men. Als er sich auf dem Turm aufrichtete, um ins Wasser zu springen, entdeckte ihn Juan. Er hob beide Arme und winkte ihm zu und er rief auch irgendetwas, was Mike nicht verstand. Mike winkte zurück, woraufhin Juan noch heftiger mit den Armen zu gestikulieren begann und auch Weisser in seinem Tun innehielt und plötzlich mit beiden Armen wedelte. Die beiden konnten es wohl kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Mike atmete tief ein, stieß sich ab und landete mit einem eleganten Hechtsprung im Wasser. Nach der klammen Kälte, die an Bord der NAUTILUS geherrscht hatte, kam ihm das Meer angenehm warm vor, so dass er so lange unter Wasser blieb, wie er nur konnte, und mit kräftigen Zügen in Richtung Ufer schwamm. Als er auftauchte, hatte er bereits ein Viertel der Entfernung zurückgelegt. Juan und Weisser winkten ihm
immer noch zu und auch die Eingeborenen hatten aufgehört, sich mit dem Boot und seiner Fracht zu beschäftigen, und blickten in seine Richtung. Mit kräftigen Zügen schwamm Mike weiter. Erst als er schon die halbe Strecke zum Ufer zurückgelegt hatte und Juan und die anderen immer noch nicht aufhörten, wild mit den Armen zu gestikulieren und auf der Stelle herumzuhüpfen, begann ihm die Sache doch etwas komisch vorzukommen. Er hob den Kopf ein wenig weiter aus dem Wasser und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was Juan ihm zuschrie ... »Pass auf! Hinter dir!«Hinter ihm?Hinter ihm war die NAUTILUS -was sonst? Aber vielleicht war etwas mit Trautman, der hinter ihm aus dem Turm geklettert war. Mike drehte im Schwimmen mühsam den Kopf und fuhr so erschrocken zusammen, dass er für eine Sekunde das Schwimmen vergaß und eine gehörige Portion Wasser schluckte, bevor er ganz instinktiv Arme und Beine wieder bewegte. Hinter ihm schnitt eine dreieckige graue Flosse durch die Wasseroberfläche. Ein Hai! Der bloße Anblick schien Mikes Kraft schier zu verzehnfachen. Mit verzweifelter Schnelligkeit griff er aus und schoss nun beinahe selbst so schnell wie ein Fisch durch das Wasser, aber natürlich nicht annähernd schnell genug, um dem Hai davonzuschwimmen oder den Abstand zwischen sich und dem riesigen Raubfisch auch nur zu halten.
Der Hai schoss mit unglaublicher Schnelligkeit heran. Mike konnte ihn im glasklaren Wasser jetzt deutlich erkennen. Er war nicht einmal besonders groß - verglichen mit den Giganten, die sie in den Tiefen der Meere gesehen hatten, aber trotzdem eine tödliche Gefahr. Mike konnte sehen, wie sein riesiges Maul auseinanderklaffte und zwei doppelte Reihen krummer, nadelspitzer Zähne ihn angrinsten. Im allerletzten Moment warf er sich zur Seite und tauchte unter. Er entging dem zuschnappenden Haifischmaul, spürte aber einen heftigen Schlag gegen die Hüfte und gleich darauf einen brennenden Schmerz, als wäre sein ganzes rechtes Bein von oben bis unten mit einem Reibeisen in Berührung gekommen. Mike sah, wie der Hai auf der Stelle herumfuhr und zu einem zweiten Angriff ansetzte. Statt sich auf ein aussichtsloses Wettschwimmen mit einem Fisch einzulassen, der spielend die Geschwindigkeit eines Schnellbootes erreichte, drehte sich Mike unter Wasser herum - und schwamm dem Haifisch genau entgegen! Das riesige Maul des Raubfisches öffnete sich erneut. Mike änderte seine Richtung ein wenig, um weiter nach unten zu tauchen, und der Hai ging instinktiv auf Abfangkurs -und Mike bewegte sich im buchstäblich allerletzten Moment zur Seite. Diesmal war der Schlag noch härter und er hatte das Gefühl, über einen Klotz mit Sandpapier gezerrt zu werden,
doch er hatte nichts mehr zu verlieren. Als der Hai unter ihm entlangschoss, vollendete er seine Drehung und griff zugleich mit beiden Händen nach der dreieckigen Rückenflosse des Tieres. Mit aller Kraft klammerte er sich daran fest. Ein harter Ruck ging durch
seine Arme und die Luft entwich aus seinen Lungen. Er würde jetzt nur noch wenige Augenblicke durchhalten, doch der Hai reagierte so, wie er gehofft hatte. Das Tier begann sich wütend zu schütteln, drehte sich
zweimal auf der Stelle und versuchte mit dem Schwanz nach dem Angreifer zu schlagen, der sich an seiner Rückenflosse festgeklammert hatte. Mike krallte sich mit aller Gewalt in die rauhe Haut des Haifisches. Das Tier bäumte sich auf, machte einen Buckel wie ein bockendes Pferd und schoss dann in spitzem Winkel zur Oberfläche hinauf. In einer Springflut aus Schaum brachen Mike und der Hai durch die Meeresoberfläche. Mike verlor endgültig den Halt, wurde im hohen Bogen durch die Luft geschleudert und klatschte meterweit entfernt wieder aufs Wasser, aber der kurze Augenblick hatte genügt, ihn wieder Atem schöpfen zu lassen, und er hatte sogar ein zweites Mal Glück gehabt. In seinem wütenden Kampf war der Hai noch näher ans Ufer herangekommen und das Wasser war dort, wo er sich nun befand, allerhöchstens anderthalb Meter tief. Er schwamm mit verzweifelten Zügen auf die Insel los und spürte endlich rauhen Sand unter den Knien. Hastig richtete er sich auf, watete das letzte Stück zum Ufer und sank zu Boden. Seine Lungen brannten vor Atemnot. Der kurze Kampf hatte ihn so erschöpft, dass ihm für einen Moment fast schwarz vor Augen wurde. Als er wieder klar sehen konnte, waren Juan, Weisser und die Eingeborenen bereits heran und umringten ihn. Weisser griff nach seinen Schultern, hob seinen Kopf und wollte nach seinem Puls tasten, aber Mike schlug seine Hand mit einer zornigen Bewegung zur Seite. Weisser starrte ihn einen Moment lang verdutzt an, trat dann kopfschüttelnd zurück, sagte aber nichts. Die Eingeborenen schnatterten wild und aufgeregt durcheinander und Juan redete ununterbrochen auf ihn ein. »Mein Gott! Ist dir etwas passiert? Was war denn los? So etwas habe ich ja noch nie gesehen! Wie geht es dir?« »Noch lebe ich«, antwortete Mike müde. »Aber ich weiß nicht, wie lange noch. Anscheinend hast du dir vorgenommen, mich zu Tode zu quatschen.«
Juan riss verblüfft die Augen auf und fuhr in kaum weniger aufgeregtem Ton fort: »Das ... das war ja unglaublich. Es hat ausgesehen, als ob du auf dem Hai geritten wärst!« »Bin ich auch«, maulte Mike. »Irgendwie musste ich ja ans Ufer kommen, nachdem du mir das Boot geklaut hast.« Er stand auf, holte tief Luft und drehte sich dann wieder zum Meer herum. Der Haifisch war immer noch da! Er schwamm kaum zehn Meter vom Ufer entfernt in großen Kreisen auf und ab, als könne er nicht glauben, dass seine Beute im letzten Moment doch noch entkommenwar. Und als wäre all dies noch nicht genug, berührte Juan ihn am Arm und deutete nach links. Als Mikes Blick der Geste folgte, entdeckte er zwei, drei, schließlich ein halbes Dutzend weiterer Haifischflossen, die dort ihre Kreise zogen. »Sieht aus wie ein richtiges Familientreffen«, sagte Juan. Mike war nicht nach Scherzen zumute und Juan wurde auch sofort wieder ernst. »Entschuldige«, sagte er. »Dir ist wirklich nichts passiert?« »Nein«, beharrte Mike. »Aber ich habe einen ganz schönen Schrecken bekommen, das kann ich dir sagen.« Er rieb sich das schmerzende Bein und sog hörbar die Luft ein, als er an sich herabsah. Seine ganze rechte Seite sah tatsächlich aus, als wäre jemand mit einem Riesenstück Schmirgelpapier darüber gefahren. Die Haut war rot und an einigen Stellen blutete er sogar aus winzigen Wunden. Mike konnte von Glück sagen, dass er nicht schwerer verletzt war. Was ihn noch mehr beschäftigte, das war die Frage, warum der Hai angegriffen hatte. Entgegen der landläufigen Meinung kommen Haie nämlich recht selten in die Nähe des Ufers und eigentlich greifen sie Menschen nur an, wenn diese sie provozieren oder verletzt