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Mike legte den Schweißbrenner aus der Hand und griff mit beiden Händen zu und rüttelte mit aller Kraft an der großen Metallöse, die er im Verlauf der letzten zwanzig Minuten am Rumpf des Wracksfestgeschweißt hatte. Es war eine von fast einem Dutzend gleichartiger Ösen, die sie an ebenso vielen, genau berechneten Punkten am abgebrochenen Teilstück des Schiffes angebracht hatten -ein Unterfangen, das sich als schwieriger erwies, als sie es sich vorgestellt hatten, denn der weitaus größte Teil des Wracks bestand nicht mehr aus Metall. Vielmehr hatte der unheimliche Effekt, der jedes Leben an Bord des Schiffes zum Erlöschen gebracht hatte, auch vor seinem Rumpf nicht Halt gemacht und ihn in eine steinähnliche Substanz verwandelt, der selbst mit einem Schweißbrenner schwer beizukom

men war. Sein Funkgerät knisterte und Trautmans Stimme fragte: »Wie weit bist du?«

»Fertig«, antwortete Mike. »Gut«, sagte Trautman, »dann komm zurück an Bord. Singh und ich erledigen den Rest.« Mike ließ sich kein zweites Mal dazu auffordern. Hastig ergriff er den Schweißbrenner, hängte sich das Gerät über die Schulter und stapfte durch den aufwirbelnden Sand zur NAUTILUS zurück. Auf halbem Wege kam ihm Chris entgegen, der unter dem Gewicht einer zusätzlichen Sauerstoffflasche schwankte. Es war das dritte Mal, dass einer von ihnen den Weg von der NAUTILUS zum Wrack hin mit dieser Last machte. Argos' Atemluft reichte immer für eine gute Stunde, aber wenn sie erst einmal damit begannen, ihren Plan in die Tat umzusetzen, würden sie keine Gelegenheit mehr haben, ihm eine weitere Reserveflasche zu bringen. Mike winkte dem jüngsten Besatzungsmitglied der NAUTI-LUS flüchtig zu und warf einen unsicheren Blick in die Runde; wohin er auch sah, grinsten ihn gefährliche Haifischgebisse an, doch keines der Tiere hatte ihn oder einen seiner Freunde angegriffen, und er beeilte sich, das restliche Stück des Weges noch schneller zurückzulegen. Trautman und Singh traten aus der Schleuse, als Mike näher kam. Trautman gab ihm noch einige knappe Anweisungen, dann betrat er das Schiff, schloss das äußere Schott und wartete ungeduldig darauf, dass die Schleuse leer lief. Erleichtert öffnete er die innere Tür, legte das Schweißgerät zu Boden und begann sich mit fahrigen Bewegungen aus dem Taucheranzug zu schälen. Erst jetzt, als er wieder im behaglich warmen Inneren der NAUTILUS war, spürte er richtig, wie kalt das Wasser draußen gewesen war. Er war durchgefroren bis auf die Knochen und er glaubte jeden einzelnen Handgriff zu spüren, den er in den letzten beiden Stunden ge

tan hatte. Mike betrat den Salon, stellte mit einem raschen Blick fest, dass er leer war, und trat müde ans Fenster. Im Licht der starken Scheinwerfer konnte er Trautman und Singh erkennen, die zur Größe von Ameisen geschrumpft zu sein schienen. Sie hatten das Wrack erreicht und begannen eine Anzahl gewaltiger Stahltrossen in den Ösen zu befestigen, die Mike und die anderen am Schiff festgeschweißt hatten. Die Haifische umkreisten sie dabei neugierig und aufgeregt und obwohl Mike wusste, wie lächerlich dieser Gedanke war, kam es ihm trotzdem so vor, als ob die Tiere genau beobachteten, was sie da taten -und als ob sie es genau

wüssten.

Mike rief sich in Gedanken zur Ordnung. Das sonderbare Verhalten der Haie war unheimlich genug, auch ohne dass er anfing, ihnen eine Intelligenz zuzuschreiben, die sie nicht besaßen. Er hörte Schritte und erkannte an ihrem Klang, dass es Serena war, die den Salon betreten hatte. Mike drehte sich nicht zu ihr herum, aber nach einigen Sekunden erkannte er das verzerrte Spiegelbild ihrer Gestalt in der Scheibe vor sich. Es vergingen zwei oder drei Minuten, in denen Serena einfach schweigend neben ihm stand und ins Meer hinausblickte. Dann sagte sie: »Was meinst du? Werden sie es schaffen?« Mike wusste es nicht. Trautmans Plan war so verrückt, dass er sich unter normalen Umständen einfach geweigert hätte, auch nur darüber nachzudenken. »Sie müssen es wohl«, sagte er leise. »Wir können ihn schließlich nicht ewig dort drüben lassen und darauf hoffen, dass die Haie von selbst verschwinden.« Sie sahen Trautman und dem Inder zu. Die Zeit verging nur schleppend langsam. Wie Trautman Mike auf dem Weg zurück zum Schiff gesagt hatte, kehrten die anderen der Reihe nach in die NAUTILUS zurück und gesellten sich zu ihnen. Niemand sprach. Ben, Chris und Juan nahmen neben Mike und Serena vor dem Fenster Aufstellung und beobachteten gebannt, wie Singh und Trautman ihre Arbeit beendeten. Sie kamen weitaus weniger gut voran, als sie alle gehofft hatten; die Arbeit in dieser Wassertiefe war ebenso schwierig wie gefährlich und die Haie behinderten die beiden Männer, obwohl sie sie nicht angriffen. Es musste wohl so sein, wie Argos behauptet hatte: Die Tiere waren nur hier, um

ihnzu holen. Erstaunlich fand Mike aber, dass sie dabei Rücksicht auf das Leben der anderen nahmen. Eigentlich war das nicht die typische Art, die man von Haien erwartete. Schließlich aber war auch diese Arbeit getan und auch Singh und Trautman kehrten in die NAUTILUS zurück. Es vergingen noch einmal quälende Minuten, bis sie sich ihrer Taucheranzüge entledigt und in den Salon des Schiffes heraufgekommen waren und Trautman trat sofort an das Steuerpult und startete die Motoren. Die anderen gingen zu ihren Plätzen oder suchten sich irgendeinen festen Halt, aber Mike und Serena blieben am Fenster stehen und blickten weiter auf das Schiff hinab. Ganz allmählich löste sich die NAUTILUS vom Meeresgrund. Für einen Moment konnten sie draußen nichts mehr sehen, denn die Bewegung ließ eine gewaltige Sandwolke hochwirbeln, die das Schiff zur Gänze einhüllte, aber Mike fühlte den leichten, mehrfachen Ruck, der durch die NAUTILUS ging, als sich die Kabel strafften. Vor lauter Erregung hielt er den Atem an, bis sie weit genug gestiegen waren, um aus der wirbelnden graubraunen Wolke herauszukommen. Er konnte das Wrack jetzt nicht mehr sehen, denn es hing sicher vertäut an den Kabeln unter dem Schiff, doch eines der Drahtseile führte so dicht am Fenster vorbei, dass er erkennen konnte, dass es straff gespannt war. Offensichtlich hatten die Haken gehalten, die er und die anderen am Rumpf des Schiffswracks angeschweißt hatten. Das war ihre größte Sorge gewesen. Nicht nur der Aufprall auf dem Meeresgrund, sondern viel mehr noch die unheimliche Veränderung, die mit dem Metall vor sich gegangen war, hatten dem Schiff den Großteil seiner Stabilität genommen. Weder Mike noch einer der anderen wäre erstaunt gewesen, wäre es einfach auseinander gebrochen. »Bis jetzt scheint alles zu funktionieren«, murmelte Trautman. Mike drehte sich zu ihm herum. »Wie lange brauchen wir bis zur Oberfläche?« Trautman überlegte einen Moment, sah auf die Armbanduhr und murmelte dann: »Eine Stunde. Vielleicht anderthalb.« »Und wie lange hält sein Sauerstoffvorrat?«, wollte Ben wissen. Mike sah aus den Augenwinkeln, dass Serena zusammenfuhr, und wünschte sich, Ben hätte diese Frage nicht gestellt. Trautman beantwortete sie: »Wenn er alle Flaschen bis zum letzten Atemzug ausnutzt, etwa zwei Stunden. Es wird knapp.« Knapp, dachte Mike, war gar kein Ausdruck. Sie hatten nichts gewonnen, wenn sie die Wasseroberfläche erreichten. Die Haie würden ihnen zweifellos auch dorthin folgen. Die NAUTILUS tauchte nicht gerade, sondern in schrägem Winkel auf, denn Trautman hatte auf einer ihrer Seekarten eine kleine -wie sie alle hofften unbewohnte - Insel entdeckt, die sie bei voller Fahrt in zehn oder fünfzehn Minuten erreichen konnten. Vielleicht fanden sie dort eine geschützte Bucht oder einen Strand, auf den sie das Wrack hinaufziehen konnten, um so vor den Haien in Sicherheit zu sein. Mike wollte eine weitere Frage stellen, doch in diesem Moment hob Ben erschrocken den Arm, deutete auf das Fenster und schrie: »Da! Was ist das?« Mike fuhr wieder zum Fenster herum - und riss ungläubig die Augen auf. Was er sah, konnte nicht sein: Ermusstesich täuschen. Aber wenn es eine Sinnestäuschung war, dann eine, der nicht nur er, sondern auch alle änderen erlagen. Denn nicht nur Ben, Juan und Chris, sondern auch Singh selbst Trautman starrten aus entsetzt aufgerissenen Augen ins Meer hinaus. Die Scheinwerfer der NAUTILUS waren immer noch eingeschaltet, so dass sie das gigantische Geschöpf, das sich dem Schiff näherte, in aller Deutlichkeit erkennen konnten. Es war ein Hai, aber er war ... »Aber das gibt es doch nicht«, flüsterte Ben. »Sagt mir, dass ich mir das nur einbilde! Das ... das Ding ist ... mindestens vierzig Meter lang!« »Ungefähr fünfunddreißig«, korrigierte ihn Trautman. Seine Stimme war ganz leise, ein fast entsetztes, ungläubiges Flüstern. »Ich habe davon gehört. Mikes Vater hat mir von diesen Geschöpfen erzählt, aber ich habe es nicht geglaubt. Ein Tiefseehai!« »Sind sie gefährlich?«, wollte Ben wissen. Trautman lachte hart. »Solange sie nicht angreifen, nicht«, erklärte er. »Aber ich begreife das nicht«, fuhr er nach einigen Sekunden kopfschüttelnd fort. »Sie kommen normalerweise niemals so weit nach oben. Sie leben in Wassertiefen von vier-, fünftausend Metern. Was sucht er hier?« Sie bekamen die Antwort auf diese Frage schneller und deutlicher, als ihnen allen lieb gewesen wäre. Der Hai glitt mit einer majestätisch anmutenden Bewegung, die durch seine enorme Größe sehr viel langsamer aussah, als sie war, an der NAUTILUS vorüber, änderte dann mit einem einzigen Schlag der Schwanzflosse seinen Kurs und schoss schräg nach unten ins Wasser. Nur eine Sekunde später erzitterte die NAUTILUS unter einem gewaltigen Aufprall und das Stahlseil vor dem Fenster spannte sich und begann zu vibrieren wie eine Gitarrensaite. Mit Ausnahme Trautmans schrien alle erschrocken auf und wichen einige Schritte vom Fenster zurück, obwohl dies rein gar nichts genutzt hätte, wäre das Glas geborsten. Die NAUTILUS schwankte so stark, dass Mike hastig die Arme ausstreckte, um sein Gleichgewicht zu halten, und Ben mit einem Schmerzensschrei auf die Knie herabfiel. Nur einen Augenblick später tauchte der Hai wieder im Scheinwerferlicht auf. Seine riesigen, fast kopfgroßen Augen schienen für einen