sich etwas im Wasser. Im ersten Moment dachte Mike natürlich an einen Hai und machte erschrocken
zwei, drei Schritte zurück, bis er wieder ganz im Trockenen stand. Als er seinen Blick auf die Wasseroberfläche senkte, sah er keine der gefürchteten Dreiecksflossen, aber das Geräusch wiederholte sich. Diesmal deutli
cher: Es kam von links.
Mike fuhr herum und glaubte, gerade noch eine schattenhafte Bewegung zu sehen, die in der Nacht verschwand. Diesmal war er sicher, dass es keine Einbildung war. Er rannte los. Atemlos erreichte er die Feuerstelle, beugte sich über den schlafenden Trautman und rüttelte ihn wild an den Schultern. »Wachen Sie auf!«, rief er. »Schnell! Alle! Wacht auf!« Trautman öffnete verschlafen die Augen und versuchte seine Hand abzuschütteln, doch als er in Mikes entsetztes Gesicht sah, wurde er schlagartig wach. »Was ist los?«, keuchte er und setzte sich mit einem Ruck auf. Binnen weniger Augenblicke waren auch die anderen aus dem Schlaf hochgefahren und umringten ihn. »Was ist passiert? Was soll der Lärm?« »Jemand ist hier«, sagte Mike. Er deutete zum Meer. »Ich ... ich habe etwas gesehen!« »Die Insel ist völlig unbewohnt«, sagte Ben, doch Trautman brachte ihn mit einer raschen Geste zum Schweigen. »Entfacht das Feuer«, sagte er. »Singh - hast du eine Waffe mitgebracht?« Der Inder schüttelte bedauernd den Kopf, beugte sich aber dann nach einem armlangen Stück Brennholz und wog es prüfend in der Hand. Mike, der schon mehrmals gesehen hatte, was der Sikh-Krieger zur Not mit bloßen Händen imstande war, fühlte sich sofort sicherer. »Also gut«, sagte Trautman. »Ben, Juan, ihr bleibt mit Chris und Serena hier. Mike wird Singh und mir zeigen, wo er die Bewegung gesehen hat.« Als wären Trautmans Worte ein Signal gewesen, teilte sich plötzlich der Waldrand hinter ihnen und eine hochgewachsene Gestalt trat heraus. Fast im selben Augenblick wurde auch die Dunkelheit überall rings um sie herum lebendig. Zwei, drei, vier, schließlich fast ein Dutzend riesiger breitschultriger Gestalten tauchten aus der Nacht rings um sie herum auf und bildeten einen schweigenden, drohenden Kreis, der sich ganz allmählich enger zusammenzog. Im ersten Moment dachte Mike, sie hätten sich getäuscht und es wären doch Menschen auf der Insel, denn die Männer hatten durchaus die Statur der riesigen Eingeborenen, denen sie das letzte Mal bei einer ähnlichen Gelegenheit begegnet waren, dann aber kam eine der Gestalten nahe genug heran, dass er ihr Gesicht erkennen konnte. Und Mike war nicht der Einzige, der erschrocken aufschrie! Es war nicht das Gesicht eines Menschen. Es war das Gesicht aus seinem Traum. Das furchtbare Antlitz eines jener Wesen, denen er schon zweimal begegnet war: einmal in der Tauchkammer der NAUTILUS, das zweite Mal im Lagerraum des Schiffes, als sie alle um ihr Leben gekämpft hatten. Es war schwer zu beschreiben, doch wenn irgendwann einmal jemand versucht hätte, einen Menschen und einen Haifisch zu kreuzen, dann hätte das Ergebnis ungefähr so aussehen müssen. Der Mann - wenn es einMannwar - hatte keinen Hals. Sein Kopf wuchs unmittelbar aus den Schultern heraus und war viel zu breit, dafür flacher als der eines Menschen. Die Augen saßen zu weit an den Seiten und waren riesig und schwarz -Haifischaugen! Und er hatte keine Nase, dafür einen breiten, geschlitzten Mund, in dem ein fürchterliches Gebiss blitzte. Da, wo sein Hals sein sollte, gewahrte Mike ein Dutzend fingerlanger Kiemen, die sich unentwegt bewegten, und seine muskulösen Arme endeten in beinahe menschlich aussehenden Händen, die jedoch Schwimmhäute zwischen den Fingern und lange, gefährlich gebogene Krallen hatten. Und auch seine Haut war eher die rauhe Sandpapierhaut eines Haies, nicht die eines Menschen. »Um Gottes willen!«, flüsterte Trautman. Wie alle anderen war er erschrocken vor den Kreaturen zurückgewichen, aber nun standen sie Rücken an Rücken vor dem Feuer und es gab nichts mehr, wohin sie sich zurückziehen konnten. »Was sind das für Wesen?« Niemand antwortete, auch Mike nicht. Singh hob seinen Knüppel, als eines der Geschöpfe näher kam, aber Mike machte rasch eine warnende Bewegung. »Nicht«, sagte er erschrocken. Singh sah ihn irritiert an, und Trautman fragte: »Nicht? Was soll das heißen?« Mike antwortete nicht gleich. Der Anblick der unheimlichen Haimenschen erfüllte ihn mit Panik. Es fiel ihm schwer, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, aber er wusste, dass ihr aller Leben an einem seidenen Faden hing. Wenn einer von ihnen auch nur einen winzigen Fehler machte, dann ... »Sie werden uns nichts tun«, sagte er. »Woher willst du das wissen?«, fragte Ben. »Das hätten sie längst gekonnt, wenn sie das wollten«, antwortete Mike. »Erkennt ihr sie denn nicht? Einer von ihnen hat uns das Leben gerettet!« »Bist du verrückt?«, wollte Ben wissen. »Aber erinnere dich doch!«, sagte Mike fast flehend, ohne den unheimlichen Haifischmann vor sich aus den Augen zu lassen. »Als wir zur NAUTILUS geschwommen sind! Erinnert euch doch! Die Tür hat geklemmt und wir haben sie nicht aufbekommen. Wir wären alle ertrunken, wenn zwei von ihnen das Schott nicht geöffnet hätten!« Ben blickte ihn nur verwirrt an und auch auf den Gesichtern der anderen erschien ein Ausdruck von Verständnislosigkeit. Einzig Trautman sah mit einem Male sehr nachdenklich drein. »Aber was wollen sie von uns?«, fragte Juan. Mike zuckte nur mit den Schultern, doch das genügte nicht. Allein dadurch, dass er das Wort ergriffen hatte, hatte er die Initiative an sich gerissen und nun war es an ihm, auch weiterzumachen.
Mit zitternden Knien und mit so heftig klopfendem Herzen, dass er Mühe hatte, zu sprechen, trat er dem Haifischmann entgegen und streckte beide Arme aus; die Hände leer und nach oben gedreht, eine Geste, von der er hoffte, dass sie auch für Wesen aus der Welt fünftausend Meter unter dem Meeresspiegel verständlich war. »Kannst du mich verstehen?«, fragte er. Das unheimliche Wesen sah ihn nur an. Es war unmöglich, in seinen unergründlichen Augen irgendein Gefühl zu erkennen, und es reagierte auch nicht auf den Klang seiner Sprache. »Wer seid ihr?«, fuhr Mike mit bebender Stimme fort. »Was wollt ihr von uns? Wir können euch nicht helfen, wenn ihr uns nicht sagt, warum ihr gekommen seid.« »Ist das so schwer zu erraten?«, fragte Ben spöttisch. »Sie sind wegen Argos hier, wollen wir wetten?« Nun zeigte das Geschöpf zum ersten Mal eine Reaktion auf die menschliche Stimme. Sein Kopf drehte sich in einer sonderbar anmutenden Bewegung herum und für einen Moment richtete sich der Blick seiner unheimlichen, pupillenlos wirkenden Augen direkt auf Ben. Dann, als hätte es die Worte doch verstanden und versuche, auf diese Weise zu antworten, drehte es sich ganz herum und starrte in die Richtung, in der Argos am Strand saß. Als Mike ebenfalls dorthin blickte, glaubte er weitere Schatten zu erkennen, die bisher nicht dagewesen waren. Plötzlich schrie Serena erschrocken auf und wollte loslaufen. Singh riss sie im letzten Moment zurück, doch sie wäre ohnehin nicht weit gekommen, denn einer der Haifischmänner vertrat ihr mit einer raschen Bewegung den Weg. Serena erwies sich jedoch als kräftiger, als Singh angenommen haben mochte. Sie riss sich mit einem überraschend kraftvollen Ruck los und rannte in die Dunkelheit hinein. Und es gelang ihr sogar, den zupackenden Händen des Haifischmannes zu entwischen.