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Sie hatte viele Träume. In einem Traum mußte sie Essen kochen, Riesentöpfe voll schmackhaftem Brei, die sie in ein dunkles Loch im Boden schüttete. In einem anderen mußte sie einen Behälter voll Wasser, es war ein großes Messingbecken voll, durch die Dunkelheit zu jemandem hintragen, der durstig war. Aber sie konnte diesen Menschen nicht erreichen. Sie wachte auf und war selbst durstig, aber sie stand nicht auf, um zu trinken. Sie blieb auf ihrem Bett in dem Raum ohne Fenster liegen. Ihre Augen waren weit offen.

Eines Morgens kam Penthe, um sie zu besuchen. Arha sah sie von der Veranda des Kleinhauses aus näher kommen, mit sorgloser, unbekümmerter Miene, als habe sie der Zufall gerade hierhergeführt. Hätte Arha sie nichtangesprochen, so wäre sie die Stufen nicht heraufgestiegen. Doch Arha war einsam und redete sie an.

Penthe sank auf ein Knie nieder vor Arha, wie es alle vor der einen Priesterin tun mußten, und ließ sich dann auf eine Stufe unterhalb von Arha plumpsen. »Puhhh!« Sie stieß einen geräuschvollen Seufzer aus. Inzwischen war sie ziemlich groß und rundlich geworden, und wenn sie sich viel bewegte, wurde sie immer so rötlich wie eine Kirsche. Auch jetzt war sie ganz rot vom Laufen.

»Ich habe gehört, daß du krank bist. Ich habe dir ein paar Äpfel aufgehoben.« Sie zog plötzlich ein Binsennetz mit einem halben Dutzend schöner gelber Äpfel unter ihrem weiten schwarzen Umhang hervor. Sie war inzwischen in den Dienst des Gottkönigs aufgenommen worden und diente in seinem Tempel unter Kossil, aber sie war noch keine Priesterin und mußte noch immer Unterricht nehmen und Arbeiten mit den anderen Novizen zusammen verrichten. »Poppie und ich mußten dieses Jahr die Äpfel sortieren, und ich habe die allerbesten aufgehoben. Die guten tun sie ja immer trocknen — natürlich weil sie sich am besten halten. Aber mir tut es immer leid um sie. Sind die nicht schön?«

Arha strich über die hellgoldene, seidige Haut der Äpfel und schaute auf die Ästchen, an denen sich noch ein paar braune Blätter festhielten: »Doch, die sind schön.«

»Iß doch einen!« sagte Penthe.

»Jetzt nicht. Iß du einen.«

Penthe suchte höflicherweise den kleinsten aus und aß ihn in nicht mehr als zehn gewandten, saftigen, schmackhaften Bissen.

»Ich könnte den ganzen Tag essen«, sagte sie. »Ich werde nie satt. Ich wäre lieber Köchin als Priesterin geworden. Ich würde besser kochen als die knickerige Nabbath, und außerdem könnte ich dann die Töpfe auslecken … Oh, hast du gehört, was Munith passiert ist? Sie hat die großen Messingbehälter glänzend reiben müssen, weißt du, die, in denen sie das Rosenöl aufbewahren, die hohen, schmalen Dinger mit den Pfropfen oben. Munith dachte, daß man die auch innen sauber reiben müßte, und steckte ihre Hand mit dem Lumpen hinein und hat sie nicht mehr herausgebracht. Sie hat alles mögliche versucht, aber ihr Gelenk wurde nur ganz rot und geschwollen. Sie war wirklich festgeklemmt. Und sie ist durch den ganzen Saal galoppiert und hat geschrien: ›Ich krieg's nicht runter! Ich krieg's nicht runter!‹ Und Punti hört ja nicht mehr gut, dachte, daß Feuer ausgebrochen sei, und brüllte nach den anderen Wärtern, daß sie kommen und die Novizen retten sollten. Uahto hatte gerade gemolken. Sie kam aus dem Stall gelaufen und ließ die Tür offenstehen, so daß alle Ziegen herausrannten und im Hof auf Punti und die anderen Wärter mit den kleinen Mädchen stießen, und Munith war ganz hysterisch und schwang ihren Arm mit der Messingflasche am Ende herum, und alle rannten und schrien. Dann kam Kossil vom Tempel heruntergelaufen und fragte: ›Was ist los? Was ist los?‹«

Penthes rundes helles Gesicht verzog sich und nahm einen unwirschen, finsteren Ausdruck an, ganz anders als der alte Ausdruck, der gewöhnlich auf Kossils Gesicht lag, aber doch irgendwie an Kossil erinnernd, so daß Arha unbeherrscht losprustete mit erschrecktem Lachen.

»›Was ist los? Was geht hier vor sich?‹« fragte Kossil. Und dann — dann kam die braune Ziege und ging auf sie los …« Penthe konnte sich nicht mehr halten und lachte, bis ihr die Tränen in die Augen traten, »und Munith ist mit der F-F-Flasche auf die Z-Z-Ziege losgegangen …«

Beide Mädchen hielten ihre Knie umklammert und schüttelten sich vor Lachen.

»Und Kossil drehte sich um und schrie: ›Was ist los? Was ist los?‹ zu-zu-zu der Ziege …« Das Ende der Geschichte wurde vom Lachen erstickt. Penthe wischte endlich über ihre Augen und Nase und biß geistesabwesend in einen anderen Apfel.

Das heftige Lachen hinterließ bei Arha ein Zittern. Sie beruhigte sich etwas, und nach einer Weile fragte sie: »Wie bist du eigentlich hierhergekommen, Penthe?«

»Ich war das sechste Mädchen, und mein Vater und meine Mutter konnten nicht so viele aufziehen und verheiraten. Als ich sieben Jahre alt war, brachten sie mich zum Tempel des Gottkönigs und haben mich ihmgeweiht. Das war in Ossawa, aber ich nehme an, daß die dort zu viele Novizen hatten, denn sie haben mich bald darauf hierhergeschickt. Vielleicht haben sie auch gedacht, daß ich eine besonders gute Priesterin abgäbe, aber darin haben sie sich getäuscht!« Penthe biß fröhlich in ihren Apfel und versuchte, ein reumütiges Gesicht zu machen.

»Wärst du lieber nicht Priesterin geworden?«

»Wäre ich lieber …?? Natürlich! Ich hätte lieber einen Schweinehirten geheiratet und in einem Graben gehaust. Alles, nur nicht hierherkommen müssen und alle Tage meines Lebens lebendig begraben zu sein unter Weibern, in einer Wüste, in der alles abstirbt und in die nie jemand kommt! Aber was nutzt es, was ich wünsche. Jetzt bin ich geweiht und sitze hier fest. Aber in meinem nächsten Leben, das kann ich dir sagen, in meinem nächsten Leben werde ich Tanzmädchen in Awabad! Das habe ich verdient!«

Arha blickte sie unverwandt aus dunklen Augen an. Das verstand sie nicht. Es kam ihr vor, als hätte sie Penthe noch nie zuvor gesehen, als wäre es das erste Mal, daß sie Penthe erblickte, rund, voll Leben und Saft, wie einer von ihren goldenen Äpfeln, die so schön aussahen.

»Bedeutet dir der Tempel denn gar nichts?« fragte sie ziemlich brüsk.

Penthe, die gewöhnlich immer nachgab und leicht beeinflußbar war, ließ sich dieses Mal nicht aus dem Fahrwasser bringen. »Oh, ich weiß, daß deine Gebieter dir viel bedeuten«, sagte sie mit soviel Gleichgültigkeit in der Stimme, daß Arha schockiert war. »Das ist irgendwie verständlich, weil du ihre eigentlichste Dienerin bist. Du bist nicht so einfach geweiht worden, du bist extra dafür geboren worden. Aber guck mich an! Soll ich wirklich so viel Ehrfurcht und so weiter für den Gottkönig aufbringen? Der ist schließlich auch bloß ein Mensch, selbst wenn er in einem Palast in Awabad wohnt, der fünf Meilen rundherum Golddächer hat. Er ist fast fünfzig Jahre alt und hat eine Glatze. Das kannst du auf jedem Denkmal sehen. Und ich wette, daß er seine Zehennägel genauso schneiden muß wie jeder andere. Natürlich ist er ein Gott, ich weiß. Aber ich glaube, er wird noch viel göttlicher werden, wenn er einmal tot ist.«

Arha stimmte mit Penthe überein, denn insgeheim war sie auch zu der Überzeugung gelangt, daß die göttlichen Herrscher von Kargad Emporkömmlinge waren, falsche Götter, welche die Gottesverehrung, die den ewigen Mächten zustand, an sich gerissen hatten. Aber hinter Penthes Worten lag etwas, das ganz neu für sie war, wovor sie sich fürchtete und womit sie nicht übereinstimmen konnte. Es war ihr nie zu Bewußtsein gekommen, wie verschieden Leute sein konnten, wie verschieden sie dem Leben gegenüberstehen konnten. Es kam ihr vor, als sähe sie einen ganz neuen Planeten, der riesig und dicht bevölkert direkt vor ihrem Fenster hing, eine fremde Welt, in der Götter keine Rolle spielten. Die Kraft von Penthes Unglauben hatte sie erschüttert, und in ihrer Angst schlug sie zurück.

»Das stimmt. Meine Gebieter sind schon lange, lange tot, und es sind nie Menschen gewesen … Weißt du was, Penthe? Ich könnte dich für den Dienst der Gräber anfordern.« Sie sprach freundlich, als böte sie ihrer Freundin eine bessere Chance an.