Jetzt war Bugassi an der Reihe, und nach den hungrigen Blicken zu urteilen, mit denen M'Carthi und die übrigen Stammesgenossen ihn verschlangen, sah es fast so aus, als wünschten sie ihm Mißerfolg. Die Moparobi hatten seit achtundzwanzig Tagen kein Fleisch mehr gegessen, und sie waren fleischhungrig.
Ganz Afrika war fleischhungrig.
Einige Stämme, die ausschließlich oder fast ausschließlich von der Jagd gelebt hatten, waren tatsächlich am Verhungern. Andere Stämme waren gezwungen gewesen, weit entfernte Gebiete aufzusuchen, wo Pflanzennahrung wie Früchte und Beeren verfügbar waren.
Auf Jagd zu gehen, war einfach nicht mehr möglich.
Fast alle Tiere, auf die der Mensch zu Ernährungszwecken Jagd macht, sind schneller zu Fuß oder fliegen schneller als er. Man muß sich gegen den Wind so nahe an sie heranschleichen, bis man sie erlegen kann.
Mit Martiern in der Nähe war das ausgeschlossen. Sie liebten es, den Eingeborenen bei der Jagd zu helfen. Ihre Hilfe bestand darin, den Jägern vorauszueilen — oder zu kwimmen — und ihre Beute mit lautem Geschrei aufzuscheuchen.
Worauf sämtliches Getier eilends die Flucht ergriff.
Und was zur Folge hatte, daß die Jäger mit leeren Händen von der Jagd zurückkehrten, neunundneunzig Mal aus hundert, ohne Gelegenheit gehabt zu haben, einen Pfeil abzuschießen oder einen Speer zu werfen, geschweige denn etwas getroffen zu haben.
Es war eine schwere Krise. Andersgeartet, aber zum mindesten so verheerend in den Auswirkungen wie die Wirtschaftskrisen in zivilisierteren Ländern.
Auch die Stämme, die Viehzucht trieben, waren betroffen. Die Martier machten sich ein Vergnügen daraus, sich auf die Rücken der Rinder zu schwingen und eine Panik unter ihnen hervorzurufen. Da Martier substanz- und gewichtslos waren, konnte eine Kuh einen Martier auf ihrem Rücken natürlich nicht spüren und war desto erschreckter, wenn der Martier sich nach vorn neigte und mit gellender Stimme „Iwrigo 'm N' gari" in das Ohr der Kuh schrie, während andere Martier dasselbe in die Ohren eines Dutzends anderer Kühe und Bullen schrien — und schon war die Panik da.
Afrika hatte nichts für die Martier übrig.
Aber zurück zu Bugassi.
„Mach großes Juju", hatte er M'Carthi erklärt. Und ein großes Juju sollte es werden, wörtlich und bildlich. Kurz nachdem die grünen Zwerge vom Himmel gekommen waren, hatte M'Carthi seine sechs Medizinmänner kommen lassen und lange und ernsthaft mit ihnen konferiert. Er hatte sie zu überreden und ihnen zu befehlen versucht, eine Art Kartell zu bilden und ihre Kenntnisse untereinander auszutauschen, damit jeder von ihnen über das Wissen aller sechs verfüge und das größte je dagewesene Juju veranstalten könnte.
Sie hatten das Ansinnen abgelehnt und waren selbst unter der Androhung von Tortur und Tod standhaft geblieben. Ihre Geheimnisse waren ihnen heilig und bedeuteten ihnen mehr als das Leben.
Aber man hatte einen Kompromiß geschlossen. Das Los sollte entscheiden, wer jeweils von Mond zu Mond an der Reihe war. Und sie waren übereingekommen, daß derjenige, welcher scheiterte, all seine Geheimnisse seinem Nachfolger anvertrauen sollte, ehe er in den Magen seiner Stammesgenossen wanderte.
Bugassi hatte den längsten Zweig gezogen und war jetzt, fünf Monde später, im Besitz sowohl sämtlicher Beschwörungsformeln seiner Vorgänger als auch seiner eigenen — und die Medizinmänner der Moparobi sind als die tüchtigsten von ganz Afrika bekannt. Außerdem verfügte er über genaueste Kenntnis aller Dinge und Worte, die bei den fünf erfolglosen Jujus eine Rolle gespielt hatten.
Bis in die Fingerspitzen mit diesem Wissen angefüllt, hatte er sein eigenes Juju von dem Tage an vorbereitet, da Nariboto, der fünfte der Medizinmänner, den Weg allen eßbaren Fleisches gegangen war. (Wovon sich Bu-gassi die Leber ausgebeten hatte, von welcher er noch ein kleines, bereits kräftig in Fäulnis übergegangenes Stück besaß, das sich trefflich für sein eigenes Juju eignete.)
Bugassi wußte, daß sein Juju nicht mißlingen konnte, nicht nur weil die Folgen für ihn unausdenkbar sein würden, wenn es mißlang, sondern weil, nun, weil das kombinierte Wissen sämtlicher Moparobi-Medizinmän-ner einfach nicht versagen konnte.
Es sollte ein Juju zur Beendigung aller Jujus werden, und gleichzeitig sollte es alle Martier vertreiben.
Es sollte ein Riesenjuju werden und alles enthalten, was in den fünf vorhergegangenen bereits enthalten gewesen war und außerdem noch elf Zutaten und neunzehn Zauberformeln (sieben davon Tanzschritte), die sein eigenes Geheimnis und den anderen fünf unbekannt gewesen waren.
Alle Zutaten waren greifbar und würden, winzig wie sie im einzelnen waren, zusammen die Blase eines Elefantenbullen füllen, die als Behälter dafür dienen sollte. (Der Elefant war selbstverständlich schon vor sechs Monaten erlegt worden; seit dem Kommen der Martier hatte man kein Großwild mehr zur Strecke gebracht.)
Die Zusammenstellung des Jujus würde jedoch die ganze Nacht in Anspruch nehmen, da es bei den einzelnen Zutaten sehr auf die richtigen Zauberformeln und Tanzschritte und alle Arten von eingestreuten Beschwörungen ankam.
In dieser Nacht machte kein einziger Moparobi ein Auge zu. Respektvoll im Kreise um das große Feuer hockend, das die Weiber von Zeit zu Zeit aufschütteten, sahen sie zu, wie Bugassi sich abmühte, tanzte und zauberte. Es war anstrengende Arbeit; er verlor Gewicht dabei, wie man bekümmert feststellte.
Kurz vor Anbruch der Morgendämmerung warf sich Bugassi vor M'Carthi, dem Häuptling, zu Boden.
„Juju fertig", sagte er.
„Gnajamkata noch hier", sagte M'Carthi grimmig.
Die Martier waren tatsächlich noch sehr da; die ganze Nacht hindurch waren sie sehr aktiv gewesen, hatten bei den Vorbereitungen zugeschaut und so getan, als wollten sie dabei helfen; einige Male hatten sie Bugassi während des Tanzens zum Stolpern gebracht und einmal sogar zu Fall, indem sie unvermutet zwischen seinen Beinen hindurchgeschossen waren. Aber jedesmal hatte er die Reihenfolge geduldig wiederholt, damit kein Schritt verloren ginge.
Bugassi, im Schmutz liegend, stützte sich mit einem Ellbogen auf, und deutete mit dem anderen Arm auf den nächsten großen Baum.
„Juju muß so hängen, daß es Boden nicht berührt", sagte er.
M'Carthi erteilte einen Befehl, und drei Schwarze sprangen auf, um ihn auszuführen. Sie banden einen aus Ranken geflochtenen Strick um das Juju, und einer von ihnen kletterte auf den Baum und warf den Strick über einen Ast; die anderen beiden zogen das Juju hoch, und als es etwa drei Meter über dem Erdboden schwebte, rief Bugassi, der sich inzwischen mühselig aufgerafft hatte, ihnen zu, daß es hoch genug sei. Man band es fest, der Schwarze auf dem Baum kam herunter, und sie kehrten wieder in den Kreis der anderen zurück.
Bugassi ging auf den Baum zu mit Schritten, als täten ihm die Füße weh (was auch der Fall war) und blieb unter dem Juju stehen. Er wandte das Gesicht nach Osten, wo der Himmel bereits grau gefärbt war und die Sonne jeden Augenblick erscheinen mußte, und verschränkte die Arme.
„Sobald Sonnenstrahl auf Juju fallen", sagte er mit heiserer Stimme, „Gnajamkata verschwinden."
Der rote Rand der Sonne erschien über dem Horizont; ihre ersten Strahlen trafen den Wipfel des Baumes, in dem das Juju hing, und bewegten sich nach unten.
Noch ein paar Minuten, und sie würden auf das Juju fallen.
Durch Zufall, oder wie man es nennen will, war es genau in dem Augenblick, als in Chicago, Illinois, Vereinigten Staaten von Amerika, ein gewisser Hiram Pedro Oberdorffer vor seiner Bierflasche saß und darauf wartete, daß sein anti-außerweltlicher subatomarer Superschwingungserzeuger auf Touren kommen sollte.
Etwa eine dreiviertel Stunde vor diesem bewußten Augenblick, um etwa 21 Uhr 15 Pazifische Zeit, goß sich Luke Devereaux in einer Wüstenhütte in der Nähe von Indio, Kalifornien, das dritte Glas des Abends ein.