Wollt ihr euch umbringen? Sie werden euch niemals an Bord lassen!
Mike war insgeheim derselben Meinung wie der Kater, aber er kam gar nicht dazu, seine Bedenken zu äußern. Trautman und Singh hatten bereits die Ruder ergriffen und paddelten, was das Zeug hielt, und im Grunde erging es ihm so wie wohl den anderen auch: Alles, woran er wirklich denken konnte, war, dass jemand versuchte, die NAUTILUS zu stehlen. Und dasdurftenicht geschehen! Dieses Schiff war ihre Heimat. Alles, was sie besaßen, und alles, was wichtig für sie war. Jeder Einzelne hier würde eher sein Leben riskieren, bevor er es einfach so aufgab. Eingehüllt in Dampf und brodelnde Gischt näherten sie sich dem Schiff. Die NAUTILUS zitterte und bebte jetzt, als wolle sie auseinanderbrechen, und das Motorengeräusch klang so dröhnend, wie Mike es noch nie zuvor gehört hatte. Angetrieben von Singhs und Trautmanns kraftvollen Ruderschlägen, erreichte das Boot die NAUTILUS binnen weniger Sekunden und prallte mit einem dumpfen Geräusch gegen den Rumpf. Im selben Moment setzte sich die NAUTILUS endgültig in Bewegung. Trautman fluchte, ließ das Ruder los und griff mit beiden Händen nach den Sprossen der Metall-Leiter, die vom Deck des Unterseebootes herab ins Wasser führte und auf die er gezielt hatte, als sie lospaddelten. Im letzten Moment bekam er sie zu fassen und verhakte sich mit den Füßen irgendwo im Boot, so dass sie mitgezogen wurden, als die NAUTILUS allmählich Fahrt aufnahm. »Ein Seil!«, schrie er. »Einen Strick! Schnell!« Mike sah sich gehetzt um. Das Boot war vollkommen leer; es gab weder ein Tau noch sonst irgendetwas, das ihnen geholfen hätte. Aber noch während er verzweifelt versuchte, eine Lösung zu finden, zog Singh mit fliegenden Fingern seinen Gürtel aus der Hose und
augenblicklich folgten auch Ben und Juan seinem Beispiel. Trautmans Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung. Die NAUTILUS wurde rasch schneller und er musste nur mit seinen Händen das Gewicht des gesamten Bootes und seiner Insassen halten. »Beeilt euch!«, keuchte er. »Ich schaffe es nicht mehr lange!« Singh, Ben und Juan knoteten hastig ihre Gürtel aneinander, zogen dann eine Schlaufe um eine der Leitersprossen und banden das andere Ende ans Boot. Trautman ließ mit einem erleichterten Seufzer los und fiel zurück. Die Ledergürtel knirschten hörbar und der Ruck, der durch das kleine Schiffchen ging, war so heftig, dass Mike im ersten Moment fest davon überzeugt war, sie würden einfach durchreißen. Aber das Wunder geschah: Statt zurückzufallen oder in den Sog der Turbinen zu geraten und zu zerbrechen, wurde das Boot einfach mitgezogen. Singh packte die Leitersprossen, turnte mit geschickten Bewegungen am Rumpf der NAUTILUS empor und kletterte am Turm hinauf. Für einen Moment entschwand er ihren Blicken, dann richtete er sich auf und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Das Luk ist von innen verriegelt!«, rief er. »Ich versuche das andere!« Er sprang wieder auf das Deck hinab, rannte gebückt zu dem zweiten Einstieg, der sich in der Mitte der NAU-TILUS befand, und versuchte ihn zu öffnen - mit demselben Ergebnis. Mit niedergeschlagenem Gesicht, aber sehr schnell, kehrte er zu ihnen zurück und kletterte wieder ins Boot.Das ist doch Wahnsinn!jammerte Astaroth.Macht das Boot los, solange wir noch zurückkönnen!
Die aneinander gebundenen Ledergürtel ächzten und knarrten jetzt immer lauter und würden der Belastung vermutlich nicht mehr lange standhalten. Mike wandte den Kopf und stellte voller Schrecken fest, wie weit sie sich bereits vom Strand entfernt hatten, und die Distanz wuchs mit jeder Sekunde, denn die NAUTILUS
wurde immer schneller und pflügte jetzt nur so durch das Wasser. Dann geschah genau das, was er befürchtet hatte: Der mittlere der drei aneinander geknoteten Gürtel zerriss mit einem peitschenden Knall und das Ruderboot löste sich schaukelnd vom Rumpf der NAU-TILUS. Das grüngraue Metall raste immer schneller und schneller an ihnen vorüber -und plötzlich gähnte darin eine gewaltige Lücke: das Loch, das ihr eigener Torpedo in die Panzerplatten gesprengt hatte. Diesmal war es Singh, der blitzschnell reagierte. Er warf sich vor, bekam mit beiden Händen den Rand der gewaltsam in das Schiffgeschlagenen Öffnung zu fassen und klammerte sich fest. Er schrie vor Schmerz auf. Mike sah voller Entsetzen, dass plötzlich Blut zwischen seinen Fingern hervorquoll, während sich die Muskeln des Inders scheinbar bis zum Zerreißen anspannten. Das Boot schaukelte so wild, dass Mike Halt suchend um sich griff.»Schnell!«,schrie Singh.Seid ihr wahnsinnig geworden?!kreischte Astaroth. Mike beachtete ihn nicht. Nicht einmal die gewaltigen Körperkräfte des Inders würden reichen, um sie länger als ein paar Sekunden festzuhalten. Mit einem einzigen Satz war er auf den Füßen und kletterte hinter Ben und Juandurch die gezackte Öffnung ins Innere des Schiffes; dann drehte er sich herum, ergriff Astaroth im Nacken und zog ihn einfach zu sich herein, während Trautman und Ben nach Singh griffen, um ihm zu helfen. Aus eigener Kraft hätte er es vermutlich auch nicht mehr geschafft. Unterstützt von Trautman und Ben, kroch der Inder mit letzter Kraft zu ihnen herein, brach in die Knie und presste stöhnend die Hände gegen die Brust. Sein Hemd färbte sich sofort rot. Er musste sich an den scharfen Metallkanten übel verletzt haben.
Besorgt kniete Mike neben Singh nieder und wollte nach dessen Händen greifen, aber der Inder schüttelte nur den Kopf. »Ist es schlimm?«, fragte Mike. »Nicht sehr«, antwortete Singh mit einem erzwungenen Lächeln. »Es sind nur ein paar Schnitte. Ich habe schon Schlimmeres überlebt, Herr.« »Du sollst mich nicht Herr nennen«, sagte Mike - was fast eine Art Zeremoniell zwischen ihnen war. Sie waren schon längst nicht mehr Diener und Herr, aber Singh würde sich wahrscheinlich niemals ganz abgewöhnen, sich nicht nur als seinen Freund, sondern auch als Mikes Leibwächter zu sehen, der er einmal gewesen war. »Das war unglaublich tapfer von dir«, sagte Mike.Das war unglaublichdämlichvon ihm,sagte Astaroth in Mikes Gedanken.Das war ja wohl das Bekloppteste, was ich jemals gesehen habe! Was glaubt ihr, was passiert, wenn die NAUTILUS taucht? Immerhin sind wir an Bord,erwiderte Mike.Ja, und auch so unglaublich sicher, nicht wahr?fügte Astaroth spöttisch hinzu. Mike brachte es nicht fertig, zu widersprechen. Der Kater hatte nur zu Recht. Das Loch, das im Rumpf der NAUTILUS gähnte, war so groß wie das sprichwörtliche Scheunentor. Wenn die NAUTILUS tauchte, waren sie verloren.Sie werden schon nicht tauchen,sagte Mike.Damit würden sie uns umbringen und das traue ich Argos nun doch nicht zu. Ich auch nicht,erwiderte Astaroth gelassen.Vorausgesetzt, erweiß,dass wir hier sind.Ein eisiger Schrecken durchfuhr Mike. Er traute Argos tatsächlich nicht zu, ihnen nach dem Leben zu trachten, aber Astaroth hatte Recht: Sie waren nicht unbedingt durch die Vordertür hereingekommen. Es war also wahrscheinlich, dass der Atlanter gar nicht wusste, dass sie an Bord waren.