr mir nun einiges über Benedict anvertraut habt, finde ich jene andere Sache, die ich Euch noch eröffnen wollte, weniger überraschend – wenn ich auch nicht weniger beunruhigt bin.«

»Und das wäre . . .?«

Er stand auf, ergriff vorsichtig die Flasche und deutete den Weg entlang.

»Wenn Ihr in dieser Richtung weitergeht«, sagte er, »vorbei an der Hecke, welche das Ende dieses Grundstücks kennzeichnet, und wenn Ihr dann noch etwa zweihundert Schritte in den angrenzenden Wald hineingeht, erreicht ihr zur Linken eine kleine Gruppe junger Bäume in einer überraschend auftauchenden Senke, etwa vier Fuß tiefer als der Weg. Dort unten befindet sich an frisches Grab – die Erde ist festgetrampelt und mit Blättern bestreut. Ich habe die Stelle vorhin gefunden, als ich dort . . . äh . . . dem Ruf der Natur folgen wollte.«

»Woher wißt Ihr, daß es sich um ein Grab handelt?«

Er lachte leise.

»Wenn in einem Loch Leichen liegen, nennt man das im allgemeinen so. Das Grab ist nicht sehr tief, und ich habe ein bißchen mit einem Ast darin herumgestochert. Vier Leichen liegen dort – drei Männer und eine Frau.«

»Wie lange sind sie schon tot?«

»Nicht sehr lange. Höchstens ein paar Tage.«

»Ihr habt nichts verändert?«

»Ich bin doch kein Dummkopf, Corwin!«

»Es tut mir leid. Aber Eure Entdeckung beunruhigt mich doch sehr, denn ich verstehe sie nicht.«

»Offensichtlich haben diese Leute Benedict verärgert, und er hat sich revanchiert.«

»Möglich. Wie sahen sie aus? Wie sind sie gestorben?«

»Nichts Besonderes zu berichten. Sie waren im mittleren Alter, und man hatte ihnen die Kehle durchgeschnitten – bis auf einen Burschen, der einen Stich in den Leib bekommen hat.«

»Seltsam. Ja, es ist gut, daß wir hier bald verschwinden. Wir haben schon genug eigene Sorgen und können auf die hiesigen Probleme gern verzichten!«

»Wahr gesprochen. Gehen wir zu Bett!«

»Geht ruhig schon vor. Ich bin noch nicht soweit.«

»Befolgt den eigenen Rat – legt Euch zur Ruhe«, sagte er und wandte sich wieder dem Haus zu. »Bleibt nicht etwa auf und macht Euch Sorgen.«

»Nein.«

»Also gute Nacht.«

»Bis morgen.«

Ich blickte ihm nach. Er hatte natürlich recht, doch ich war noch nicht bereit, mein Bewußtsein fahrenzulassen. Noch einmal ging ich meine Pläne durch, um sicherzugehen, daß ich nichts übersehen hatte. Ich leerte das Glas und setzte es auf die Bank. Dann stand ich auf und schlenderte herum, wobei Tabakrauch meinen Kopf umwölkte. Mondlicht fiel herab, und die Morgendämmerung war meiner Schätzung nach noch ein paar Stunden entfernt. Ich war fest entschlossen, den Rest der Nacht im Freien zu verbringen, und hoffte ein passendes Plätzchen zu finden.

Natürlich schritt ich schließlich doch den Weg hinab zu der Gruppe junger Schößlinge. Dort stöberte ich ein bißchen herum und fand tatsächlich frische Erdspuren, aber ich hatte keine Lust, beim Mondenschein Leichen zu exhumieren, und war durchaus bereit, auf Ganelons Aussage hinsichtlich seiner Funde zu vertrauen. Ich bin mir gar nicht sicher, warum ich diese Stelle überhaupt aufsuchte. Vermutlich ein morbider Zug meines Unterbewußtseins. Allerdings wollte ich mich nicht gerade hier zum Schlafen niederlegen.