Einige Sender stellten ihren Betrieb völlig ein. Andere machten weiter und beschränkten sich darauf, Bandaufnahmen zu senden, aber es war offensichtlich, daß das Publikum der alten Sachen bald überdrüssig werden würde — selbst wenn zeitweilige Abwesenheit von Mar-tiern im Zimmer ein Zuschauen oder Zuhören gestattete.
Und so war auch selbstverständlich niemand im Vollbesitz seiner Sinne mehr daran interessiert, neue Fernsehempfänger oder Radioapparate zu kaufen, und als Folge davon wurden im ganzen Lande Tausende arbeitslos, alle, die etwas mit der Herstellung oder dem Verkauf von Fernseh- oder Radioapparaten zu tun hatten.
Und die vielen Tausende, die in Theatern, Konzertsälen, auf Sportplätzen oder anderen Massenvergnügungsplätzen tätig gewesen waren. Die Zeit der Massenvergnügungen war vorüber; wo sich Menschen versammelten, versammelten sich auch Martier, und was dem Vergnügen dienen sollte, verwandelte sich in sein Gegenteil.
Ja, es sah böse aus. Die große Wirtschaftskrise Ende der dreißiger Jahre schien dagegen eine Periode der Prosperität gewesen zu sein.
Ja, dachte Luke, es wird schwer halten, eine Stellung zu finden. Und je schneller er sich auf die Suche machte, um so besser. Ungeduldig warf er die letzten paar Dinge in das Kommodenschubfach und stellte zu seinem Erstaunen fest, daß sich Margies Y. W. C. A. T-Hemd darunter befand — warum hatte er es bloß mitgebracht? — strich sich über das Gesicht, um sich zu vergewissern, ob er rasiert sei, fuhr sich mit dem Taschenkamm flüchtig durchs Haar und verließ das Zimmer.
Das Telefon stand auf einem Tischchen in der Diele, er setzte sich davor und griff nach dem Telefonbuch. Zwei Long Beach Zeitungen kamen zuerst. Nicht daß er irgendwelche Hoffnung hatte, bei einer anzukommen, aber Reportertätigkeit war die am wenigsten beschwerliche Arbeit, die er sich denken konnte und eine Anfrage würde ihn nur die Telefongebühren kosten. Außerdem kannte er Hank Freeman von der „News", der ihm vielleicht einen brauchbaren Tip geben konnte.
Er wählte die betreffende Nummer. Am Klappenschrank schwatzte ein Martier mit der Telefonistin und versuchte sich in die Gespräche einzumischen, aber endlich kam Luke mit seinem Anruf durch. Hank arbeitete in der Lokalredaktion.
„Luke Devereaux, Hank. Wie steht's?"
„Großartig, wenn man nicht drauf achtet, was man sagt. Wie sind denn die Grünen zu dir?"
„Nicht schlimmer als zu anderen Leuten, nehme ich an. Nur daß ich eine Stellung suche. Besteht irgendeine Chance, bei der „News" anzukommen?"
„Gleich null. Wir haben eine armlange Warteliste. Meistens Leute mit Erfahrung, die von der Presse zum Funk oder zum Fernsehen hinübergewechselt sind. Du hast doch noch nie bei einer Zeitung gearbeitet, wie?"
„Als Junge hab ich einmal Zeitungen ausgetragen."
„Selbst als Zeitungsausträger könntest du jetzt nicht ankommen. Tut mir leid, Luke, aber es ist wirklich nichts zu machen. Es sieht so böse aus, daß wir alle Gehaltskürzungen hinnehmen müssen. Und bei soviel hochtalentierten Kräften auf dem Arbeitsmarkt muß ich befürchten, meine eigene Stellung zu verlieren."
„Gehaltskürzungen? Ich dachte, die Zeitungen florierten, ohne Konkurrenz durch den Funk."
„Die Auflagen sind so hoch wie noch nie. Aber bei einer Zeitung kommt es nicht so sehr darauf an, wieviel Leser, sondern wieviel Inserate sie hat. Und damit liegt es im Argen. Es sind soviele Leute arbeitslos, daß sie als Käufer ausfallen, und so sehen sich die Firmen gezwungen, ihren Reklame-Etat zu kürzen. Tut mir leid, Luke."
Luke machte sich gar nicht erst die Umstände, bei der anderen Zeitung anzurufen.
Er lief bis Pine Avenue und von dort südwärts in das Geschäftsviertel. Die Straßen waren voll von Menschen — und Martiern. Die Menschen waren zumeist mürrisch und stumm, aber die grellen Stimmen der Martier schufen einen Ausgleich. Es herrschte weniger Kraftfahrzeugverkehr als gewöhnlich, und die meisten Fahrer fuhren sehr vorsichtig; die Martier hatten nämlich die Angewohnheit, plötzlich auf die Schutzhauben der Wagen dicht vor den Windschutzscheiben zu kwimmen. Die einzige Sicherheitsmaßnahme dagegen war, langsam mit einem Fuß auf der Bremse zu fahren, damit man sofort stoppen konnte, wenn einem die Sicht genommen wurde.
Es war auch gefährlich, durch einen Martier h i n -durch zu fahren, es sei denn, man war sicher, daß er nicht vor einem Hindernis stand und einem die Aussicht darauf versperrte.
Luke erlebte ein Beispiel dafür. Ein Stück südlich der Siebenten Straße war Pine Avenue zum Teil durch eine Reihe von Martiern blockiert. Für Martier benahmen sie sich geradezu vorbildlich, und Luke fragte sich, warum wohl — bis ein Cadillac sich mit ungefähr zwanzig Stundenkilometern näherte und der Fahrer, mit grimmigem Gesicht, plötzlich Gas gab und leicht einkurvte, um die Reihe der Martier zu durchbrechen. Die Martier hatten jedoch nur einen halbmeterbreiten, zu Kanalisationszwecken ausgehobenen Graben verdeckt. Der Cadillac bockte wie ein Wildpferd, das rechte Vorderrad sprang ab und rollte, dem Wagen voraus, Pine Avenue hinunter. Der Fahrer flog mit dem Kopf durch die Windschutzscheibe und stieg blutend und fluchend aus dem demolierten Wagen. Die Martier kreischten vor Vergnügen.
An der nächsten Ecke kaufte Luke eine Zeitung. Er nahm auf einem Schuhputzerstand Platz und schlug das Blatt unter der Rubrik STELLENANGEBOTE FÜR MÄNNER auf. Zuerst glaubte er, es gäbe überhaupt keine, doch dann entdeckte er eine Viertelspalte. Ein flüchtiger Blick genügte, um festzustellen, daß für ihn nichts Passendes darunter war. Die angebotenen Stellen zerfielen in zwei Kategorien — hochqualifizierte technische Stellungen, die eine Spezialausbildung sowie Erfahrung voraussetzten und kleine Vertreterposten auf Kommissionsbasis. Luke hatte diese Tätigkeit als junger Mensch für eine Weile ausgeübt, damals, als er gerade anfing zu schreiben, und sich davon überzeugt, daß er nicht einmal freie Warenproben an den Mann bringen, geschweige denn etwas verkaufen konnte. Und das war in „guten Zeiten" gewesen. Es noch einmal zu versuchen, war völlig sinnlos, gleichgültig, wie hoffnungslos sich seine Lage gestaltete.
Er blätterte zur Titelseite zurück und fragte sich, ob er einen Fehler begangen hätte, Long Beach zum Aufenthaltsort zu wählen. Was mochte ihn eigentlich dazu bewogen haben? Bestimmt nicht der Umstand, daß sich die Heilanstalt, in welcher seine frühere Frau Margie arbeitete, hier befand. Er dachte nicht daran, sie aufzusuchen; er war fertig mit den Weibern. Zum mindesten für eine längere Zeitspanne. Eine kurze aber heftige Szene mit der schönen Rosalind am Tage nach seiner Rückkehr nach Hollywood hatte die Bestätigung dafür erbracht, daß der Martier nicht gelogen hatte; es hatte sich alles genau so abgespielt, wie er es dargestellt. (Die verdammten Schwätzer schwindelten merkwürdigerweise nie; man war gezwungen, ihnen zu glauben.)
War Long Beach ein Fehler gewesen?
Auf der Vorderseite der Zeitung stand zu lesen, daß es überall böse aussah. Der Präsident kündigte DRA- STISCHE KÜRZUNGEN IM VERTEIDIGUNGSHAUSHALT an. Ja, er gab zu, daß sich die Anzahl der Arbeitslosen dadurch noch erhöhen würde, aber man benötige die freiwerdenden Gelder dringender zur Sozialfürsorge. Unterstützungsmaßnahmen wären wichtiger als Verteidigungsausgaben, hatte der Präsident auf einer Pressekonferenz erklärt.
In Wirklichkeit wären Ausgaben zur Landesverteidigung im Augenblick das Unwichtigste von allen. Die Russen und Chinesen hätten ihre eigenen Sorgen und wären noch übler dran als wir. Außerdem wären wir im Besitz all ihrer Geheimnisse und sie im Besitz der unsrigen — und, hatte der Präsident mit einem schiefen Lächeln hinzugefügt, auf d i e s e Art könne man keinen Krieg führen.
Luke, der vor zehn Jahren selber bei der Marine gedient hatte, dachte mit Schaudern an einen Krieg, in dem die Martier zu ihrem Vergnügen beiden Seiten helfen würden.