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«Bist du tatsächlich dieser Meinung, Hastings?» Poirot sah mich dabei etwas schuldbewusst an. «Was hättest du denn an meiner Stelle gefragt?»

Ich erwog diese Frage zuerst sorgfältig und machte alsdann meine Ausführungen. Er hörte mir mit scheinbar großem Interesse zu. Während ich meinen Monolog fortsetzte, waren wir beinahe daheim angelangt.

«Ganz ausgezeichnet und sehr treffend, Hastings», sagte er, als er den Schlüssel in das Schloss steckte und mich die Treppe vorangehen ließ. «Die Fragen wären jedoch ganz unnötig.»

«Ganz unnötig», rief ich erstaunt, «wenn ein Mensch vergiftet wurde.»

«Aha», bemerkte Poirot, auf eine Nachricht deutend, die auf dem Tisch lag. «Von Japp, gerade wie ich es mir gedacht hatte.» Er reichte sie mir herüber; sie war kurz und sachlich. Keine Spuren von Gift waren festgestellt und nichts in Bezug auf die Ursache ermittelt worden, die zum Tod Gilmour Wilsons geführt hatte.

«Jetzt siehst du», bemerkte Poirot, «wie unnötig alle Fragen gewesen wären.»

«Hattest du das schon von Anfang an vermutet?»

«Was kann man schon über den Verlauf eines Spieles sagen, wenn man gerade erst die Karten mischt», erwiderte Poirot, auf eine schwierige Bridgepartie anspielend, die uns kürzlich beschäftigte und die sich sehr in die Länge gezogen hatte. «Mon ami, wenn man systematisch vorgeht, kann man nicht von Vermutungen sprechen.»

«Lassen wir die Haarspaltereien», warf ich ungeduldig dazwischen. «Hast du schon einen Verdacht?»

«Jawohl.»

«Und worauf gründet er sich?»

Poirot steckte seine Hand in die Tasche und zog – einen weißen Läufer hervor.

«Was», rief ich, «hast du vergessen, diesen Dr. Savaronoff zurückzugeben?»

«Du bist im Irrtum, mein Freund. Jener Läufer befindet sich noch in meiner linken Rocktasche. Ich nahm einen gleichen aus der Schachtel mit den Schachfiguren, die mir Mademoiselle Daviloff freundlicherweise zur Untersuchung überließ. Der Plural von einem Läufer sind – zwei Läufer.» Er sprach dies mit eigenartiger Betonung, mir war alles vollkommen unverständlich.

«Aber, warum hast du das getan?»

«Parbleu, ich wollte mich davon überzeugen, ob beide völlig gleich sind.»

Er stellte die Figuren nebeneinander auf den Tisch.

«Nun, sie sind natürlich ganz gleich», sagte ich. Poirot betrachtete sie, den Kopf zur Seite neigend.

«Ich gebe zu, es sieht so aus. Aber man sollte nichts als vollendete Tatsache hinstellen, bevor es nicht erwiesen ist. Gib mir doch bitte mal meine kleine Briefwaage.»

Mit peinlicher Sorgfalt wog er die beiden Schachfiguren und wandte sich mir mit einem Gesicht voller Triumph zu.

«Ich hatte Recht, siehst du, wie meistens. Es ist nicht so leicht, Hercule Poirot zu täuschen.»

Er ging eilig zum Telefon, wählte eine Nummer und wartete ungeduldig auf den Anschluss.

«Ist dort Japp? Ah, Japp, sind Sie selbst am Apparat? Hier spricht Hercule Poirot. Überwachen Sie unverzüglich den Diener Iwan, lassen Sie ihn keinesfalls entwischen – ja, selbstverständlich, ich habe meine Gründe dafür!»

Er warf den Hörer wieder zurück auf die Gabel und wandte sich mir zu.

«Kommst du noch nicht dahinter, Hastings? So will ich es dir erklären. Wilson wurde nicht vergiftet, sondern durch einen elektrischen Schlag getötet. Ein dünner Metallfaden führt genau durch die Mitte der Figur bis zum Kopf. Der Tisch hatte eine sinnreiche Einrichtung und wurde auf einen bestimmten Punkt am Fußboden gesetzt. Als nun der Läufer auf eines der mit Silber belegten Karos gesetzt wurde, ging der starke elektrische Strom durch Wilsons Körper und tötete ihn auf der Stelle. Nur ein kleines Brandmal zeigte sich an seiner Hand, und zwar der linken, da er Linkshänder war. Der Spezialtisch enthielt einen äußerst geschickt arbeitenden Mechanismus. Der Tisch jedoch, den ich untersuchte, war ein völlig normales Duplikat davon und wurde unmittelbar nach dem Mord ausgewechselt. Die elektrische Betätigung erfolgte von der darunter liegenden Wohnung aus, die, wie du dich erinnern wirst, möbliert vermietet worden ist. Jedoch zumindest ein Komplize hielt sich unterdessen in Savaronoffs Räumen auf. Das Mädchen ist eine Agentin der Großen Vier und daran interessiert, Savaronoff zu beerben.»

«Und was hat Iwan damit zu tun?»

«Ich habe einen begründeten Verdacht, dass Iwan kein anderer ist als – die berüchtigte Nummer vier.»

«Nicht möglich.»

«Doch. Der Mann ist ein außergewöhnlicher Charakterdarsteller. Er kann sich in jede beliebige Rolle hineinfinden.»

Ich rief mir sämtliche in dieser Verbindung zurückliegenden Ereignisse ins Gedächtnis zurück: den Aufseher der Heilanstalt, den Fleischergesellen, den Diener James, den vermeintlichen Arzt-, alle diese Typen von dem gleichen Manne dargestellt, und trotzdem alle verschieden.

«Es ist erstaunlich», meinte ich abschließend, «wie alles seine Erklärung findet. Savaronoff hatte sicher eine Ahnung von dem Komplott, und das war auch der Grund, warum er sich so sehr vor einem Turnier sträubte.»

Poirot sah mich ohne ein Wort zu sprechen an, dann wandte er sich unvermutet ab und begann, auf und ab zu gehen.

«Bist du vielleicht im Besitz eines einschlägigen Buches über Schachspiel, mon ami?», fragte er sodann.

«Ich glaube, ich muss irgendwo so etwas Ähnliches haben.» Es dauerte zwar einige Zeit, es herauszusuchen, aber schließlich fand ich es und brachte es Poirot, der sich damit in einen Sessel versenkte und mit großer Aufmerksamkeit zu lesen begann.

Nach ungefähr einer Viertelstunde läutete das Telefon. Ich nahm den Hörer ab; es war Japp, der anrief. Iwan hatte die Wohnung verlassen, war in ein wartendes Taxi gesprungen, und eine Jagd hatte begonnen.

Offensichtlich sei er bestrebt gewesen, seine Verfolger abzuschütteln. Im Glauben, dass ihm dies gelungen sei, war er dann zu einem großen, leer stehenden Haus in Hampstead gefahren. Das Haus sei sofort umstellt worden.

Ich berichtete Poirot all dies, doch er schenkte meinen Ausführungen kaum Beachtung.

«Hör einmal zu, mein Freund. Dies sind die Ruy-Lopez-Anfangszüge: 1 P – K 4, PK – 4, 2 KT – KB 3, KT – Q B 3, 3 B – KT 5 – sodann wird hier die Frage erörtert, welches der beste dritte Zug für Schwarz sei, man hat die Wahl über verschiedene Gegenzüge. Es war der dritte Zug von Weiß, der Gilmour Wilson tötete, 3 B – KT 5, einzig und allein der dritte Zug – sagt dir das nichts?»

Ich hatte natürlich nicht die geringste Ahnung, was gemeint war, und so brachte ich es denn auch zum Ausdruck.

«Angenommen, Hastings, während du hier im Stuhl sitzt, hörst du, dass die Haustür geöffnet und geschlossen wird, was würdest du daraus entnehmen?»

«Ich würde annehmen, dass jemand vermutlich das Haus verlassen hat.»

«Gut, aber es gibt doch zwei Möglichkeiten: Entweder verließ jemand das Haus – oder jemand hat es betreten – zwei vollkommen verschiedene Möglichkeiten, Hastings. Doch falls du das Falsche annimmst, würde dir bald offenbar werden, dass du dich getäuscht hast.»

«Was soll das alles bedeuten, Poirot?»

Er sprang mit einem plötzlichen Satz auf die Füße.

«Es bedeutet, dass ich ein ganz ausgemachter Idiot gewesen bin. Schnell, schnell, nach dem Haus in Westminster. Vielleicht kommen wir noch zur Zeit.»

Wir stürmten in einem Taxi davon. Poirot gab auf meine wiederholten Fragen keine Antwort. Dort angekommen, rasten wir die Treppe hinauf. Unser wiederholtes Klopfen und Läuten blieb unbeantwortet, aber bei näherem Lauschen konnten wir deutlich ein schwaches Stöhnen innerhalb der Wohnung vernehmen. Auf Befragen stellte sich heraus, dass der Hausmeister einen Hauptschlüssel hatte, jedoch erst nach einigen dringlichen Aufforderungen entschloss er sich zu öffnen.

Poirot eilte geradewegs durch die Diele in das Empfangszimmer. Von dort wehte uns eine Wolke von Chloroform entgegen. Auf dem Boden lag Sonja Daviloff, an Händen und Füßen gebunden, über Nase und Mund befand sich ein großer durchtränkter Wattebausch. Poirot entfernte ihn und begann sie wieder zum Bewusstsein zu bringen. Nach kurzer Zeit erschien ein mittlerweile herbeigerufener Arzt. Poirot übergab sie seiner Obhut und zog mich beiseite. Von Dr. Savaronoff war kein Lebenszeichen zu entdecken.