»Dann sag´s mir wenigstens!« rief ich. »Bitte!«
Doch er schien nicht mehr reden zu wollen. Er bedrängte mich, und ich mußte erneut zurückweichen. Es war, als versuchte ich mit einem Gletscher zu kämpfen. Mit der Zeit festigte sich meine Überzeugung, daß er den Verstand verloren hatte – was mir allerdings nicht im geringsten weiterhelfen konnte. Bei jedem anderen hätte der Wahnsinn die Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt. Doch Benedict hatte im Laufe der Jahrhunderte seine Reflexe perfektioniert.
Unbarmherzig trieb er mich zurück. Ich duckte mich zwischen den Bäumen hindurch, und er hieb sie nieder und bedrängte mich weiter. Ich machte den Fehler anzugreifen und vermochte seine Gegenattacke erst im letzten Augenblick von meiner Brust abzulenken. Ich kämpfte eine Woge der Panik nieder, als ich erkannte, daß er mich auf den Rand der Baumgruppe zutrieb. Bald hatte er mich im Freien, wo ihn keine Bäume mehr behinderten.
Meine Aufmerksamkeit war so total auf ihn gerichtet, daß ich die Störung von außen erst mitbekam, als es zu spät war.
Mit lautem Schrei sprang Ganelon von irgendwo herbei, legte die Arme um Benedict und hielt seinen Schwertarm fest.
Selbst wenn ich es wirklich gewollt hätte – es fehlte mir in diesem Augenblick die Gelegenheit, ihn zu töten. Er war zu schnell, und Ganelon kannte die Kräfte dieses Mannes nicht.
Benedict wendete sich nach rechts und brachte Ganelon auf diese Weise zwischen sich und mich. Gleichzeitig ließ er seinen Armstumpf wie einen Knüppel herum wirbeln und traf Ganelon an der linken Schläfe. Dann zerrte er den linken Arm frei, packte Ganelon am Gürtel, riß ihn von den Füßen und schleuderte ihn in meine Richtung. Als ich zur Seite trat, bückte er sich, nahm die Waffe wieder auf, die vor ihm niedergefallen war, und griff erneut an. Ich hatte kaum Zeit für einen Blick nach hinten, wo Ganelon zehn Fuß entfernt zu Boden gegangen war.
Ich parierte und setzte meinen Rückzug fort. Ich hatte nur noch einen Trick im Ärmel, und es betrübte mich, daß Amber seines rechtmäßigen Herrschers beraubt sein würde, wenn der Versuch mißlang.
Es ist irgendwie schwieriger, mit einem guten Linkshänder zu kämpfen als mit einem guten Rechtshänder; dieser Umstand wirkte sich zusätzlich gegen mich aus. Doch ich mußte einen kleinen Versuch wagen. Ich mußte etwas ausprobieren, auch wenn ich damit ein Risiko einging.
Ich machte einen großen Schritt zurück, entfernte mich vorübergehend aus seiner Reichweite. Dann beugte ich mich vor und griff an. Der Zug war sorgfältig überlegt und wurde sehr schnell vorgetragen.
Ein unerwartetes Ergebnis, das sicher zum Teil auf Glück beruhte, war der Umstand, daß ich ihn tatsächlich traf, allerdings nicht dort, wo ich wollte. Einen Augenblick lang rutschte Grayswandir über eine seiner Paraden und traf ihn am linken Ohr. Dies machte ihn vorübergehend langsamer, doch die Verwundung war minimal und führte sogar dazu, daß er sich noch intensiver einsetzte. Obwohl ich weiter angriff, kam ich einfach nicht mehr durch. Es war nur ein kleiner Schnitt, doch das Blut trat ihm aus dem Ohrläppchen und rann tropfenweise herab.
Nun kam der gefährliche Teil, doch ich mußte es wagen. Ich bot ihm eine kleine Chance, nur einen Sekundenbruchteil lang – wußte ich doch, daß er die Möglichkeit sofort ausnutzen würde.
Das tat er auch, und ich parierte im letzten Augenblick. Ungern erinnere ich mich daran, wie nahe seine Klingenspitze meinem Herzen kam.
Dann gab ich erneut nach, wich zurück, verließ rückwärts die Baumgruppe. Parierend und mich zurückziehend bewegte ich mich an Ganelon vorbei, der am Boden lag. Ich gab weitere fünfzehn Fuß nach, defensiv und konservativ kämpfend.
Dann offerierte ich Benedict eine zweite Möglichkeit.
Wie schon einmal griff er an, und ich vermochte ihn noch einmal abzuwehren. Nun verstärkte er seine Bemühungen noch mehr, drängte mich bis zum Rand der schwarzen Straße zurück.
Dort hielt ich inne und wehrte mich ernsthafter, wobei ich langsam an die Stelle rückte, die ich ausgesucht hatte. Ich mußte ihn noch ein paar Sekunden lang halten, mußte ihn in die richtige Position bringen . . .
Diese Sekunden fielen mir sehr schwer, doch ich kämpfte verzweifelt und hielt mich bereit.
Dann gab ich ihm zum drittenmal dieselbe Chance.
Ich wußte, daß er versuchen würde, sie auf die gleiche Art zu nutzen. Mein rechtes Bein stand hinter dem linken, spannte sich an, als er attackierte. Ich versetzte seiner Klinge nur einen leichten seitlichen Schlag, während ich rückwärts auf die schwarze Straße sprang und dabei sofort den Arm auf volle Länge ausstreckte, um ein Nachstoßen zu verhindern.
Und er tat, was ich gehofft hatte. Er hieb auf meine Klinge ein und rückte normal vor, als ich eine Quarte vollführte . . .
. . . und er trat zwischen die schwarzen Grasbüschel, die ich im Zurückweichen übersprungen hatte.
Im ersten Augenblick wagte ich nicht nach unten zu blicken. Ich setzte mich zur Wehr, ohne zurückzuweichen, und gab der Flora eine Chance.
Es dauerte nur wenige Sekunden. Benedict merkte es, als er sich das nächstemal zu bewegen versuchte. Ich sah den verwirrten Ausdruck auf seinem Gesicht, dann die Anstrengung. Da wußte ich, daß er in meiner Gewalt war.
Doch ich bezweifelte, daß ihn das Hindernis lange aufhalten würde, und schritt sofort zur Tat.
Ich tänzelte außerhalb der Reichweite seiner Klinge zur Seite, stürmte vor und sprang über den Grasrand von der schwarzen Straße. Er versuchte sich zu drehen, doch die Halme hatten sich bis zu den Knien um seine Beine gewunden. Er schwankte einen Augenblick, konnte sich aber auf den Beinen halten.
Ich ging hinter ihm nach rechts. Mit einem Stich hätte ich ihn nun mühelos töten können, aber dazu bestand natürlich keine Veranlassung mehr.
Er schwang den Arm hinter sich, drehte den Kopf und richtete die Klinge auf mich. Er begann sein linkes Bein freizuziehen.
Doch ich fintete nach rechts, und als er zu parieren versuchte, hieb ich ihm mit aller Kraft die Breitseite Grayswandirs in den Nacken.
Er war betäubt, und ich vermochte mich zu nähern und ihm mit der linken Hand in die Nieren zu schlagen. Er krümmte sich leicht zusammen, und ich blockierte seinen Schwertarm und versetzte ihm einen zweiten Hieb in den Nacken, diesmal mit der Faust. Bewußtlos stürzte er zu Boden, und ich nahm ihm die Klinge aus der Hand und warf sie zu Boden. Das Blut aus dem Ohrläppchen zog sich wie ein exotischer Ohrring an seinem Hals entlang.
Ich legte Grayswandir zur Seite, packte Benedict an den Achselhöhlen und zog ihn von der schwarzen Straße fort. Das Gras leistete heftigen Widerstand, doch ich stemmte mich dagegen und vermochte ihn schließlich loszureißen.
Ganelon hatte sich langsam aufgerichtet. Er humpelte herbei, stellte sich neben mich und starrte auf Benedict hinab.
»Was für ein Bursche!« sagte er. »Was für ein Bursche . . . Was machen wir nur mit ihm?«
Ich stemmte mir meinen Bruder im Feuerwehrgriff auf die Schultern und richtete mich auf.
»Ich bringe ihn zunächst zum Wagen«, sagte ich. »Schafft Ihr bitte die Waffen herbei.«
»Ja.«
Ich schritt die Straße entlang, und Benedict blieb bewußtlos – was ich sehr begrüßte, wollte ich ihn doch nicht noch einmal niederschlagen, wenn es sich vermeiden ließ. Ich deponierte ihn am Stamm eines großen Baumes neben der Straße.
Als Ganelon mich eingeholt hatte, steckte ich die Klingen wieder in die Scheiden und bat ihn, von mehreren Kisten die Seile zu entfernen. Während er damit beschäftigt war, durchsuchte ich Benedict und fand das Gewünschte.
Anschließend fesselte ich ihn an den Baum, während Ganelon sein Pferd holte. Wir banden das Tier an einen benachbarten Busch, an den ich auch seine Klinge hängte.
Dann bestieg ich den Kutschbock des Wagens, und Ganelon kam herbei.
»Wollt Ihr ihn einfach so zurücklassen?« fragte er.
»Zunächst.«
Wir fuhren weiter. Ich schaute nicht zurück; dafür sah sich Ganelon um so öfter um.
»Er hat sich noch nicht bewegt«, berichtete er und fuhr fort: »Noch nie hat mich ein Mann so vom Boden hochgerissen und fortgeschleudert. Und dazu noch mit einer Hand!«