Выбрать главу

EFFEKTENBÖRSE NOCH IMMER SCHWACH, war ein anderer Artikel überschrieben. Dabei hatten sich einige Papiere der Vergnügungsindustrie wie Radio, Film, Fernsehen und Theater leicht erholt. Nachdem sie in der vergangenen Woche als vollkommen wertlos gegolten hatten, boten Spekulanten in der Hoffnung, daß die Martier nicht lange bleiben würden, jetzt etwa ein Zehntel ihres einstigen Wertes. Aber alle anderen Aktien waren als Reaktion auf die Kürzung der Verteidigungsausgaben zum mindesten um einige Punkte gefallen. Die hohen Kursrückgänge auf der ganzen Linie waren bereits in der Woche vorher erfolgt.

Luke bezahlte den Schuhputzer und ließ die Zeitung auf dem Sitz liegen.

An einer Ecke hatte sich eine Menschenschlange gebildet, und Luk ging um die Ecke herum, um zu sehen, wohin sie führte. Es war ein Arbeitsnachweis. Für einen Augenblick erwog er, ob er umdrehen und sich mit anstellen sollte, doch dann erblickte er im Fenster ein Schild mit der Aufschrift REGISTRATIONS-GEBÜHR 10 DOLLARS und dachte, zum Teufel damit. Da sich Hunderte von Leuten registrieren ließen, so war die Aussicht, eine Stellung durch diesen Vermittler zu bekommen, bestimmt keine zehn Dollars seiner schrumpfenden Barschaft wert. Aber Hunderte von Leuten bezahlten sie.

Und falls es Vermittlungsbüros gäbe, die keine Gebühren verlangten, so würden sie noch ganz anders bestürmt werden.

Er ging weiter.

Zwischen zwei parkenden Wagen stand am Rande des Bürgersteiges ein großer älterer Mann mit fanatischen Augen und einem ungepflegten grauen Bart auf einer Seifenkiste. Etwa ein halb Dutzend Leute lungerten herum und hörten ihm unbeteiligt zu. Luke blieb stehen und lehnte sich gegen eine Hausmauer.

„ . . . und warum, frage ich euch, lügen sie bei aller Einmischung in unsere Angelegenheiten nie? Warum sind sie aufrichtig? Ich werde euch sagen, warum. Sie verzichten auf Meine Schwindeleien, damit wir ihre große Lüge glauben sollen! Und worin, meine Freunde, besteht diese ihre große Lüge? Einfach darin, daß wir zur ewigen Verdammnis unserer Seelen daran glauben sollen, sie wären Martier! Martier! Teufel sind es, Teufel aus dem tiefsten Höllenpfuhl, von Satan gesandt, wie es in der Offenbarung geschrieben steht. Und ihr selber, meine Freunde, gehört zu den Verdammten, wenn ihr nicht die Wa h r h e i t erkennt und betet, euch auf die Knie werft und Tag und Nacht zu dem E i n e n betet, der allein imstande ist, sie dorthin zurück zu treiben, wo sie herkamen, um uns zu versuchen und zu peinigen. O, meine Freunde, betet zu G o t t und zu seinem Sohn, fleht um Vergebung für die Ubel dieser Welt, die diese Teufelsbrut entfesselt haben ..."

Luke ging weiter.

Wahrscheinlich redeten überall in der Welt religiöse Fanatiker so oder so ähnlich.

Vielleicht hatten sie sogar recht. Es gab keinen Beweis dafür, daß es Martier waren. Er, Luke, hielt es durchaus für möglich und glaubte überhaupt nicht an Teufel und Dämonen. Aus diesem Grunde war er bereit, den Martiern ihre Herkunft zu glauben.

Wieder eine Menschenschlange, wieder ein Arbeitsnachweis.

Ein Junge mit einem Bündel Handzettel kam des Weges entlang und drückte ihm einen in die Hand. Luke verlangsamte den Schritt und warf einen Blick darauf. GROSSE MÖGLICHKEITEN DURCH NEUEN BERUF, las er, WERDEN SIE EIN PSYCHOLOGISCHER BERATER.

Der Rest war klein gedruckt, und er steckte den Zettel ein. Vielleicht würde er ihn später durchlesen. Wahrscheinlich wieder ein neues Schwindelunternehmen, die in Krisenzeiten wie Pilze aus dem Boden schossen.

Wieder eine Menschenschlange um eine Ecke herum. Sie schien noch länger als die beiden anderen, an denen er vorbeigekommen war, und er fragte sich, ob es sich vielleicht um ein öffentliches Arbeitsamt handeln mochte, eine amtliche Stelle, die keine Gebühren erhob.

Wenn ja, dann konnte es nichts schaden, sich registrieren zu lassen. Im Augenblick fiel ihm ohnedies nichts Besseres ein. Und falls er gezwungen sein sollte, Unterstützung zu beantragen, würde er sie nur bekommen, wenn er registriert war. Selbst um als Notstandsarbeiter anzukommen, war dieser Schritt erforderlich. Ob man auch ein Projekt für Schriftsteller ausgearbeitet hatte? Wenn ja, so brachte er die nötige Befähigung dafür mit, schöpferische Arbeit brauchte er in einem solchen Falle nicht zu leisten, bestenfalls eine Geschichte von Long Beach zu verfassen, und das traute er sich immer noch zu, im Schlaf, auch wenn er als Schriftsteller ausgebrannt war.

Die Abfertigung ging ziemlich rasch vonstatten, so rasch, daß es mir schien, als drücke man den Leuten Formulare zum Ausfüllen und Einschicken in die Hand.

Er ging nach vorn und stellte zu seiner Überraschung fest, daß die Leute nach einem Teller Suppe anstanden. Die Ausgabestelle befand sich in einem großen Gebäude, das den Eindruck erweckte, als wäre es früher einmal eine Rollschuhbahn oder ein Tanzsaal gewesen. Jetzt standen lange Tische darin, notdürftig aus Brettern improvisiert, die auf Sägeböcken ruhten, und hunderte von Leuten, hauptsächlich Männer, doch auch einige Frauen, saßen daran, über ihre Teller gebeugt. Martier in großen Mengen liefen auf den Tischen auf und ab und traten häufig — selbstverständlich nur mit sichtbarem Effekt — in die dampfenden Teller und sprangen wie beim Bockspringen über die Köpfe der Essenden hinweg.

Die Suppe roch nicht schlecht und erinnerte Luke daran, daß er hungrig war; es mußte bald Mittag sein, und er hatte das Frühstück ausfallen lassen. Warum sollte er sich eigentlich nicht einreihen und seine schrumpfende Barschaft schonen? Niemand schien irgendwelche Fragen zu stellen; wer dran war, bekam einen Teller.

Oder stellte man doch Fragen? Für einen Augenblick beobachtete er den Tisch, auf welchem ein großer Kessel stand, aus dem ein großer Mann in einer fettigen Schürze Suppe in die Teller schöpfte; er bemerkte, daß eine ziemliche Anzahl von Leuten die Suppe, die man ihnen reichte, in den Behälter zurückkippten, sich angeekelt abwandten und den Saal verließen.

Luke ergriff einen vorübergehenden Mann, der seine Suppe ebenfalls abgelehnt hatte, am Arm. „Was ist denn los?" erkundigte er sich. „Sieht die Suppe so schlecht aus? Sie riecht gut."

„Am besten, du gehst und überzeugst dich selber, Junge", erwiderte der Mann, machte seinen Arm frei und eilte hinaus.

Luke trat näher und sah plötzlich, daß in der Mitte des Kessels ein Manier saß oder hockte. Alle paar Augenblicke beugte er sich nach vorn und streckte eine ungeheuer lange grüne Zunge in die Suppe. Dann zog er sie wieder ein und tat, als spucke er die Suppe aus, wobei er angewiderte und widerwärtige Laute von sich gab.

Der Mann mit der Kelle beachtete ihn überhaupt nicht und schöpfte die Suppe mitten durch den Martier hindurch. Einige Leute in der Schlange — diejenigen, die schon einmal hier waren, wie Luke vermutete — achteten auch nicht auf ihn oder gingen mit abgewandtem Blick rasch vorüber.

Luke beobachtete das Schauspiel noch ein Weilchen und ging dann hinaus. Er stellte sich nicht mit an. Er wußte genau, daß der darauf hockende Martier die Suppe nicht im geringsten beeinträchtigte. Aber trotzdem war ihm der Appetit vergangen, und solange er noch einen Pfennig in der Tasche hatte, würde er diese Suppenküche nicht mehr betreten.

Er fand einen kleinen Fünf-Hocker-Imbißstand, der im Augenblick leer war; nicht einmal ein Martier war zu sehen. Er verzehrte eine Boulette mit Brötchen und ließ sich noch einmal dasselbe und eine Tasse Kaffee geben.

Er hatte gerade aufgegessen und schlürfte seinen Kaffee, als der Mann hinter der Theke, ein langaufgeschossener blonder Neunzehnjähriger, zu ihm sagte: „Geben Sie her, ich wärm' den Kaffee noch mal auf", mit der Tasse an die Kaffeemaschine ging und sie gefüllt zurückbrachte.

„Vielen Dank", sagte Luke.

„Möchten Sie ein Stück Fruchttorte?"

„Nein, lieber nicht, danke schön."

„Blaubeertorte. Kostet nichts."

„Wenn's so ist, dann natürlich", sagte Luke. „Aber wie komm' ich dazu?"