Er war so froh erregt, daß er erst auf der Treppe zu seinem Zimmer merkte, daß er noch einen halben Whiskysoda in der Hand hielt und auf dem ganzen Wege nicht einen einzigen Tropfen verschüttet hatte, so rasch er auch ausgeschritten war.
Er mußte über sich selber lachen und blieb auf dem Treppenabsatz stehen, um ihn auszutrinken.
Auf seinem Zimmer legte er Jackett und Binder ab und krempelte die Hemdsärmel hoch. Stellte die Schreibmaschine auf den Tisch, versah sich mit Papier und zog einen Stuhl heran. Spannte einen Bogen ein. Nur gelbes Papier. Er hatte sich bereits entschlossen, diesmal zuerst einen Entwurf anzufertigen, damit er die Arbeit nicht zu unterbrechen brauchte, um irgendetwas nachzuschlagen. Das hatte Zeit bis später.
Titel? Für einen Wildwestroman brauchte man keinen besonders guten Titel. Nur ein paar Worte, die Spannung andeuteten und nach Wildwest klangen. Schüsse? Schüsse war nicht schlecht. Aber wo? „Schüsse in Arizona"? Das klang zu allgemein, obwohl er gerade Arizona ganz gut kannte und keine Schwierigkeiten mit der Beschreibung der Landschaft haben würde. Vielleicht an einem Fluß in Arizona? Er ging in Gedanken sämtliche Flüsse in Arizona durch, die ihm einfielen. Und dann hatte er es plötzlich. Den Gila. „Schüsse am Gila".
Er tippte die Worte in großen Buchstaben oben auf die Mitte der Seite.
Darunter: „Von Luke Devers". Das war der Deckname, unter dem er „Hölle in Eldorado" und ein paar andere Wildwestgeschichten veröffentlicht hatte. Deve-reaux hatte ihm zu hochtrabend für diese Literatur geklungen. Bernie würde wahrscheinlich auch diesmal darauf bestehen, daß er sein Pseudonym benützte.
Ein wenig weiter unten schrieb er „1. Kapitel" auf die Mitte des Blattes, gab noch ein paar Zeilen Zwischenraum und schob den Schlitten nach links. Bereit anzufangen.
Er würde erst einmal unbekümmert drauflos schreiben und die Handlung oder zum mindesten die Einzelheiten der Handlung sich aus sich selbst entwickeln lassen.
Es gab ohnehin nicht viele Fabeln für Wildwestromane. Das einfachste war, nach dem Grundschema zu verfahren, auf dem eine seiner Novellen „Donner über den Bergen" aufgebaut war. Zwei rivalisierende Farmen, die eine von dem Schurken, die andere von dem Helden bewirtschaftet. Die eine am diesseitigen, die andere am jenseitigen Ufer des Gila-Flusses gelegen. Der Schurke mußte selbstverständlich eine große Farm und bewaffnete Banditen zu seiner Verfügung haben; der Held eine kleine Farm und ein paar ehrliche Cowboys.
Und natürlich eine Tochter. Zu einem umfangreichen Roman gehörte unbedingt eine Frauenfigur.
Die Fabel nahm jetzt sehr rasch Gestalt an.
Ein von dem Schurken gedungener Bandit auf dem Ritt zu der großen Farm. Aber der Bandit ist im Grunde seines Herzens ein guter Kerl und dazu ausersehen, sich in die Tochter des guten Farmers zu verlieben. Er tritt auf die andere Seite über, muß jedoch eines Tages plötzlich feststellen, daß —
Nach altbewährtem Muster. Totsichere Sache. Luke rückte die erste Zeile ein und fing an zu tippen:
„Als Don Marston sich der Gestalt näherte, die ihn auf dem Pfad erwartete, verwandelte sich diese Gestalt in einen finster dreinblickenden Hombre, dessen Hände einen quer über den Sattelknopf liegenden kurzen Karabiner umklammerten und ... " Der Schreibmaschinenschlitten glitt hin und her, anfangs langsam und dann, als er in Fahrt kam, immer schneller. Luke konnte die Tasten gar nicht so schnell anschlagen, wie ihm die Worte kamen.
Und plötzlich saß einer der kleinen Martier rittlings auf dem Schlitten.
„He! Ho!", kreischte er. „Schneller, Mack, schneller!" Luke schrie auf.
Und -
„Katatonie, Doktor?" fragte der Assistent.
Der Bereitschaftsarzt rieb sein stark hervortretendes Kinn und starrte auf die reglose Gestalt auf Lukes Bett.
„Seltsam", sagte er. „Fraglos katatonischer Zustand im Augenblick, aber wahrscheinlich nur vorübergehend." Er wandte sich an Lukes Wirtin, die im Türrahmen stand. „Sie sagen, Sie hätten zuerst einen Aufschrei gehört?"
„Stimmt. Und da ich glaubte, der Schrei käme aus seinem Zimmer, bin ich auf die Diele hinausgetreten und habe gehorcht. Aber da ich seine Schreibmaschine klappern hörte, hab ich gemeint, es wäre alles in Ordnung und bin wieder umgedreht. Und dann klirrten ein paar Minuten später plötzlich Scheiben, und diesmal hab ich die Tür aufgemacht und bin hineingegangen. Und da war das Fenster entzwei, und er lag draußen auf der Feuerleiter. Hat noch mächtiges Glück gehabt, daß sie gerade an seinem Fenster vorbeiführt."
„Seltsam", sagte der Arzt.
„Sie werden ihn doch mitnehmen, Herr Doktor, nicht wahr? Er blutet ja ganz gräßlich."
„Natürlich nehmen wir ihn mit. Aber wegen der Blutung brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Das ist nur oberflächlich."
„Nicht auf meiner Bettwäsche. Und wer bezahlt das zerbrochene Fenster?"
Der Arzt seufzte. „Dafür bin ich nicht zuständig, meine Dame. Aber wir werden die Blutung lieber erst stillen, ehe wir ihn transportieren. Würden Sie so freundlich sein und uns etwas Wasser abkochen?"
„Gern, Herr Doktor."
Als die Wirtin gegangen war, warf der Assistent dem Arzt einen fragenden Blick zu. „Haben Sie sie wirklich weggeschickt, damit sie Wasser abkochen soll?"
„Selbstverständlich nicht, Pete. Ich wollte sie nur los werden."
„Soll ich die Wunden schon hier desinfizieren oder erst nach der Einlieferung?"
„Am besten gleich hier, Pete. Ich möchte mich noch ein bißchen umsehen. Und außerdem besteht die Möglichkeit, daß er zu sich kommt und die zwei Treppen aus eigener Kraft hinunter steigen kann."
Der Arzt trat an den Tisch, auf dem eine Schreibmaschine mit eingespanntem Bogen stand. Er fing an zu lesen und stutzte bei dem Pseudonym. „Von Luke Devers", sagte er. „Kommt mir irgendwie bekannt vor, Pete. Wo hab ich diesen Namen bloß schon gehört?"
„Keine Ahnung, Doktor."
„Der Anfang eines Wildwestromans. Die ersten drei Abschnitte sind völlig in Ordnung — aber dann kommt eine Stelle, wo eine Taste das Papier durchlöchert hat. So weit muß er gekommen sein, als ihm etwas zustieß. Ein Martier, ohne Zweifel."
„Gibt es nicht noch andere Gründe dafür, warum Leute verrückt werden, Doktor?"
Der Arzt seufzte. „Früher gab es mancherlei andere Gründe dafür, aber darüber lohnt es sich jetzt nicht mehr, verrückt zu werden. Das muß der Zeitpunkt gewesen sein, da er aufgeschrien hat. Und dann — die Wirtin hat recht. Dann hat er noch ein paar Zeilen getippt. Aber kommen Sie und lesen Sie selber."
„Augenblick, Doktor. Ich bin gleich fertig."
Nach einer Weile trat er vor die Schreibmaschine.
„Bis hierher hat der Zusammenhang einen Sinn", sagte der Arzt und deutete mit dem Finger darauf. „Hier hat die Taste das Papier durchlöchert. Und danach —"
„He, Ho, schneller, Mack, schneller, Mack, schneller, He, Ho, Mack, schneller, schneller, Mack, schneller, schneller, Mack, He", las der Assistent.
„Was halten Sie davon, Doktor?"
„Ich weiß nicht recht, aber was ihm auch widerfahren sein mag, in irgendeinem Zusammenhang damit muß es stehen, es ist nur schwer zu sagen wie. Was jetzt weiter, Pete? Für mich ist das alles auch neu. Sind noch irgendwelche Formalitäten zu erledigen, oder liefern wir ihn einfach ein?"
„Erst schauen wir mal in seine Brieftasche."
„Wozu?"
„Wenn er Geld hat, eine größere Summe, muß er in eine Privatklinik. Und wenn er eine Adresse bei sich hat, die ,bei Unfall zu benachrichtigen' ist, benachrichtigen wir. Vielleicht kommen seine Angehörigen für die Kosten in einem Privatsanatorium auf, und wir sind den Fall los. Wir sind so überfüllt, daß wir nicht all und jeden ohne weiteres aufnehmen können."
„Hat er eine Brieftasche bei sich?"
„Ja, in der Gesäßtasche. Augenblick." Der Assistent rollte die reglose Gestalt so weit auf die Seite, daß er die Brieftasche herausziehen konnte. Er trat ins Licht und öffnete sie.