Abel trat an den Spiegel und sah hinein. Das war er. Ein Gescheiterter. Das Gesicht noch bleicher als sonst, soweit die Haut unter den Lehmspritzern durchsah, der zahnlose Mund eine Wunde darin. Die Nase vom Lehm verschmiert wie bei einem Clown. Abel lachte lautlos in sich hinein.
Der Major erschien an der Tür und warf ihm einen Bademantel zu.
»Reinigen Sie Ihre Kleider unter der Dusche. Hängen Sie sie hier zum Trocknen auf.« Er deutete auf einen gerippten Heizkörper rechts hinter der Tür. »Ziehen Sie das an!«
Er zog sich wieder zurück. Abel hörte ihn im Zimmer hin- und herwandern.
Traumverloren zog sich Abel aus, legte die Kleider in das Becken unter der Dusche und ließ Wasser darüberrinnen. Dann trat er selbst unter den Strahl. Es war warmes, fast heißes Wasser, das unglaublich wohltat, aber auch sehr müde machte. Abel glaubte sich plötzlich nicht mehr auf den Beinen halten zu können, die Augen fielen ihm zu. Er schwankte und wäre gefallen, wenn er sich nicht am Wasserhahn abgefangen hätte. Er mußte daran gedreht haben, denn der Regen wurde nun rasch kälter. Abel regulierte eine milde Wärme ein und wandte sich seinen Kleidern zu. Das Wasser, das von ihnen abfloß, war eine dicke gelbe Brühe. Abel versuchte den steifen Stoff auszuwinden, und als das nicht gelang, trat er mit den bloßen Füßen darauf herum. Lehmbrocken, die im Wasser nicht von selbst zerfielen, zerdrückte er mit den Fersen. Dann hob er ein Kleidungsstück nach dem anderen auf und hielt es unter den scharfen Strahl, direkt unter die Brausekappe. Schließlich wusch er auch noch den Dreck von seinen Schuhen. Die Kleider breitete er dann über den Heizkörper, die Schuhe stellte er darunter. Nun trat er noch einmal unter die Dusche und rieb sich mit der Bürste ab, bis seine Haut rosarot wurde und brannte. Er schloß die Wasserzufuhr und trocknete sich ab. Nach dem Geplätscher war es beängstigend still. Die Schritte des in seinem Zimmer auf- und abwandernden Majors klangen laut und unheimlich. »Sind Sie fertig?« rief er.
Er öffnete die Tür. Abel zog den Bademantel an, der ihn weich umhüllte.
»Hier sind Pantoffeln«, sagte der Major. Er trat vor die Heizung und sah die Kleidungsstücke genau an.
»Die Schuhe könnten sauberer sein«, bemerkte er. »Na, kommen Sie!«
Der Major ging vor, Abel folgte ihm stumm. Der Weg führte durch einige Räume, die offenbar als Materiallager dienten. In Plastikhäute verpackt lagen Metall- und Glasteile von Schränken und Regalen, Dutzende großer Kartons waren zu Quaderbergen aufgeschichtet. Sie waren mit großen schwarzen Buchstaben und Ziffern beschriftet, deren Sinn Abel unklar war.
Der Major wartete, bis Abel auf seine Höhe gekommen war, und wies dann auf die abgestellten Dinge. »Um das Leben hier aufrechtzuerhalten«, erklärte er, »brauche ich viele Maschinen – Energie- und Steuerungsmaschinen. Alles, was an Ersatzteilen je benötigt werden könnte, liegt hier. Und dieser Panzerraum enthält Energievorräte für Jahrzehntausende.«
Er trat vor eine Wand, an die komplizierte Systeme von Hebeln und Gelenken montiert waren. Zwei von ihnen begannen mit je einem System von fünf Tasten und verschwanden oben in der Wand. Zwischen ihnen lief ein kaminähnlicher Schacht empor und führte dann mit einem Knick ebenfalls in die Wand. Ein Schemel stand davor.
Der Major setzte sich und hielt die Augen an die Mündung des Schachtes.
»Schauen Sie selbst!« befahl er dann und machte Abel Platz. Abel tat es. Der Schacht war eine Art Teleskop, mit dessen Hilfe man um Ecken herum in einen anderen Raum sehen konnte. Rechts steckten viele Hunderte von mattglänzenden Stäben, jeder etwa einen Meter fünfzig lang und im Durchmesser von der Größe eines Handtellers. Jeder Stab saß in einer Vertiefung, jeder war in angemessener Entfernung vom anderen angebracht. Es sah aus, als wüchse ein Wald aus Metall aus dem Betonboden hervor.
Links befand sich ein Glasbecken mit einer wasserklaren Flüssigkeit – wären Fische darin gewesen, so hätte man es für ein Aquarium halten können, aber es gab keine Fische darin.
Über dem Stangenwald lief ein kleiner Kran auf Rädern, die Stelle eines Kranhakens nahm eine große Zange ein. Eine ähnliche Kranvorrichtung war über dem Becken aufgebaut, nur hing daran eine riesige Pipette.
Die Mitte beherrschte ein metallenes Ungetüm, dessen Vorderfront mit Anzeigevorrichtungen gespickt war.
»Uranstäbe«, erläuterte der Major, »sozusagen als Zündhölzer für das schwere Wasser im Becken links. Aus Sicherheitsgründen sind beide vom Reaktor räumlich getrennt. Es ist ein ESCE-Reaktor, der die Energie direkt in Form von Elektrizität gewinnt. Natürlich ein einfaches Modell, dafür aber sehr sicher in der Funktion. Von Zeit zu Zeit – das heißt alle zwei Jahre – muß man Brennmaterial, schweres Wasser, nachfüllen. Sollte es einmal notwendig sein, ihn stillzulegen, dann läßt er sich durch die Unterzünder aus Uran wieder anheizen. Reparaturen kann man mit Hilfe der künstlichen Hände vornehmen. Sehen Sie!«
Er bediente eines der beidseitigen Hebelsysteme, und von der Decke löste sich ein Gebilde von der Form einer riesigen Spinne mit fünf Beinen. Der Major bewegte die Finger, und die Beine krümmten sich, schlossen sich zusammen und breiteten sich wieder aus.
»Es gibt mehrere solcher Handpaare – alle von verschiedener Größe, die man nach Belieben einstellen kann.« Der Major wartete kurze Zeit, dann forderte er ungeduldig:
»Kommen Sie weiter. Das ist nicht das Wichtigste.« Er trat durch eine Tür. Wieder waren sie im großen rundherumlaufenden Korridor. Sie gingen bis an die gegenüberliegende Seite. Endlich öffnete der Major eine Tür und schob Abel hinein. Warme, feuchte Luft schlug ihnen entgegen. Sie befanden sich in einem mild beleuchteten Saal, der wie ein chemisches Übungslabor mit vielen Arbeitsplätzen aussah. Zu jedem Tisch gehörte ein Behälter vom Äußeren eines riesigen Eisschranks.
Der Major trat an einen der Plätze und drückte einen Knopf. Auf der Mattscheibe erschien ein Bild von der Art einer Mikroaufnahme: Vor dunklem Hintergrund lag ein durchsichtiges Wesen, das manchmal zuckte und dadurch seine Stellung ein wenig veränderte, ein lurchartiges Gebilde mit kleinen Stümpfen von Armen und Beinen und einem kurzen Schwanz.
»Sehen Sie gut?« fragte der Major. »Oder soll ich auf Hellfeld stellen?« Er warf einen fingernagelgroßen Hebel herum, und die Helligkeitsstufen veränderten sich, als wäre alles, was vorher hell gewesen war, jetzt dunkel und umgekehrt.
»Es ist ein Mensch«, sagte der Major, »oder richtiger gesagt, es wird ein Mensch.« Er holte tief Atem, dann fuhr er fort:
»Was wäre meine Arbeit, wenn ich nicht wüßte, daß sie mich überlebt? Was hätte Ordnung und Manneszucht für einen Sinn, wenn sie mit der bestehenden Generation aussterben?«
Die Stimme des Majors klang feierlich.
»Wir haben vier Frauen zur Verfügung, und das heißt, wir sind nicht zum Aussterben verurteilt. Natürlich können wir nicht warten, bis die befruchtete Eizelle ausgereift ist – dafür haben wir keine Zeit –, aber das ist kein Problem. Hier können wir die Erkenntnisse der Medizin und der Biophysik nützlich verwenden. Ich hoffe, das Zuchtgut so lange im Brutkasten reifen lassen zu können, bis es einer systematischen militärischen Erziehung zugänglich ist, also viel länger als unter den üblichen Umständen. Dadurch glaube ich, zu besseren Ergebnissen zu kommen als meine Vorgänger.
Noch einen Vorteil habe ich ihnen gegenüber: Ich kann bestimmen, welche Männer zur Vermehrung zugelassen werden. Das ist ein wichtiger Punkt meines Systems: Ich muß dafür sorgen, daß in der nächsten Generation Fälle wie Sie nicht mehr auftreten. Es ist unbedingt notwendig – die Art und Weise der Steuerung, wie ich sie vorgesehen habe, beruht auf unbedingtem Gehorsam. Die Möglichkeit zu einer solchen Auslese bietet mir die medizinische Diagnoseanlage. Jeder Mann, der überhaupt in Frage kommt, wird auf sämtliche Eigenschaften, nicht nur die dominanten, auch die rezessiven, getestet. Ich lasse nur erstklassiges Erbgut zur Vermehrung zu. Klar, daß ich dabei auf jene körperlichen und charakterlichen Anlagen achte, die die besten Voraussetzungen für das Soldatentum mitbringen.«