Wie durch ein Wunder hatten die Haie bisher noch keinerlei Notiz von ihm genommen. Sie umkreisten weiterhin das Wrack. Viele von ihnen kamen ihm dabei so nahe, dass sie mit Flossen oder Rücken über das rostig gewordene Metall streiften. Und tatsächlich versuchten nicht wenige der grauen Killer ins Innere des Schiffes vorzudringen. Allerdings war es so, wie er vermutet hatte: Nur die kleinen, relativ ungefährlichen Tiere waren in der Lage, in das Schiff hineinzuschwimmen. Noch waren Singh und Argos dort drinnen also in Sicherheit. Mike schleppte sich mühsam weiter. Er begann seine Schritte zu zählen und er hatte noch nicht die Hälfte der Entfernung zum Wrack zurückgelegt, als das geschah, was er insgeheim schon in der ersten Sekunde befürchtet hatte: Die Haie entdeckten ihn. Ein kleineres, kaum einen halben Meter langes Tier schoss plötzlich auf ihn los und schwenkte erst so dicht vor ihm zur Seite, dass Mike bereits alle Muskeln anspannte, um den erwarteten Anprall abzufangen. Dem ersten Tier folgte ein zweites, größeres, dann ein drittes und viertes; und plötzlich war auch Mike von einer wirbelnden Schar tanzender, das Wasser peitschender Haie unigeben -doch zu seinem großen Erstaunen griff ihn keines der Tiere direkt an. Mike versuchte den lebendigen Schutzwall, der sich rings um ihn herum aufgetürmt hatte, mit Blicken zu durchdringen. Es gelang ihm. Er sah das Schimmern von Licht auf Metall und setzte seinen Weg in diese Richtung fort. Schließlich hatte er es geschafft: Unter seinen tastenden Händen war plötzlich Metall. Die Haifische bedrängten ihn immer noch, aber er hatte das Wrack erreicht und dieser Erfolg gab ihm noch einmal neue Kraft. Er tastete sich weiter, versuchte die Haie davonzuscheuchen, und sah schließlich einen Einstieg vor sich.
Mit dem schweren Taucheranzug und der zusätzlichen Last der beiden Flaschen kostete es Mike all seine Kraft, nach dem Rand der Luke zu greifen und sich hinaufzuziehen. Als er es fast geschafft hatte, kam ihm ein grauer Schemen aus dem Schiff entgegengeschossen, traf seine Schulter und warf ihn zurück. Mike stürzte nach hinten, fiel in den Sand und blieb einen Moment hilflos wie eine auf den Rücken gefallene Schildkröte liegen, ehe es ihm irgendwie gelang, sich herumzuwälzen und auf Hände und Knie hochzustemmen. Er griff ein zweites Mal nach dem Rand der Luke, zog sich mit zusammengebissenen Zähnen und unter Aufbietung aller seiner Kräfte daran empor -und wieder schoss ein Hai heran und rammte ihm die stumpfe Schnauze in die Seite. Diesmal war es einer der großen, weißen. Ein mehr als vier Meter langes Exemplar, dessen Aufprall ihn wie ein Hammerschlag traf. Mike verlor seinen Halt, schrie gellend auf und überschlug sich zweimal, bevor er erneut, aber sehr viel härter, auf den Meeresboden krachte. Alles drehte sich um ihn. Als er wieder klar sehen konnte, bot sich ihm ein ganz und gar unglaubliches Bild: Er sah eine Gruppe von vier oder fünf ganz besonders großen Haien direkt auf sich zu schießen. Angeführt wurden sie von einem wahrhaft gigantischen Exemplar, einem Tier von der Größe eines kleinen Schiffes, das Tonnen wiegen musste, sich aber pfeilschnell durch das Wasser bewegte. Das aber war es nicht, was Mike schier an seinem Ver
stand zweifeln ließ. Es war der schwarze, einäugige Kater, der auf dem Rücken des Riesenhaies saß und
das Tier mit Fauchen und Krallenbewegungen ganz offen
sichtlich lenkte!
Mike blinzelte. Der Hai kam mit seinem ungewöhnli
chen Reiter näher, glitt kaum auf Armeslänge an ihm
vorbei und war dann verschwunden. Mühsam stemmte
sich Mike in die Höhe, drehte sich herum und versuch
te, ihm mit Blicken zu folgen, aber das Tier hatte den
Bereich greller Helligkeit, den die Scheinwerfer der NAUTILUS in die ewige Nacht hier unten warfen, bereits verlassen. Natürlich war das, was er gesehen hatte, vollkommen unmöglich. Astaroth war tot. Er war vor seinen Augen gestorben! Und selbst, wenn nicht, dann würde er wohl kaum in mehr als dreitausend Metern Wassertiefe rittlings auf einem Hai herankommen. Seine überreizten Nerven, seine Furcht und der Schmerz um den Verlust des Katers hatten ihm einen Streich gespielt, das war alles. Mühsam drehte er sich herum, schleppte sich zum Schiff zurück und versuchte zum dritten Mal, nach dem Lukenrand zu greifen. Es gelang ihm, aber seine Kraft reichte nicht mehr aus, sich selbst und das Gewicht der Ausrüstung nach oben zu ziehen. Plötzlich berührte ihn etwas an der Schulter. Mike senkte den Blick. Sein Herz machte einen erschrockenen Sprung, als er sah, dass sich ihm zwei Haifische von rechts und links gleichzeitig genähert hatten. Ihre stumpfen Schnauzen glitten über seinen Anzug; sicherlich aus keinem anderen Grund als dem, eine passende Stelle zu suchen, um zuzubeißen - und dann hoben die Tiere ihn vollkommen mühelos in die Höhe, bugsierten ihn auf die Luke zu und versetzten ihm einen Stoß, der ihn kopfüber in das Innere des Schiffes beförderte! Mike überschlug sich, prallte gegen eine Wand und schlitterte haltlos die schräge Ebene hinab, die einmal die Seitenwand des Korridors gewesen war. Scharfkantige Trümmerstücke kratzten über seinen Anzug, beschädigten ihn aber wie durch ein Wunder nicht. Und dann bremste irgendetwas sehr unsanft seinen Sturz. Mit klopfendem Herzen richtete Mike sich auf und sah sich um. Ringsum herrschte vollkommene Dunkelheit. Der Einstieg lag vier oder fünf Meter über ihm - ein vom Licht der Scheinwerfer hell erleuchtetes Rechteck, von dem
jedoch nicht genug Helligkeit ausging, um sich auch hier drinnen zu orientieren. Immerhin sah er jedoch, dass er nicht allein war. Vier oder fünf kleinere Haifische waren mit ihm hereingeschwommen und umkreisten ihn, neugierig oder auch lauernd - das vermochte er nicht zu sagen. Es spielte auch keine Rolle.DieseTiere waren keine Gefahr. Mike richtete sich weiter auf, suchte mit weit ausgebreiteten Armen nach Halt und tastete über die Wände. Wo waren Singh und Argos? Das abgebrochene Heck des Schiffes war nicht besonders lang. Acht, vielleicht zehn Meter, so dass von dem Korridor, der einmal der Mittelgang des Schiffes gewesen sein musste, nur drei oder vier Türen abgingen. Die erste, an der er rüttelte, war verschlossen, während sich die zweite so plötzlich bewegte, dass Mike mit einer erschrockenen Bewegung zurückprallte. Er hatte nicht vergessen, was ihm bei seinem ersten Besuch im Schiffswrack um ein Haar zugestoßen wäre. Dann jedoch sah er einen schwachen Lichtschimmer durch den Spalt einer anderen Tür fallen. Mühsam auf Händen und Knien kriechend, um auf der Schräge nicht wieder das Gleichgewicht zu verlieren und das ganze Stück zurückzurutschen, das er sich gerade erst so mühsam hinaufgekämpft hatte, bewegte er sich darauf zu, öffnete mit einiger Anstrengung die Tür und warf einen Blick in den dahinter liegenden Raum. Nur ein kurzes Stück hinter der Tür lagen zwei reglose Gestalten in Taucheranzügen. Mike kroch hastig durch die Tür und sprang die zwei Meter zum Boden hinab. So schnell er konnte, bewegte er sich auf die erste Gestalt zu, drehte sie mit einiger Mühe auf den Rücken und sah durch die Sichtscheibe des Helmes. Es war Argos. Der Atlanter hatte das Bewusstsein verloren. Die Innenseite der Scheibe war beschlagen -ein deutliches