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Dann begab ich mich in die Nordwestecke des Gartens und fand dort ein Eckchen, das vom Haus nicht eingesehen werden konnte. Hecken ragten hoch auf, das Gras war lang und weich und roch angenehm. Ich breitete meinen Mantel aus, setzte mich darauf und zog meine Stiefel aus. Dann schob ich die Füße ins Gras und seufzte.

Lange konnte es nicht mehr dauern. Durch die Schatten zu den Diamanten zu den Waffen nach Amber. Ich war unterwegs. Noch vor einem Jahr hatte ich hilflos in einer Zelle gelegen und war so oft zwischen Vernunft und Wahnsinn hin und her gependelt, daß ich die Grenze zwischen den beiden Zustandsformen förmlich ausradiert hatte. Inzwischen war ich wieder frei und bei Kräften, ich konnte sehen und hatte einen Plan. Ich war eine Gefahr, die sich von neuem bemerkbar zu machen suchte, eine größere Gefahr als je zuvor. Diesmal hing mein Geschick nicht von den Plänen eines anderen ab. Diesmal war ich für Erfolg oder Fehlschlag allein verantwortlich.

Das Gefühl war angenehm – angenehm wie das Gras und auch der Alkohol, der sich inzwischen meines Körpers bemächtigt hatte und mich mit einer warmen Flamme erfüllte. Ich säuberte meine Pfeife, steckte sie fort, reckte mich, gähnte und wollte mich schon zum Schlafen niederlegen.

Da bemerkte ich in der Ferne eine Bewegung, stemmte mich auf die Ellbogen hoch und versuchte genauer hinzuschauen, versuchte die Ursache zu erkennen. Ich brauchte nicht lange zu warten. Eine Gestalt bewegte sich langsam und lautlos auf dem Weg. Immer wieder blieb sie stehen. Sie verschwand unter dem Baum, wo Ganelon und ich gesessen hatten, und war eine Zeitlang meinen Blicken entschwunden. Dann ging sie mehrere Dutzend Schritte weiter, verharrte und schien in meine Richtung zu blicken. Schließlich kam sie auf mich zu.

Sie passierte ein Gebüsch und verließ den Schatten; ihr Gesicht wurde plötzlich vom Mondlicht erfaßt.

Offenbar bemerkte sie die Veränderung, denn sie lächelte in meine Richtung und begann langsamer zu gehen und blieb schließlich vor mir stehen.

»Dein Quartier scheint dir nicht zu liegen, Lord Corwin.«

»O doch«, erwiderte ich. »Nur haben wir eine so schöne Nacht, daß der Naturmensch in mir die Oberhand gewonnen hat.«

»Auch letzte Nacht muß etwas in dir die Oberhand gewonnen haben«, sagte sie. »Trotz des Regens.« Sie setzte sich neben meinen Mantel. »Hast du drinnen geschlafen oder draußen?«

»Die Nacht habe ich im Freien verbracht«, sagte ich. »Doch zum Schlafen bin ich nicht gekommen. Um ehrlich zu sein, habe ich seit unserer letzten Begegnung noch nicht geschlafen.«

»Wo bist du gewesen?«

»Unten am Meer. Ich habe Sand gesiebt.«

»Hört sich trostlos an.«

»Das war es auch.«

»Ich habe viel nachgedacht, seit wir durch die Schatten gegangen sind.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Allzuviel geschlafen habe auch ich nicht. Deshalb habe ich dich nach Hause kommen und mit Ganelon sprechen hören, deshalb wußte ich auch, daß du hier irgendwo sein mußtest, als er allein zurückkam.«

»Richtig vermutet.«

»Ich muß nach Amber, weißt du. Ich muß das Muster beschreiten!«

»Ich weiß. Und das wirst du auch.«

»Bald, Corwin. Bald!«

»Du bist noch jung, Dara. Du hast viel Zeit.«

»Verdammt! Ich habe schon mein ganzes Leben darauf gewartet – ohne es überhaupt zu wissen! Gibt es denn keine Möglichkeit, jetzt zu reisen?«

»Nein.«

»Warum nicht? Du könntest mich auf kurzem Wege durch die Schatten führen, nach Amber, könntest mich das Muster abschreiten lassen . . .«

»Wenn wir nicht auf der Stelle getötet werden, haben wir vielleicht das Glück, für die erste Zeit in benachbarten Zellen – oder auf benachbarten Streckbänken – unterzukommen, ehe man uns hinrichtet.«

»Weshalb denn nur? Du bist ein Prinz der Stadt. Du hast das Recht zu tun, was dir beliebt.«

Ich lachte.

»Ich bin ein Geächteter, meine Liebe. Wenn ich nach Amber zurückkehre, richtet man mich hin – das wäre noch ein Glück für mich – oder stellt etwas weit Schlimmeres mit mir an. Wenn ich mir allerdings überlege, wie sich meine Gefangenschaft beim letztenmal entwickelt hat, möchte ich doch annehmen, daß man mich schnell tötet. Dieses Entgegenkommen hätte sicher auch meine Begleiterin zu erwarten.«

»Oberon würde so etwas nicht tun.«

»Bei entsprechender Provokation wäre er dazu wohl durchaus in der Lage. Aber diese Frage ist akademisch. Oberon herrscht längst nicht mehr. Mein Bruder Eric sitzt auf dem Thron und nennt sich Herrscher.«

»Wann ist es dazu gekommen?«

»Nach der Zeitrechnung in Amber vor mehreren Jahren.«

»Warum sollte er dich umbringen wollen?«

»Natürlich um zu verhindern, daß ich ihn umbringe.«

»Würdest du ihn denn töten?«

»Ja – und ich tue es auch. Und ich glaube, schon sehr bald.«

Sie sah mich an. »Warum?«

»Damit ich selbst auf den Thron komme. Du mußt wissen, daß der Titel eigentlich mir gehört. Eric hat ihn sich widerrechtlich angeeignet. Ich bin erst vor kurzem aus einer mehrjährigen Gefangenschaft geflohen, die er angeordnet hatte. Er machte allerdings den Fehler, mich am Leben zu lassen, weil er sich an meiner Qual weiden wollte. Er hatte nicht erwartet, daß ich mich befreien und ihn eines Tages erneut herausfordern würde. Ich hatte die Hoffnung selbst schon aufgegeben. Doch seit ich das Glück einer zweiten Chance genieße, möchte ich natürlich seinen Fehler vermeiden.«

»Aber er ist dein Bruder!«

»Nur wenigen Menschen ist diese Tatsache deutlicher bewußt als uns beiden, das kann ich dir versichern.«

»Wie schnell rechnest du damit, dein – Ziel zu erreichen?«

»Wie ich neulich schon sagte: wenn du an die Trümpfe herankommst, solltest du dich in etwa drei Monaten mit mir in Verbindung setzen. Wenn das nicht geht und sich die Dinge plangemäß entwickeln, melde ich mich, sobald ich die Herrschaft angetreten habe. Du müßtest innerhalb eines Jahres die Chance erhalten, das Muster zu beschreiten.«

»Und wenn dir dein Vorhaben nicht gelingt?«

»Dann mußt du länger warten – bis Eric seine Herrschaft gefestigt und Benedict ihn als König anerkannt hat. Dazu ist Benedict im Augenblick nämlich nicht bereit. Er hat sich schon lange nicht mehr in Amber blicken lassen – und Eric glaubt vielleicht, daß er gar nicht mehr unter den Lebenden weilt. Wenn er jetzt in Amber erscheint, muß er sich für oder gegen Eric erklären. Stellt er sich auf Erics Seite, ist Erics weitere Herrschaft gesichert – aber dafür möchte Benedict nicht verantwortlich sein. Spricht er sich gegen ihn aus, muß das Kämpfe zur Folge haben – und das will er ebenfalls nicht. Er selbst hat keine Ambitionen auf die Krone. Nur indem er sich von der Bühne fernhält, kann er die Ruhe gewährleisten, die im Augenblick herrscht. Läßt er sich blicken, ohne Stellung zu beziehen, käme er wahrscheinlich damit durch, doch eine solche Haltung wäre gleichbedeutend mit einer Ablehnung von Erics Anspruch und würde ebenfalls zu Problemen führen. Nähme er dich mit auf die Reise nach Amber, würde er sich damit seines freien Willens berauben, denn Eric würde durch dich Druck auf ihn ausüben.«

»Wenn du den Kampf also verlierst, komme ich vielleicht überhaupt nie nach Amber?«

»Ich beschreibe dir die Situation, wie ich sie sehe. Es sind zweifellos viele Faktoren im Spiel, die ich nicht kenne. Ich bin lange ausgeschaltet gewesen.«

»Du mußt siegen!« sagte sie und fügte abrupt hinzu: »Würde Großvater dich unterstützen?«

»Das bezweifle ich. Aber die Situation wäre dann ganz anders. Ich weiß von seiner Existenz – und von der deinen. Ich werde ihn nicht bitten, mich zu unterstützen. Solange er sich nicht gegen mich stellt, bin ich zufrieden. Und wenn ich schnell, wirksam und erfolgreich handle, wird er nicht gegen mich vorgehen. Es wird ihm nicht gefallen, daß ich über dich Bescheid weiß, aber wenn er erkennt, daß ich dir nicht schaden möchte, ist alles in Ordnung.«