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„Kann Paranoia eine andere Form annehmen?"

Dr. Snyder vollführte eine Geste der Entschuldigung. „Ich vergesse andauernd, daß ich zu Ihnen nicht wie zu einem Laien zu sprechen brauche. Was ich hätte sagen sollen, ist, daß sein systematisierter Wahn unter Umständen in einen anderen, weniger glücklichen umschlagen könnte."

„So daß er wieder an Martier glauben würde, aber nicht mehr an Menschen?"

Dr. Snyder lächelte. „Eine ganz so komplette Umschaltung wohl kaum, meine Liebe. Es ist jedoch durchaus möglich —" Sein Lächeln erlosch — „daß er eines Tages weder an Martier noch an Menschen glaubt."

„Soll das ein Scherz sein?"

„Keineswegs. Es ist sogar eine ziemlich weit verbreitete Form von Paranoia. Und, was das betrifft, eine Glaubensform, der eine große Anzahl geistig gesunder Menschen anhängt. Haben Sie je etwas vom Solipsismus gehört?"

„Das Wort kommt mir bekannt vor."

„Lateinisch, von s o 1 u s, allein, und i p s e , selbst. Das Selbst allein. Der philosophische Glaube, daß das Ich allein existent ist. Das logische Resultat aus der Schlußfolgerung Cogito, ergo sum — ich denke, also bin ich — mit dem Ergebnis, daß man sich außerstande sieht, irgendeinen sekundären Schritt als logisch zu akzeptieren. Der Glaube, daß die Welt samt allen Menschen, bis auf einen selber, etwas ist, was wir uns einbilden."

Margie lächelte. „Jetzt entsinne ich mich wieder. Während meines Studiums kam das Thema einmal zur Sprache. Und ich entsinne mich auch, daß ich mich gefragt habe, warum nicht?"

„Die meisten Leute legen sich diese Frage, wenn auch nicht sehr ernsthaft, irgendwann einmal vor. Es ist so verlockend, daran zu glauben und so vollkommen unmöglich zu widerlegen. Für einen Paranoiker jedoch ist es ein gebrauchsfertiger Wahn, der nicht einmal systematisiert oder rationalisiert werden muß. Und da Luke bereits an den Martiern zweifelt, ist es nur ein weiterer Schritt."

„Halten Sie es für möglich, daß er diesen Schritt tut?"

„Alles ist möglich, meine Liebe. Wir können nur die Augen offen behalten und auf jede drohende Veränderung vorbereitet sein, indem wir auf irgendein Vorzeichen dafür achten. Und Ihre Situation befähigt Sie am ehesten dazu, eine solche Vorwarnung zu erhalten."

„Ich verstehe Doktor. Ich werde sorgsam achtgeben. Und vielen Dank für alles."

Wieder erhob sich Margie. Diesmal nahm sie das Päckchen an sich und ging damit hinaus.

Dr. Snyder blickte ihr nach und starrte dann für eine Weile auf den Türrahmen, durch den sie verschwunden war. Er seufzte noch tiefer auf als zuvor.

Der Teufel soll diesen Devereaux holen, dachte er. Immun gegen Martier und mit einem solchen Mädchen verheiratet!

Kein Mensch durfte soviel Glück haben; es war ungerecht. Seine eigene Frau — aber er wollte jetzt nicht an seine eigene Frau denken.

Nicht, nachdem er gerade Margie Devereaux angeschaut hatte.

Er nahm seinen Bleistift und rückte den Schreibblock zurecht, auf dem er sich Notizen für die Abhandlung gemacht hatte, die er noch am selben Abend der Ortsgruppenversammlung der P. F. G. M. zu unterbreiten gedachte.

14

Ja, es gab eine P. F. G. M. Die Psychologische Front Gegen Martier. Noch groß im Gange — jetzt, Mitte Juli, fast vier Monate nach dem Kommen — wenn auch anscheinend ohne sichtbaren Erfolg.

In jedem Land der Welt gehörte fast jeder Psychologe und Psychiater einer entsprechenden Organisation an. All diese Organisationen meldeten ihre Entdeckungen und Theorien (leider gab es mehr Theorien als Entdeckungen) einer Sonderabteilung der Vereinten Nationen, die zu diesem Zweck errichtet worden war und sich B. K. P. B. nannte — Büro zur Koordination Psychologischer Bemühungen — und dessen Hauptaufgabe in der Übersetzung und Verbreitung von Berichten bestand.

Allein die Übersetzer-Abteilung füllte drei große Bürogebäude und beschäftigte Tausende mehrsprachiger Angestellter.

Die Mitgliedschaft in der P. F. G. M. und den entsprechenden Organisationen in anderen Ländern war freiwillig und unbezahlt. Aber fast jeder Befähigte gehörte dazu und der Mangel an Bezahlung spielte keine Rolle, da jeder Psychologe und Psychiater, der seinen gesunden Menschenverstand bewahrte, genügend verdiente.

Größere Tagungen und Versammlungen wurden natürlich nicht abgehalten. Große Menschenansammlungen bedeuteten große Ansammlungen von Martiern, und das bloße Störungsvolumen machte das Sprechen nahezu unmöglich. Die meisten P. F. G. M. - Mitglieder arbeiteten allein und berichteten schriftlich, empfingen Berichte von anderen und probierten die vorgeschlagenen Heilmethoden, die ihnen vielversprechend erschienen, an ihren Patienten aus.

Es war vielleicht sogar ein gewisser Fortschritt zu verzeichnen. Jedenfalls wurden weniger Leute wahnsinnig. Das mochte oder mochte nicht daran liegen, wie manche behaupteten, daß die meisten Menschen, die innerlich nicht genügend gefestigt waren, um die Martier auszuhalten, längst aus der Wirklichkeit in den Wahnsinn geflüchtet waren.

Andere schrieben es den in zunehmendem Maße vernünftiger werdenden Ratschlägen zu, die die Psychologen den geistig noch Gesunden zu erteilen vermochten.

Der Wahnsinn hätte weniger Opfer gefordert, behaupteten sie, seitdem man eingesehen habe, daß es in geistiger Beziehung nur bis zu einem gewissen Grade ungefährlich sei, Martier zu ignorieren. Man müsse sich ihnen gegenüber gelegentlich Luft verschaffen und sie verfluchen und beschimpfen. Sonst würde der seelische Druck in einem genau so ansteigen wie der Dampfdruck in einem Kessel ohne Ventil, und man wäre auf dem besten Wege, den Verstand zu verlieren.

Und den ebenso vernünftigen Ratschlag, nie auch nur den Versuch zu unternehmen, sich mit ihnen anzufreunden. Anfangs versuchten das viele Leute, und es wird angenommen, daß sich die meisten Fälle von Geistesgestörtheit innerhalb dieser Gruppe ereigneten. Eine große Anzahl von Leuten, gutwillige Männer und Frauen, versuchten es in jener ersten Nacht; einige setzten den Versuch noch für eine ganze Weile fort. Und ein paar wenige — Heilige müssen es gewesen sein und obendrein noch wundervoll ausgeglichene Naturen — gaben es nie auf.

Unmöglich wurde es allein schon dadurch, daß die Martier ständig in Bewegung begriffen waren. Kein einziger Martier verweilte je lange an einem Ort oder blieb je lange in Kontakt mit einem Menschen, einer Familie oder einer Gruppe. Wäre das der Fall gewesen, so hätte ein äußerst langmütiger und geduldiger Mensch viel-leicht freundschaftliche Beziehungen zu einem bestimmten Martier anknüpfen können.

Aber einen solchen Martier gab es nicht. Schon im nächsten Augenblick, in der nächsten Stunde — spätestens am nächsten Tage — hätte der gutwillige Mensch mit einem anderen Martier ganz von vorn anfangen müssen. Tatsächlich wechselten die Martier bei Leuten, die nett zu ihnen sein wollten, noch häufiger als bei anderen, die kräftig zurückfluchten. Nette Leute langweilten sie. Widerstreit war das Element, das sie liebten.

Aber wir sind von der P. F. G. M. abgeschweift.

Andere Mitglieder zogen es vor, in kleinen Gruppen und Zellen zusammen zu arbeiten. Besonders diejenigen, die sich als Mitglieder der Psychologischen Front mit dem Studium der Psychologie der Martier befaßten. Wenn man sie studieren will, ist es bis zu einem gewissen Grade von Vorteil, Martier um sich zu haben.

Einer solchen Zelle, bestehend aus sechs Mitgliedern, die sich am selben Abend treffen wollten, gehörte auch Dr. Ellicott H. Snyder an. Und jetzt spannte er einen Bogen Papier in die Walze seiner Schreibmaschine; die Notizen zu der Abhandlung waren fertig. Er hätte gern frei nach den gemachten Notizen gesprochen; er redete gern und verabscheute das Schreiben. Aber da man immer damit rechnen mußte, daß Martier eine Zellenversammlung störten und zusammenhängendes Reden unmöglich machten, war es notwendig, daß der geschriebene Text vorlag, den man herumgehen lassen konnte. Und wichtiger noch: Wenn die Zellenmitglieder eine Abhandlung billigten, wurde sie einer höheren Instanz zugeleitet, von der sie noch einmal eingehend geprüft und möglicherweise veröffentlicht wurde. Und diese besondere Abhandlung war seiner Meinung nach bestimmt publikationsreif.