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Fragen wurden nur den Insassen der ersten Bank gestellt. Die Sitzordnung wechselte so, daß sich vor jeder Unterrichtsstunde jede Reihe um eine Bank nach vorn verschob. Auf diese Art kamen alle nacheinander auf die erste Bank. Der Sergeant sagte: »Das Tragen einer Waffe ist eine Ehre und eine Verantwortung zugleich. Die Waffe ist nicht unser Eigentum; sie ist uns verliehen für unsere wichtigste Aufgabe, für den Angriff und die Verteidigung im großen Krieg, auf den wir alle unsere Gedanken richten müssen. Es ist daher unsere Pflicht, ständig mit der Waffe zu üben, um besser und besser in ihrem Gebrauch zu werden. Dazu dienen die Schießübungen. Ist das klar, Männer?«

Der Chor antwortete: »Ist klar, Herr Sergeant!«

»Weiter ist es unsere Pflicht, die Waffe zu pflegen, die uns anvertraut ist. Den Vorschriften gemäß haben wir sie jeden Tag zu reinigen. Um sie stets bereithalten zu können, müssen wir mit ihrer Funktion vertraut sein. Wir müssen alle ihre Teile kennen und sie im Schlaf auseinandernehmen und wieder zusammensetzen können. Welcher Teil der Pistole ist das, Soldat Daniel?«

Der Feldwebel ließ die Spitze seines Zeigestocks auf die Tafel vorschnellen, wo sie mit einem leichten Knacken liegenblieb. Daniel sprang auf und nahm Haltung an. Er starrte auf die Zeichnung, die einen schematischen Schnitt durch eine Pistole wiedergab.

»Der Abzug, Herr Sergeant.«

»Und was ist das, Soldat Derek?«

Ein anderer Mann sprang auf.

»Die Zündvorrichtung.«

Die Stimme des Sergeanten schwoll drohend an: »Die Zündvorrichtung...«

Das Gesicht Dereks arbeitete eine Sekunde lang in bedrohlicher Stille. Dann entspannte es sich. Die Worte sprudelten:

»Die Zündvorrichtung mit der Batterie.«

»Jawohl, die Zündvorrichtung mit der Batterie. Beide gelten als ein Teil. Beim Reinigen sind sie nicht auseinanderzunehmen. Merken Sie sich das, Soldat Derek!«

»Jawohl, Herr Sergeant!«

Der Zug Abels saß auf der letzten Bank – er war am Vortag an der Reihe gewesen.

Die Zündvorrichtung mit der Batterie! dachte Abel. Die Schrauben. Das Magazin. Er rückte ein wenig näher zu Austin und wartete einen Augenblick ab, als sie vorn wieder zu sprechen begannen. Ohne den Kopf zu verdrehen, flüsterte er: »Heute nachmittag ist Waffenreinigen!«

Austin antwortete nicht gleich. Aufmerksam sah er nach vorn. Dann sagte er leise: »Na und?«

»Heute hole ich mir das Magazin.«

»Mach, was du willst.«

»Ich habe nun die Zündvorrichtung mit der Batterie, die Feder und drei von den Schrauben. Im ganzen sind es fünf, aber zwei davon sind überflüssig. Mit ihnen wird der Griff befestigt – und ich brauche keinen Griff.«

»Warum erzählst du mir das?«

»Ich brauche keinen Griff und keinen Ausstoßhebel. Auch keinen Hahn; zum Zünden nehme ich den Zeigefinger.«

»Was geht das mich an?«

»Ich will dir zeigen, daß die Sache unumstößlich sicher ist. Willst du mir helfen?«

»Nein.«

Das Gespräch war von vielen Pausen unterbrochen. Manchmal schwiegen sie minutenlang.

»Du willst doch hinaus, oder nicht?« sagte Abel.

»Ja«, murmelte Austin widerwillig.

»Weißt du schon, wie?«

Austin gab keine Antwort.

»Ich weiß einen Weg«, sagte Abel.

Austin zuckte die Schultern.

Abel fuhr flüsternd fort:

»Ringsherum ist alles von Gebäuden umstellt. Man kann nirgends hinaussehen. Aber es gibt eine Tür...«

»Wo?« fragte Austin.

»Ich zeig’ sie dir, wenn du mir hilfst!«

»Du lügst!«

»Bist du sicher?«

»Ich werde sie selbst finden!«

»Das kann lange dauern.«

»Ich habe Zeit.«

Sie schwiegen wieder eine Weile. Die laute Stimme des Sergeanten dröhnte im Raum:

»Zum Reinigen der Pistole dient das Putzzeug. Es besteht aus einem Lappen, einer Rundbürste und einer Tube Reinigungspaste. Wozu verwenden Sie den Lappen, Soldat Donald?«

Abel rückte wieder näher an Austin heran.

»Wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du gar keine Möglichkeit, an draußen zu denken. Du wärst noch genauso stumpfsinnig wie die andern – von den Tabletten, mit denen wir den Gehorsam und das Vergessen schlucken. Ich habe dich befreit.«

»Ich habe dich nicht darum gebeten.«

Abel schwieg wieder einige Zeit hindurch. Dann sagte er:

»Na schön. Du wirst mir trotzdem helfen, so oder so.«

Austin antwortete nichts darauf, und auch Abel sprach nicht mehr.

6

Phil fühlte sich wohl, wie es ihm Dr. Myer angekündigt hatte. Er fühlte sich gesunden. Tag für Tag merkte er, wie er Gewalt über die eine und die andere Muskelgruppe gewann. Dann kam die Stunde der großen Operation – er sank in eine lange Ohnmacht, und als er aufwachte, spürte er etwas, was er lange entbehrt hatte: seinen eigenen Körper, das Zucken in den Muskeln, wenn er zu einer Bewegung ansetzte, obschon er seinen Oberkörper noch nicht bewegen konnte. Aber auch ohne eine wirkliche oder auch nur beabsichtigte Bewegung spürte er einfach das Vorhandensein seines vollständigen Selbst. Noch immer glitt der Kolben auf und ab, Herz und Lunge arbeiteten nicht, obwohl sie schon eingebettet lagen in den Brustkasten mit den Kunststoffrippen, in das Gewebe der Muskelstränge und Sehnen, ins Netz der Adern und Nerven. Noch immer blähte sich der rote Ball. Noch ragten neben dem Brustbein und aus der Magengrube transparente, elastische Schläuche und Platindrähte heraus, aber schon wuchsen die Organe ein, legten sich zurecht, reagierten, lebten.

Phil Abelsen war zufrieden. Er achtete und bewunderte Dr. Myer als den Meister über sein Leben – mit einer Ergebenheit, in die sich nur manchmal ein kalter Hauch einer unbestimmten Angst mischte. Die Schwester Chris empfand er als Verheißung eines wundersamen Geschenks. Andere Menschen brauchte er nicht, und es zeigten sich auch keine. Er verbrachte seine Zeit zwischen Wachträumen und Schlaf. Er kam weder dazu, sich mit seiner Vergangenheit noch mit seiner Zukunft zu beschäftigen – er hatte nichts vergessen, aber er wollte über nichts nachdenken und schob jede Erinnerung weit von sich. Sein ermatteter Zustand half ihm dabei – jede kleinste Gefühlswallung ermüdete ihn ungemein. Bevor ein Gedanke die Oberfläche seines Bewußtseins kräuselte, war er schon eingeschlafen. Nur im Traum schien manches lebendig zu werden – aber sobald er aufwachte, war es ausgelöscht.

Sein ungewöhnlicher Zustand der Zufriedenheit und Interesselosigkeit hielt lange an. Es brauchte einen besonderen Anstoß, um jene Kräfte in ihm zu wecken, die den Willen anstacheln und das Tun auslösen: die Aufmerksamkeit, die Unzufriedenheit, das Mißtrauen, die stete wache Bereitschaft, zu entscheiden, auch gegen andere, sich zu entschließen, auch für Unangenehmes, einen Weg zu gehen, den andere nicht zu gehen bereit waren. Der Anstoß kam, als Dr. Myer den entscheidenden Eingriff an Phils Herz vornahm.

Dr. Myer kam zur festgesetzten Stunde.

»Wie geht’s?« fragte er.

»Danke, Herr Doktor«, sagte Phil. Seine neue Lunge war noch nicht ans Blutsystem angeschlossen, aber die Atemtätigkeit funktionierte schon, wenn auch schwach und vorderhand nur zu dem einzigen Zweck, die Muskeln des Brustkorbs zu stärken. Aber es reichte zum kurzen und leisen Sprechen.

Der Arzt schob einen Drehschemel zum Schaltpult heran und beobachtete die Instrumente.

»Auf dem Leuchtschirm können Sie Ihre eigenen Körperfunktionen kontrollieren«, sagte er. »Diese Kurve zum Beispiel gibt Ihre Gehirnströme wieder. Sehen Sie das Ausschlagen der Zacken? Rechnen Sie schnell 17 mal 2,9... Sehen Sie – Sie brauchen nicht mehr weiterzurechnen – da ist schon die verstärkte Reaktion, die Ausschläge reichen fast dreimal so hoch wie vorher.« Er wandte sich einem anderen Instrument zu. »Das ist die Anzeige für die beförderte Blutmenge – ein einfacher Strömungszähler, wie man ihn auch bei den Tankstellen verwendet. Er ist an der Hauptleitung unserer Pumpe angeschlossen. Und hier wird dann das Elektrokardiogramm erscheinen!«