Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Auf keinen Fall konnte ich Eric angreifen, solange er in einen Kampf verwickelt war, der für den Bestand Ambers entscheidend sein konnte. Es war sicher am besten, abzuwarten und später die Überreste aufzusammeln. Doch schon nagten die spitzen Zähne des Zweifels an diesem Plan.
Selbst ohne neue Verstärkung für die Angreifer war der Ausgang der Schlacht keinesfalls klar. Die Invasoren waren kampfstark und zahlreich. Ich hatte keine Ahnung, ob Eric noch über eine Reserve verfügte. In diesem Augenblick war nicht zu beurteilen, ob es sich lohnte, auf Ambers Sieg zu setzen. Wenn Eric verlor, mußte ich mich später gegen die Invasoren durchsetzen, nachdem ein großer Teil von Ambers Streitkräften sinnlos aufgerieben worden war.
Schaltete ich mich jedoch mit meinen automatischen Waffen in die Auseinandersetzung ein, konnten wir die Drachenreiter sofort niederringen, daran bestand für mich kein Zweifel. Überhaupt mußte sich einer oder zwei meiner Brüder unten im Tal befinden. Auf diese Weise ließ sich über die Trümpfe ein Tor für meine Truppen schaffen. Sicher waren die unbekannten Angreifer überrascht, wenn Amber plötzlich mit Gewehrschützen auftrumpfte.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Konflikt in meiner Nähe. Nein, die Sache stand nicht gut. Ich versuchte mir über die Folgen meines Eingreifens schlüssig zu werden. Eric war bestimmt nicht in der Lage, sich gegen mich zu wenden. Zusätzlich zu dem Mitgefühl, das mir für die von seiner Hand erlittene Pein entgegenschlug, hatte ich ihm dann auch noch die Kastanien aus dem Feuer geholt. Für die Errettung aus einer gefährlichen Situation mochte er mir zwar dankbar sein, doch die allgemeine Stimmung, die sich daraus ergab, würde ihm weniger behagen. O nein. Corwin frei in Amber, begleitet von einer gefährlichen persönlichen Leibwache und den Sympathien der Bevölkerung. Ein interessanter Gedanke. Hier bot sich mir ein viel eleganterer Weg zu meinem Ziel als der bisher vorgesehene brutale Angriff, der mit meiner Thronbesteigung enden sollte.
Ja.
Ich lächelte. Ich gedachte, mich zum Helden aufzuschwingen.
Doch ich muß um Nachsicht bitten. Vor die Wahl gestellt zwischen einem Amber mit Eric auf dem Thron und einem vernichteten Amber, war es natürlich keine Frage, daß meine Entscheidung in jedem Falle dieselbe sein mußte – nämlich Angiiff. Der Kampf stand nicht gut genug, um des Ausgangs sicher zu sein. Zwar mochte es zu meinem Vorteil sein, den Sieg zu gewährleisten, doch in letzter Konsequenz waren meine Interessen nicht wichtig. Eric, ich könnte dich nicht so hassen, würde ich Amber nicht so lieben!
Ich zog mich zurück und hastete den Hang hinab. Die Blitze ließen Schatten in alle Richtungen zucken.
Am Rand unseres Lagers blieb ich stehen. Auf der gegenüberliegenden Seite unterhielt sich Ganelon schreiend mit einem einzelnen Reiter. Ich erkannte das Pferd.
Ich eilte weiter, und auf ein Zeichen des Reiters hin setzte sich das Pferd in Bewegung, suchte sich einen Weg zwischen den Soldaten, wandte sich in meine Richtung. Ganelon schüttelte den Kopf und folgte.
Der Reiter war Dara. Kaum war sie in Hörweite, da begann ich auch schon zu brüllen.
»Zum Teufel, was machst du hier?«
Lächelnd stieg sie ab und stand im nächsten Augenblick vor mir.
»Ich wollte doch nach Amber«, sagte sie. »Jetzt bin ich hier.«
»Wie bist du hierhergekommen?«
»Ich bin Großvater gefolgt«, sagte sie. »Ich habe festgestellt, daß es leichter ist, einem anderen durch die Schatten zu folgen, als selbst den Weg zu finden.«
»Benedict ist hier?«
Sie nickte.
»Unten. Er führt die Streitkräfte im Tal. Julian ist bei ihm.«
Ganelon kam herbei und blieb in der Nähe stehen.
»Sie sagt, sie sei uns hier herauf gefolgt!« rief er. »Sie ist schon seit Tagen hinter uns.«
»Stimmt das?« fragte ich.
Wieder nickte sie. Sie lächelte immer noch.
»Das war nicht weiter schwer.«
»Aber warum das alles?«
»Um nach Amber zu gelangen! Ich möchte das Muster beschreiten! Dorthin gehst du doch auch, nicht wahr?«
»Natürlich. Aber leider ist auf dem Weg dorthin noch ein Krieg im Gange!«
»Was tust du dagegen?«
»Ich werde ihn natürlich gewinnen!«
»Gut. Ich warte solange!«
Ich fluchte einige Sekunden lang, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Dann fragte ich: »Wo warst du, als Benedict zurückkehrte?« Das Lächeln verblaßte.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete sie. »Als du abgefahren warst, bin ich ausgeritten und den ganzen Tag fortgeblieben. Ich wollte allein sein und nachdenken. Als ich am Abend zurückkehrte, war er nicht mehr da. Am nächsten Tag bin ich wieder ausgeritten. Ich habe dabei eine ziemlich weite Strecke zurückgelegt, und als es dunkel wurde, beschloß ich im Freien zu übernachten. Das tue ich oft. Ehe ich am nächsten Nachmittag nach Hause zurückkehrte, hielt ich auf eine Bergspitze zu und sah ihn unten vorbeireiten, in Richtung Osten. Ich beschloß, ihm zu folgen. Der Weg führte durch die Schatten. Ich weiß nicht, wie lange wir unterwegs waren. Die Zeit geriet völlig durcheinander. Er kam hierher, und ich erkannte den Ort von einem der Bilder auf den Karten. In einem Wald im Norden traf er sich mit Julian, und beide stürzten sich in die Schlacht dort unten!« Sie deutete in das Tal hinab. »Ich hielt mich mehrere Stunden lang im Wald auf – wußte ich doch nicht, was ich tun sollte. Ich hatte Angst, mich zu verirren, wenn ich auf unserer Spur zurückritt. Dann sah ich deine Armee den Berg ersteigen. Ich sah dich und Ganelon an der Spitze. Da ich wußte, daß in dieser Richtung Amber lag, bin ich euch gefolgt. Mit der Annäherung habe ich bis jetzt gewartet, weil ich wollte, daß du Amber zu nahe bist, um mich zurückzuschicken.«
»Ich glaube nicht, daß du mir die ganze Wahrheit sagst«, erwiderte ich. »Doch ich habe jetzt keine Zeit, mich damit zu beschäftigen. Wir reiten in Kürze weiter, und es wird zu einem Kampf kommen. Es wäre das sicherste, wenn du hier bliebst. Ich stelle einige Leibwächter für dich ab.«
»Die will ich aber nicht!«
»Mir ist egal, was du willst. Du wirst dich mit den Leibwächtern abfinden müssen. Wenn der Kampf vorüber ist, lasse ich dich holen.«
Ich wandte mich um, wählte zwei Männer aus und befahl ihnen zurückzubleiben und das Mädchen zu bewachen. Sie waren nicht sonderlich begeistert von dieser Aufgabe.
»Was sind das für Waffen, die deine Soldaten da haben?« fragte Dara.
»Später«, erwiderte ich. »Jetzt habe ich zu tun.«
Ich gab meinen Soldaten die notwendigsten Anweisungen und teilte die Einheiten ein.
»Du scheinst nur wenige Männer zu haben«, sagte sie.
»Sie genügen jedenfalls«, erwiderte ich. »Bis später!«
Ich ließ sie mit den Wächtern zurück.
Wir schlugen den Weg ein, den ich vorhin schon zurückgelegt hatte. Ein Stück weiter hörte das Donnern plötzlich auf, und die Stille war weniger eine Erleichterung als ein Grund zu weiterer Besorgnis. Dämmerlicht umgab uns, und unter der feuchten Decke der Luft begann ich zu schwitzen.
Kurz bevor wir meinen ersten Beobachtungspunkt erreichten, ließ ich halten. In Deckung schlich ich voran, begleitet von Ganelon.
Die Drachenreiter waren praktisch überall, und ihre Flugtiere griffen ebenfalls in den Kampf ein. Sie drängten die Verteidiger am Fuße der Felswand zusammen. Ich versuchte Eric und den glühenden Edelstein zu finden, konnte aber nichts entdecken.
»Welches sind denn die Feinde?« wollte Ganelon wissen.
»Die Monsterreiter.«
Nachdem die himmlische Artillerie das Feuer eingestellt hatte, begannen die Angreifer nun gezielt zu landen. Kaum berührten sie festen Boden, griffen sie auch schon zielstrebig an. Ich suchte die Reihen der Verteidiger ab, doch Gérard war nicht mehr zu sehen.
»Holt die Soldaten«, sagte ich und hob mein Gewehr. »Und sagt ihnen, sie sollen sowohl auf die Reiter als auch auf die Tiere schießen!«
Ganelon zog sich zurück, und ich zielte auf einen landenden Drachen und schoß. Mitten im Landeanflug begann das Tier wild mit den Flügeln zu schlagen. Es prallte gegen den Hang, überschlug sich und blieb zuckend am Boden liegen. Ich schoß ein zweitesmal. Im Sterben begann das Ungeheuer zu brennen. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich vier Brände entfacht. Ich kroch in meine zweite Stellung vor. Dort angekommen, hob ich die Waffe und schoß von neuem.