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»Warum willst du mich nicht als Hebel benutzen? Ich wäre doch der logischste Ansatzpunkt.«

»Richtig. Aber ich habe inzwischen erkannt, daß ich dich mag«, erwiderte ich. »Das kommt also nicht in Frage.«

Sie lachte. »Ich habe dich bezaubert!« sagte sie.

Ich lachte leise. »Ja, auf deine spezielle zarte Weise – mit dem Degen in der Hand.«

Plötzlich wurde sie wieder ernst.

»Großvater kommt morgen zurück«, sagte sie. »Hat Ganelon dir davon erzählt?«

»Ja.«

»Wie beeinflußt das deine unmittelbaren Pläne?«

»Ich gedenke ein hübsches Stück weg zu sein, wenn er hier eintrifft.«

»Was wird er tun?«

»Zuerst wird er sehr zornig auf dich sein, weil du hier bist. Dann wird er wissen wollen, wie du den Rückweg gefunden hast und wieviel du mir über dich erzählt hast.«

»Was sollte ich ihm antworten?«

»Sag ihm die Wahrheit über deinen Rückweg durch die Schatten. Das gibt ihm Stoff zum Nachdenken. Was deinen Status angeht, so hat dich deine frauliche Intuition hinsichtlich meiner Vertrauenswürdigkeit veranlaßt, mir dasselbe aufzutischen wie Julian und Gérard. Und wenn das Thema unseres Verbleibs zur Sprache kommt – Ganelon und ich haben uns einen Wagen ausgeliehen, um in die Stadt zu fahren. Wir haben gesagt, wir kämen erst spät zurück.«

»Aber wohin wollt ihr wirklich?«

»Oh, in die Stadt – aber nur kurz. Zurückkommen tun wir allerdings nicht. Mein Vorsprung muß möglichst groß sein, denn Benedict kann mich bis zu einem gewissen Punkt durch die Schatten verfolgen.«

»Ich werde ihn nach besten Kräften aufhalten. Wolltest du mich vor deiner Abreise nicht noch aufsuchen?«

»Ich wollte morgen früh noch mit dir besprechen, was wir eben geregelt haben. In deiner Unruhe bist du mir zuvorgekommen.«

»Dann freue ich mich, daß ich – unruhig gewesen bin. Wie gedenkst du Amber zu erobern?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, meine liebe Dara. Ränkeschmiedende Prinzen müssen ein paar Geheimnisse auch für sich behalten. Und dieses Geheimnis gehört mir allein.«

»Es überrascht mich, daß in Amber soviel Mißtrauen und Mißgunst herrschen.«

»Warum? So ist es doch überall, mehr oder weniger. Du bist stets von solchen Dingen umgeben, denn alle Orte sind nach dem Bilde Ambers geformt.«

»Das ist schwer zu verstehen . . .«

»Eines Tages wirst du es verstehen. Laß es damit zunächst genug sein.«

»Noch etwas. Da ich in der Lage bin, irgendwie mit den Schatten fertigzuwerden, obwohl ich das Muster noch nicht bewältigt habe, sag mir doch bitte genau, wie du das anfängst. Ich möchte mich noch verbessern.«

»Nein!« sagte ich. »Ich darf es nicht zulassen, daß du mit den Schatten herumspielst, ehe du richtig darauf vorbereitet bist. Selbst später ist das noch gefährlich genug – und jeder vorherige Versuch wäre tollkühn. Du hast Glück gehabt, aber jetzt laß lieber die Finger davon. Und dabei will ich dir helfen – indem ich dir nämlich nichts mehr davon erzähle.«

»Na schön!« sagte sie. »Tut mir leid. Dann muß ich wohl warten.«

»Das dürfte ja auch nicht unmöglich sein. Und du bist nicht böse?«

»Nein. Na ja . . .« Sie lachte. »Es würde ja auch nichts nützen. Du weißt sicher, wovon du sprichst. Ich bin froh, daß du um mich besorgt bist.«

Ich brummte etwas vor mich hin, und sie hob die Hand und berührte mich an der Wange. Ich wandte den Kopf zur Seite, und ihr Gesicht näherte sich langsam dem meinen; ihr Lächeln war verschwunden, die Lippen öffneten sich, die Augen waren fast geschlossen. Ich spürte, wie sich ihre Arme um meinen Hals und meine Schultern legten, wie die meinen sie in einer ähnlichen Geste umschlossen. Meine Überraschung ging in der Süße unter, in Wärme und einer gewissen Erregung, der ich bereitwillig nachgab.

Wenn Benedict jemals davon erfuhr, würde er mehr als zornig auf mich sein . . .

7

Der Wagen quietschte monoton, und die Sonne stand bereits tief im Westen, von wo sie uns noch mit einem grellen heißen Streifen Tageslicht versorgte. Auf der Ladefläche schnarchte Ganelon zwischen den Kisten, und ich beneidete ihn um seine lautstarke Beschäftigung. Er schlief bereits seit mehreren Stunden – während ich schon den dritten Tag ohne Ruhepause auskommen mußte.

Wir hatten etwa fünfzehn Meilen zwischen uns und die Stadt gebracht und fuhren weiter nach Nordosten. Doyle hatte die erbetene Menge noch nicht fertig gehabt, doch Ganelon und ich hatten ihn veranlaßt, seinen Laden zu schließen und die Produktion zu beschleunigen. Dies verzögerte die Aktion unerwünschterweise um mehrere Stunden. Ich war zu aufgeregt gewesen, um zu schlafen, und bekam auch jetzt kein Auge zu, während ich mich vorsichtig durch die Schatten manövrierte.

Ich kämpfte die Müdigkeit und den Abend zurück und holte einige Wolken herbei, die mir Schatten spendeten. Wir bewegten uns auf einer trockenen, tiefausgefahrenen Lehmstraße. Der Boden hatte eine häßliche gelbe Färbung und knirschte und bröckelte unter den Hufen und Rädern. Braunes Gras hing zu beiden Seiten schlaff herab, und die Bäume waren klein und knorrig, die Rinde dick und bemoost. Wir kamen an zahlreichen Schiefertonformationen vorbei.

Ich hatte Doyle für sein Mittel gut bezahlt und zugleich ein hübsches Armband erworben, das Dara am folgenden Tag zugestellt werden sollte. Meine Diamanten baumelten mir am Gürtel, der Griff Grayswandirs ruhte in der Nähe meiner Hand. Star und Feuerdrache schritten gleichmäßig und energisch aus. Ich war auf dem Weg zum Erfolg.

Ich fragte mich, ob Benedict schon nach Hause zurückgekehrt war. Ich überlegte, wie lange er sich wohl hinsichtlich meines Aufenthaltsortes täuschen ließ. Ich war vor ihm noch lange nicht sicher. Er vermochte einer Spur sehr weit in die Schatten zu folgen – und ich hinterließ eine ziemlich breite Spur. – Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich brauchte den Wagen. Ebenso mußte ich mich mit unserer jetzigen Geschwindigkeit abfinden, war ich doch beileibe nicht in der Verfassung für einen weiteren Höllenritt. Langsam und vorsichtig machte ich mich an die Verschiebungen, im Bewußtsein meiner abgestumpften Sinne und der zunehmenden Erschöpfung und in der Hoffnung, daß die allmähliche Steigerung von Veränderung und Entfernung zwischen mir und Benedict eine Barriere errichtete, die hoffentlich recht schnell unüberwindlich wurde.

Auf den nächsten zwei Meilen suchte ich mir einen Weg vom Spätnachmittag zurück in die Mittagsstunde, die ich allerdings bewölkt hielt, denn ich wünschte mir nur das Licht des Mittags, nicht seine Hitze. Schließlich vermochte ich eine kleine Brise ausfindig zu machen.

Inzwischen mußte ich ständig gegen die Schläfrigkeit ankämpfen. Ich war in Versuchung, Ganelon zu wecken und unsere Flucht zunächst nur in die Entfernung gehen zu lassen, während er kutschierte und ich schlief.

Doch so früh wagte ich das nun doch nicht. Es gab noch zu viele Dinge zu tun.

Ich wünschte mir mehr Tageslicht, zugleich eine bessere Straße. Ich hatte den gottverdammten gelben Lehm satt, und ich mußte auch etwas an den Wolken verändern und durfte dabei nicht unser Ziel vergessen . . .

Ich rieb mir die Augen und atmete mehrmals tief durch. Die Bilder in meinem Kopf begannen zu tanzen, und das ständige dumpfe Pochen der Pferdehufe und das Quietschen des Wagens begannen eine einschläfernde Wirkung auszuüben. Das Rucken und Schwanken nahm ich fast kaum noch wahr, die Zügel hingen mir locker in der Hand, und ich war schon einmal eingeschlummert und hatte sie zu Boden gleiten lassen. Zum Glück schienen die Pferde zu wissen, was ich von ihnen wollte.

Nach einer Weile erklommen wir einen langen, flachen Hang, der in einen Vormittag hineinführte. Der Himmel war inzwischen ziemlich dunkel, und es kostete mehrere Meilen und ein halbes Dutzend Kehren, die Wolkendecke etwas aufzulösen. Ein Unwetter konnte den Weg im Handumdrehen in einen Sumpf verwandeln. Bei dem Gedanken zuckte ich zusammen, ließ den Himmel in Ruhe und konzentrierte mich wieder auf die Straße.