„Wollen Sie mich los werden, Dr. Snyder, oder —"
„Sie wissen doch ganz genau, daß das nicht der Fall ist, Margie. Ich sehe nur nicht ein, warum jemand, der es nicht nötig hat, arbeiten sollte. Ich würde es nicht tun."
„Sind Sie sich dessen so sicher? Würden Sie sich wirklich zur Ruhe setzen, wenn Ihre Mittel es Ihnen erlaubten, jetzt, da die Menschheit die Martier auf dem Halse hat und psychiatrische Hilfe dringender denn je braucht?"
Dr. Snyder seufzte. „Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen, Margie. Natürlich könnte ich mich zur Ruhe setzen, wenn ich die Klinik verkaufen würde. Aber Sie scheinen dagegen zu sein."
„Ganz energisch", sagte Margie. „Außerdem, wie steht es mit Luke? Ich würde ohne ihn nicht weggehen. Und meinen Sie, daß er gehen sollte?"
Diesmal seufzte Dr. Snyder wirklich tief auf. „Margie", sagte er, „diese Frage hat mir mehr Kopfzerbrechen verursacht als alles andere — außer den Martiern. Nebenbei bemerkt, behelligen sie uns im Augenblick erstaunlich wenig."
„Sechs von ihnen waren gerade in Lukes Zimmer, als ich das Manuskript holte."
„Was machten sie denn da?"
„Sie tanzten auf ihm herum. Er liegt auf dem Bett und denkt über ein neues Buch nach."
„Will er sich denn nicht erst eine Erholungspause gönnen? Ich möchte nicht, daß er —" Dr. Snyder lächelte verzerrt. „Ich möchte nicht, daß er sich übernimmt und womöglich einen Knacks bekommt."
„Er will eine Woche pausieren, aber erst wenn die Fabel für sein nächstes Buch in großen Umrissen feststeht und ihm ein Titel dafür eingefallen ist. Er meint, in dem Falle würde sich sein Unterbewußtsein mit der Idee beschäftigen, und er könnte ruhig für eine Weile aussetzen und den Faden später wiederaufnehmen."
„Dadurch kommt sein Unterbewußtsein aber nicht zur Ruhe. Oder arbeiten viele Schriftsteller so?"
„Ich kenne einige, die so verfahren. Aber ich wollte eigentlich über die geplante Erholungspause mit Ihnen sprechen, Doktor. Nach Dienstschluß. Oder darf ich es jetzt gleich vorbringen?"
„Sie sind dienstfrei im Augenblick. Und ob das Päckchen ein paar Minuten früher oder später aufgegeben wird, spielt keine Rolle, also bitte."
„Luke und ich haben uns gestern Abend darüber unterhalten, nachdem er mir erklärt hatte, daß er den Roman heute endgültig abschließen würde. Er sagte, er sei durchaus gewillt, hier zu bleiben — unter zwei Bedingungen. Erstens, daß ich mir diese Woche ebenfalls frei nähme. Und zweitens, daß das Schloß von seiner Tür entfernt werde, damit er sich frei bewegen kann. Er meint, er könne sich auch hier ausruhen, nur dürfe er nicht das Gefühl des Eingesperrtseins haben, und wenn ich nicht zu arbeiten brauchte, könnten wir es als unsere zweiten Flitterwochen betrachten."
„Genehmigt. Für das Schloß an seiner Tür besteht ohnehin kein Grund mehr. Ich bin mir mitunter gar nicht so sicher, ob er nicht der einzig völlig vernünftige Mensch unter uns ist, Margie. Bestimmt der ausgeglichenste. Obendrein noch derjenige, der am schnellsten Geld verdient. Wissen Sie schon etwas über sein nächstes Buch?"
„Er sagte, es würde in Taos, Neu Mexiko, spielen — im Jahre 1847, glaube ich. Dazu würden aber einige Vorstudien nötig sein, meinte er."
„Die Ermordung von Gouverneur Bent. Sehr interessante Epoche. Bei der Materialbeschaffung kann ich ihm behilflich sein. Ich besitze einige Bücher, die ihm von Nutzen sein werden."
„Gut. Das würde mir einen Gang in die Bibliothek oder in eine Buchhandlung ersparen. Also dann —" Margie Devereaux erhob sich, griff nach dem versandfertigen Manuskript, hielt plötzlich inne und nahm wieder Platz.
„Doktor", sagte sie. „Ich habe noch ein anderes Anliegen, über das ich mit Ihnen sprechen möchte. Das Päckchen hat nun auch noch ein paar Minuten Zeit. Es sei denn, Sie —"
„Bitte, bitte. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung. Es schwirrt nicht einmal ein Martier herum."
Er ließ seine Blicke durch das Zimmer schweifen, um sich zu vergewissern, konnte jedoch keinen entdecken.
„Was denkt Luke eigentlich, Doktor? Bisher habe ich es vermieden, ihn daraufhin anzusprechen, aber ob ich dazu immer imstande sein werde, ist fraglich. Und falls die Martier je zum Gesprächsgegenstand zwischen uns werden sollten — nun, ich möchte wissen, wie ich mich dann zu verhalten habe. Er weiß, daß ich Martier sehe und höre. Mitunter erschrecke ich eben doch vor einem. Und er weiß, daß ich auf Dunkelheit und Ohro-pax bestehe, wenn —"
„Wenn Dunkelheit und Ohropax angebracht sind", half ihr Dr. Snyder aus der Verlegenheit.
„Ja. Aber er weiß, daß ich sie sehe und höre und er nicht. Glaubt er deshalb, ich wäre wahnsinnig? Daß alle Menschen außer Luke Devereaux verrückt wären? Oder was?"
Dr. Snyder nahm seine Brille ab, um sie zu putzen. „Diese Frage ist schwer zu beantworten, Margie."
„Weil Sie keine Antwort darauf wissen, oder weil es schwer zu erklären ist?"
„Von beiden ein wenig. In den ersten paar Tagen seines Hierseins habe ich mich oft mit Luke unterhalten. Damals war er etwas wirr — ziemlich wirr sogar. Er war völlig überzeugt davon, daß es keine Martier gäbe. Solange er selber sie wahrgenommen hätte, wäre er entweder wahnsinnig gewesen oder hätte an Selbsttäuschungen gelitten. Aber er konnte nicht sagen, warum gerade er seine Wahnvorstellung losgeworden war und wir übrigen nicht."
„Aber — dann m u ß er uns übrige ja für verrückt halten."
„Glauben Sie an Geister, Margie?"
„Natürlich nicht."
„Aber viele Leute glauben daran — Millionen. Und Tausende haben Geister gesehen, gehört, mit ihnen gesprochen — oder bilden es sich ein. Wenn Sie sich für geistig gesund halten, heißt das, daß Sie alle Leute, die an Geister glauben, für verrückt ansehen?"
„Selbstverständlich nicht. Aber das ist etwas anderes. Dabei handelt es sich nur um phantasiereiche Leute, die glauben, sie hätten Geister gesehen."
„Und wir sind phantasiereiche Leute, die glauben, daß Martier um uns sind."
„Aber — jedermann sieht die Martier. Außer Luke."
Dr. Snyder zuckte die Achseln. „Dennoch ist das seine Schlußfolgerung, wenn man es so bezeichnen kann. Die Analogie mit den Geistern stammt von ihm — nicht von mir. Und bis zu einem gewissen Grade ist es eine sehr gute Analogie. Zufällig sind gewisse Freunde von mir fest überzeugt, daß sie Geister gesehen hätten; das bedeutet für mich jedoch nicht, daß sie verrückt sind — oder daß ich verrückt sei, weil ich noch keine gesehen habe."
„Aber — man kann Geister nicht fotografieren oder ihre Stimme aufnehmen."
„Es gibt Leute, die behaupten, beides getan zu haben. Anscheinend haben Sie nicht sehr viele Bücher über psychische Forschungsarbeiten gelesen. Ich will Ihnen damit nicht zu nahe treten, ich möchte nur darauf hinweisen, daß Lukes Analogie nicht völlig ungerechtfertigt ist."
„Sie halten also Luke nicht für wahnsinnig?"
„Natürlich ist er wahnsinnig. Entweder er oder wir alle sind wahnsinnig, einschließlich Sie und ich. Und das kann ich unmöglich glauben."
Margie seufzte. „Ich fürchte, das wird mir nicht viel helfen, falls er je zu mir darüber sprechen sollte."
„Er wird vielleicht nie das Verlangen haben. Er hat schon mir gegenüber ungern davon gesprochen. Wenn er davon anfangen sollte, so lassen Sie ihn reden und hören Sie zu. Lassen Sie sich nicht auf ein Argument ein. Gehen Sie überhaupt nicht darauf ein. Aber lassen Sie es mich wissen, falls sich eine Veränderung in seinem Verhalten bemerkbar machen sollte."
„Gut. Aber warum? Da Sie ja doch keinen Versuch unternehmen wollen, ihn zu heilen, meine ich."
„Warum?" Dr. Snyder runzelte die Stirn. „Meine liebe Margie, Ihr Mann ist wahnsinnig. Im Augenblick ist es eine recht günstige Form von Geisteskrankheit — er ist wahrscheinlich der glücklichste Mensch auf Erden — aber was, wenn die Form seines Wahnsinns umschlägt?"