Die NAUTILUS zitterte immer noch so stark, dass es Mike kaum gelang, sich in die Höhe zu stemmen und wieder zur Tür zu taumeln. Als er durch das Fenster sah, erblickte er ein wahres Wunder: Der Anprall des Riesenhais hatte weder Trautman noch Argos das Leben gekostet, sondern es ihnen im Gegenteil vermutlich gerettet, denn die Erschütterung schien sie beide in die Schleuse hineingeschleudert zu haben. Argos lag am Boden und regte sich nicht mehr. Aus dem aufgerissenen Bein seines Taucheranzuges sprudelte ein dünner, aber beständiger Strom von Luftblasen in die Höhe, während sich Trautman auf Hände und Knie erhoben hatte und mit unsicheren Bewegungen nach dem Schalter tastete,der die Tür schloss. Auf der anderen Seite der Öffnung war eine sich bewegende Wand aus grauer, schimmernder Haut zu sehen und plötzlich starrte ein riesiges schwarzes Auge zu ihnen herein. Doch dann hatte Trautman endlich den Schalter erreicht, legte ihn um und die Türe begann sich zu schließen. Endlich war die Schleuse wieder mit Luft gefüllt und er konnte die Tür öffnen. Trautman taumelte ihm entgegen, fiel auf die Knie und riss sich den Helm vom Kopf. Er tat einen tiefen, keuchenden Atemzug. Seine Hände zitterten und sein Herz schlug so heftig, dass sie die Adern an seinem Hals pochen sehen konnten. Doch als sich Mike und Ben um ihn kümmern wollten, schüttelte er den Kopf und deutete hinter sich. »Argos«, sagte er atemlos. »Kümmert euch um ihn. Ich weiss nicht, ob er noch lebt.« Ben machte ein trotziges Gesicht, aber dann traf ihn ein strenger Blick Trautmans und er stand auf und trat neben Mike in die enge Schleusenkammer. Zu zweit ergriffen sie Argos unter den Achseln und zerrten ihn aus der Schleuse; eine Aufgabe, die fast ihre Kraft überstieg, denn der Atlanter trug gleich zwei der schweren Sauerstoffflaschen auf dem Rücken und ohne den hilfreichen Auftrieb des Wassers spürten sie deren Gewicht doppelt. Mühsam brachten sie ihn nach draußen, legten ihn auf den Rücken und Mike ließ sich neben ihm auf die Knie sinken und öffnete seinen Helm. Argos war bei Bewusstsein, schien aber benommen. Als Mike ihn ansprach, reagierte er nicht, sondern stöhnte nur leise. »Sein Bein sieht nicht gut aus«, sagte Ben. Mike vermied es, sich Argos' Bein anzusehen. Er konnte sich vorstellen, welchen Anblick es bot. Bei der Größe des Haies, der sich darin verbissen hatte, war es ein kleines Wunder, dass er Argos das Bein nicht glattweg abgebissen hatte. Wenigstens, dachte er, weiß ich jetzt, warum Trautman gerade gefragt hatte, ob Argos noch ihre Gedanken las ... »Er muss aus dem Anzug heraus«, sagte Trautman. Er selbst hatte sich bereits aufgerichtet und damit begonnen, sich aus dem schweren Kleidungsstück zu schälen. Mit Bens und Mikes Hilfe gelang es ihm binnen weniger Augenblicke, aus dem Taucheranzug herauszukommen, dann machten sie sich gemeinsam daran, auch Argos aus seiner Unterwasserausrüstung zu befreien. Der Atlanter begann laut zu stöhnen, als sie ihn aus dem Anzug zerrten. Die Wunden an seinem Bein waren weit weniger schlimm, als Mike befürchtet hatte, bluteten aber heftig und taten sicherlich höllisch weh, doch als Ben sich bücken wollte, schüttelte Trautman abermals den Kopf. »Dazu ist keine Zeit«, sagte er. »Wir bringen ihn in den
Salon. Rasch. Serena kann sich um ihn kümmern. Wir müssen hier weg, bevor dieses Vieh anfängt, die NAU-TILUS anzugreifen.« Er ergriff Argos an den Beinen und hob ihn hoch, während Mike und Ben sich jeweils einen Arm des Atlanters über die Schultern hängten. Argos stöhnte und wimmerte ununterbrochen, denn die Behandlung fügte ihm sicherlich gewaltige Schmerzen zu, aber da
rauf konnten sie keine Rücksicht nehmen.
So schnell es mit ihrer schweren Last möglich war, eilten sie die Treppe hinauf und zum Salon. Bevor sie ihn erreichten, kam ihnen Serena entgegen. Sie schrie erschrocken auf, als sie ihren Vater wie tot zwischen Mike und Ben erblickte und Mike hob rasch die freie Hand und sagte: »Keine Sorge. Er lebt.« Sie trugen Argos in den Salon, legten ihn behutsam auf den Boden und Trautman eilte wieder zum Steuerpult, während sich Ben und Mike voller banger Erwartung dem Fenster zuwandten. Ihre schlimmsten Befürchtungen schienen einzutreten. Der Tiefseehai war wieder da. Er schwamm in zehn oder fünfzehn Metern Entfernung neben der NAUTILUS, im selben Tempo wie sie und umgeben von Hunderten seiner kleineren Artgenossen, die neben dem grauen Koloss wie Heringe wirkten. Noch hatte er keinen Versuch gemacht, die NAU-TILUS anzugreifen, aber Mike glaubte regelrecht zu spüren, was in dem Giganten der Tiefsee vorging: Es war seine Aufgabe, den Atlanter zu holen; wohin und in wessen Auftrag auch immer. Und er würde nicht ruhen, bis er diese Aufgabe erfüllt hatte. »Macht euch keine Sorgen«, sagte Trautman vom Steuerpult aus, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Hier drinnen sind wir sicher. Nicht einmal dieser Bursche kann uns ...« Er brach mitten im Wort ab und seine Augen wurden groß, während er an Mike vorbei zum Fenster starrte und sein Gesicht -ohnehin schon sehr bleich -verlor noch mehr Farbe. Als Mike sich ebenfalls zum Fenster umwandte, schien ihm schier das Blut in den Adern zu gerinnen: Der Tiefseehai war immer noch da. Und er war nicht mehr allein. Im Licht der starken Scheinwerfer konnten sie einen zweiten, eine Sekunde später einen dritten und dann sogar einen vierten kolossalen Fisch erkennen, die sich alle der NAUTILUS langsam näherten. »Oh«, sagte Ben halblaut. »Jetzt wird es eng.«
»Großer Gott!«, murmelte Trautman. »Aber das ... das ist doch ... unmöglich!« Langsam näherte sich einer der Riesenhaie dem Schiff. Er schwamm genau auf das Fenster zu, bis er direkt zu ihnen hereinstarren konnte. In seinem Blick war etwas Hypnotisierendes, fast Lähmendes. Alle anderen waren erschrocken vom Fenster zurückgewichen, als der Riesenfisch näher kam, aber Mike konnte sich nicht rühren. »Wenn sie uns angreifen, ist es aus«, flüsterte Ben. »Das hält nicht einmal die NAUTILUS aus.« Damit hat er zweifellos Recht, dachte Mike. Aber es war seltsam - aus irgendeinem Grund hatte er überhaupt keine Angst. Es war, als ... alswüssteer, dass von diesen Riesenhaien keine Gefahr drohte. Wenn es so war, dann täuschte er sich. Der Hai verschwand und nur eine Sekunde später bebte die NAUTILUS unter einem fürchterlichen Anprall. Das Schiff dröhnte wie eine Glocke. Das Klirren vonzerbrechendem Glas mischte sich in das Ächzen und Mahlen von überanspruchtem Metall und die Schreie der Besatzungsmitglieder und alle im Salon wurden von den Füßen gerissen. Auf Trautmans Kontrollpult begann eine ganze Batterie roter Warnlampen zu flackern und Mike glaubte für einen Moment, schon wieder das furchtbare Geräusch von Wasser zu hören, das ins Schiff drang, war aber nicht sicher. Mühsam stemmte er sich auf Hände und Knie hoch und hob den Blick zum Fenster. Der Hai, der die NAUTILUS gerammt hatte, trieb benommen neben ihnen durch das Wasser. Er blutete aus einer großen Wunde am Kopf, aber das schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken, denn er setzte bereits wieder zu einem neuen Angriff an. »Nein!«, flüsterte Trautman. »Um Gottes willen! Noch einen Anprall halten wir nicht aus!« Mike reagierte ganz instinktiv. Er sprang auf die Füße,