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Derselbe würdevolle junge Mann öffnete uns.

«Können Sie», erkundigte sich Poirot, «mir den Namen der Dame sagen, die gerade vorhin das Haus betrat?»

«Madame Veroneau, Madames Sekretärin?»

«Das ist die Dame. Würden Sie so freundlich sein, sie zu einer kurzen Unterredung zu bitten.»

Der junge Mann entfernte sich, erschien aber bald wieder. «Es tut mir Leid, Madame Veroneau muss bereits wieder fortgegangen sein.»

«Das glaube ich nicht», antwortete Poirot gelassen. «Wollen Sie ihr bitte meinen Namen ausrichten, Hercule Poirot, ich würde sie gern in einer wichtigen Angelegenheit sprechen, da ich mich gerade auf dem Wege zur Präfektur befinde.»

Der Bedienstete verschwand wiederum, und gleich darauf erschien die Dame. Sie betrat den Salon, und wir folgten ihr. Dann drehte sie sich um und lüftete ihren Schleier. Zu meinem nicht geringen Erstaunen erkannte ich in ihr unsere alte Bekannte, die Komtesse Rossakoff, die russische Gräfin, wieder, die seinerzeit in London einen einzigartigen dreisten Juwelenraub inszeniert hatte.

«Schon als ich Sie im Treppenhaus erblickte, fürchtete ich das Schlimmste», bekannte sie kläglich.

«Meine liebe Gräfin Rossakoff –»

Sie schüttelte den Kopf.

«Jetzt Inez Veroneau», murmelte sie, «eine Spanierin, mit einem Franzosen verheiratet. Was wünschen Sie von mir, Monsieur Poirot? Sie sind doch ein schrecklicher Mensch. Sie jagten mich ja bereits von London weg. Jetzt, nehme ich an, werden Sie alles unserer wundervollen Madame Olivier berichten und mich so aus Paris vertreiben. Wir armen Russinnen müssen doch auch leben, können Sie das nicht verstehen?»

«Es handelt sich um weitaus ernstere Angelegenheiten als Sie annehmen, Madame», sagte Poirot, sie scharf beobachtend. «Ich schlage vor, Sie begeben sich sofort zur Villa nebenan und befreien Mr Halliday, wenn er noch am Leben ist. Sie sehen, ich bin über alles unterrichtet.»

Ich sah, wie sie plötzlich erbleichte. Erst nagte sie an ihrer Oberlippe, dann sprach sie mit der bei ihr üblichen Entschlossenheit.

«Er ist noch am Leben, aber er befindet sich nicht in der Villa nebenan. Hören Sie, Monsieur Poirot, ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Sie belassen mich in Freiheit – und Sie bekommen dafür Mr Halliday lebend und wohlauf.»

«Angenommen», sagte Poirot. «Ich war bereits im Begriff, Ihnen denselben Vorschlag zu machen. Doch erlauben Sie mir noch eine Frage: Sind Ihre Auftraggeber die Großen Vier, Madame?»

Wiederum bemerkte ich das tödliche Erbleichen, das über ihre Züge ging, doch ließ sie diese Frage unbeantwortet. Stattdessen sagte sie: «Sie gestatten wohl, dass ich telefoniere?»

Sie ging zum Telefon hinüber und wählte eine Nummer. «Ich rufe jetzt dort an, wo Ihr Freund sich augenblicklich befindet», sagte sie erklärend. «Sie können die Nummer durch die Polizei ermitteln lassen, jedoch wird das Nest bereits leer sein, wenn man dort ankommt. Ah, da haben wir schon die Verbindung. Bist du es, André? Ich bin es, Inez. Der kleine Belgier ist über alles unterrichtet. Schicke Halliday in sein Hotel, und mach dich aus dem Staube.» Sie legte den Hörer wieder auf die Gabel und kam lächelnd auf uns zu.

«Sie werden uns zum Hotel begleiten, Madame.»

«Natürlich, ich habe auch nichts anderes erwartet.»

Wir bestiegen ein Taxi und fuhren gemeinsam dorthin. In Poirots Gesicht ließ sich ein Anflug von Verwirrung erkennen, denn die Angelegenheit hatte sich beinahe zu schnell entwickelt. Wir gelangten zum Hotel, wo uns der Portier empfing.

«Ein Herr ist soeben eingetroffen, er befindet sich auf Ihrem Zimmer und scheint sich sehr krank zu fühlen. Eine Krankenschwester, die ihn hierher begleitete, hat jedoch bereits wieder das Hotel verlassen.»

«Das ist vollkommen in Ordnung», sagte Poirot, «er ist ein Freund von mir.»

Zusammen begaben wir uns auf das Zimmer. Auf einem Stuhl in der Nähe des Fensters saß ein hagerer jüngerer Herr, der augenscheinlich zu Tode erschöpft war. Poirot ging auf ihn zu.

«Sind Sie John Halliday?»

Der Herr nickte.

«Zeigen Sie mir bitte Ihren linken Arm. John Halliday trägt ein Muttermal direkt unter dem linken Ellenbogen.»

Der Herr entblößte seinen Arm, wodurch das Mal sichtbar wurde. Poirot nickte der Gräfin zu, die sich alsdann abwandte und den Raum verließ.

Ein Glas Brandy half Halliday wieder etwas auf die Beine.

«Mein Gott!», stieß er hervor. «Ich habe Höllenqualen ausgestanden, wahre Höllenqualen! Jene Leute sind Teufel in Menschengestalt. Meine Frau – wo befindet sich meine Frau? Was muss sie nur von mir denken. Man sagte mir, sie würde der Meinung sein – würde annehmen…»

«Das ist durchaus nicht der Fall», beruhigte ihn Poirot. «Das Vertrauen, das sie in Sie setzt, ist unerschütterlich. Sie werden erwartet – von ihr und Ihrem Kind.»

«Gott sei Dank. Ich kann es kaum fassen, dass ich wieder ein freier Mann bin.»

«Jetzt, da Sie sich wieder etwas erholt haben, Monsieur, möchte ich Sie bitten, mir die ganze Geschichte von Anfang an zu erzählen.»

Halliday sah ihn verstört an. «Ich erinnere mich an gar nichts.»

«Wie soll ich das verstehen?»

«Haben Sie jemals von den Großen Vier gehört?»

«Das kann man wohl sagen», bemerkte Poirot trocken.

«Sie wissen jedoch nicht die Hälfte von dem, was ich erfahren habe. Diese Leute verfügen über eine unbegrenzte Macht. Sofern ich schweige, werde ich mich in Sicherheit befinden; wenn ich jedoch nur ein Wort verlauten lasse, so wird man nicht nur mich, sondern auch alle, die mir lieb und wert sind, in unvorstellbarer Weise quälen. Sie sollten mich nicht ausfragen, denn ich weiß nichts und kann mich an nichts erinnern.» Er erhob sich und verließ mit unsicheren Schritten das Zimmer. Poirots Gesicht verriet äußerste Bestürzung.

«Also ist es das?», murmelte er. «Die Großen Vier haben also wiederum über uns triumphiert. Was hältst du denn da in der Hand, Hastings?»

Ich übergab ihm einen Zettel und erklärte, dass die Gräfin etwas in Eile geschrieben hätte, bevor sie uns verließ. Er lautete: «Au revoir – IV.»

«Unterzeichnet mit ihren Initialen I. V. Ist es vielleicht nur ein Zufall, dass man auch eine römische Vier daraus lesen kann? Ich möchte zu gern Näheres darüber wissen, mein lieber Hastings.» 

7

 In der ersten Nacht nach seiner Befreiung hörte ich Halliday unablässig laut stöhnen und protestieren. Ohne Zweifel hatten seine Erlebnisse in der Villa zu einem Nervenzusammenbruch geführt. Auch am nächsten Morgen erwiesen sich unsere Bemühungen, etwas Konkretes von ihm in Erfahrung zu bringen, als vergeblich. Er wiederholte nur immer wieder seine Erklärungen über die unheimliche Macht der Vier und die Bedrohung, Repressalien ausgesetzt zu sein, sofern er auch nur ein Wort verlauten lassen würde.

Nach dem Lunch reiste er nach England zu seiner Familie, während Poirot und ich in Paris zurückblieben. Ich setzte mich dafür ein, energische Maßnahmen in irgendeiner Form zu ergreifen, denn Poirots Unternehmungslosigkeit enttäuschte mich tief.

«Um Himmels willen, Poirot», drängte ich, «wir wollen uns endlich aufraffen und uns an ihre Fersen heften.»

«Ich muss mich immer wieder über dich wundern, Hastings. Wen sollen wir denn verfolgen? Drücke dich doch bitte etwas klarer aus.»

«Die Großen Vier, natürlich.»

«Cela va sans dire. Was willst du denn unternehmen?»

«Wir könnten uns an die Polizei wenden», schlug ich zögernd vor.

Poirot lächelte.

«Die würden uns für Fantasten halten. Wir können nichts beweisen, absolut gar nichts, und müssen abwarten.»

«Abwarten, zu welchem Zweck?»

«Abwarten, bis sie irgendetwas unternehmen. Wenn wir uns still verhalten, so müssen die anderen etwas unternehmen. Indem wir nun den anderen die Initiative überlassen, erfahren wir auf diese Weise etwas mehr über sie. Es bleibt unsere Stärke, die andere Seite zum Handeln zu zwingen.»