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Nun, mein Verdacht ist bereits gewissen Kreisen bekannt und zwar den allerhöchsten, Lord Aldington, der meine Hilfe seinerzeit in der Angelegenheit der gestohlenen U-Boot-Pläne in Anspruch genommen hatte, ist vollkommen über meine Feststellungen bezüglich der Großen Vier im Bilde – und während andere noch zweifeln, schenkt wenigstens er mir vollen Glauben. Ryland, Madame Olivier und Li Chang Yen mögen ihre Pläne weiterschmieden, aber nun werden sie dabei beobachtet.»

«Und Nummer vier?», fragte ich.

«Wie ich bereits betonte, beginne ich seine Methoden genau zu erkennen und auch zu verstehen. Du magst dich über mich lustig machen, Hastings, aber eines Menschen Persönlichkeit zu durchdringen und genau zu wissen, was er unter gegebenen Umständen unternehmen wird, das ist der Anfang des Erfolges. Wir befinden uns im Duell miteinander, und während er sich mir gegenüber Blößen gibt, bin ich bemüht, ihm so wenig wie möglich Einblick in meine Mentalität zu gewähren. Er befindet sich stets im Lichtkegel, während ich im Schatten verbleibe. Ich sage dir, Hastings, meine Zurückhaltung gibt unsern Gegnern von Tag zu Tag neue Rätsel auf.»

«Sicher ist jedenfalls, dass sie uns seit langem unbehelligt gelassen haben», bemerkte ich. «Sie haben keinen weiteren Versuch unternommen, uns um die Ecke zu bringen, noch haben sie uns einen Hinterhalt gelegt.»

«Das ist wahr», bestätigte Poirot gedankenvoll. «Offen gestanden, befremdet mich diese Tatsache etwas. Besonders, da offensichtlich Möglichkeiten vorhanden sind, uns aus dem Weg zu schaffen. Ich kann mit Sicherheit annehmen, dass sie sich mit derartigen Plänen auch beschäftigen. Bist du nicht auch der Meinung?»

«Vielleicht beehren sie uns demnächst mit einer kleinen Höllenmaschine?»

Poirot schnalzte mit der Zunge, ein Zeichen, dass er ungeduldig wurde.

«Jetzt übertreibst du wieder. Während ich an deine Kombinationsgabe appelliere, kannst du mir mit nichts anderem aufwarten als mit Bomben im Kamin! Ach, ich muss mir etwas Bewegung verschaffen und will trotz des schlechten Wetters etwas spazieren gehen. Pardon, mein Freund, aber kann es denn wirklich möglich sein, dass du fünf verschiedene Bücher zu ein und derselben Zeit liest?»

Ich lachte und musste zugeben, dass mich im Moment nur eines davon interessierte. Poirot schüttelte resigniert den Kopf. «Dann tu doch bitte die übrigen Bände zurück in den Bücherschrank! Nie und nimmer kannst du dich an Ordnung gewöhnen. Mon Dieu, wozu hat man denn eigentlich einen Bücherschrank?»

Ich murmelte eine Entschuldigung, und nachdem er einen jeden der vier Bände an seinen ganz bestimmten Platz gestellt hatte, verließ Poirot die Wohnung und überließ mich der weiteren Lektüre meines Buches. Ich musste beim Lesen halb eingeschlafen sein, als Mrs Pearsons Klopfen an der Tür mich auffahren ließ. «Ein Telegramm für Sie, Hauptmann Hastings.»

Ich riss den gelben Umschlag ohne allzu großen Eifer auf. Dann saß ich wie zu Stein erstarrt in meinem Sessel.

Es war ein Telegramm von Bronsen, dem Manager meiner Farm in Südamerika, und hatte folgenden Inhalt:

«Mrs Hastings gestern verschwunden – Verdacht der Entführung durch Bande, genannt die Großen Vier – drahtet Instruktionen – habe Polizei benachrichtigt – bisher noch keine Spur – Bronsen.»

Ich winkte Mrs Pearson, mich allein zu lassen, und saß da wie vom Donner gerührt, wieder und immer wieder las ich jedes einzelne Wort durch.

Meine Cinderella – entführt! In den Händen der Großen Vier! Großer Gott, was konnte man nur tun? Poirot! Wenn er doch hier wäre, er würde mir mit seinem Rat zur Seite stehen und wäre allein in der Lage, diesen Schurken die Stirn zu bieten. Er würde doch bald wieder zurück sein, und ich musste bis dahin geduldig warten. Aber, Cinderella – in den Händen der Großen Vier! Erneutes Klopfen. Mrs Pearson steckte abermals ihren Kopf zur Tür herein.

«Ein Zettel für Sie, Mr Hastings – wurde von einem Chinesen gebracht, er wartet unten im Hausgang.»

Ich riss ihr das Papier aus der Hand, es war kurz und bündig gehalten:

‹Wenn Sie Ihre Frau Wiedersehen wollen, begleiten Sie den Überbringer dieser Zeilen unverzüglich. Hinterlassen Sie Ihrem Freund keinen Hinweis, andernfalls wird ihr Leben in Gefahr sein.›

Die Nachricht war unterzeichnet mit einer großen Vier. Was sollte ich nur tun? Was würden Sie, lieber Leser, in meinem Falle getan haben? Ich hatte keine Zeit zum Überlegen und sah immer nur das eine: Cinderella in der Macht jener Teufel. Ich musste gehorchen und durfte nicht riskieren, dass ihr auch nur ein Haar gekrümmt wurde. So blieb mir denn nichts anderes übrig, als mich jenem Chinesen anzuvertrauen und ihm zu folgen, wohin auch immer er mich bringen würde.

Ich wusste, es war eine Falle und bedeutete mit Sicherheit Gefangenschaft, wenn nicht noch Schlimmeres; ich durfte aber nicht zögern, denn das wäre das Verderben des Menschen gewesen, der mir am liebsten war auf der Welt. Was mich am meisten verdross, war, dass ich Poirot kein Zeichen hinterlassen durfte. Wenn er erst einmal meine Spur wieder gefunden hätte, dann konnte sich alles noch zum Guten wenden. Durfte ich es riskieren? Anscheinend wurde ich nicht beobachtet, und doch zögerte ich. Es musste für den Chinesen durchaus nicht schwierig sein, heraufzukommen und sich davon zu überzeugen, dass ich den Instruktionen in allen Punkten Folge leistete. Warum tat er dies nicht? Seine offensichtliche Zurückhaltung machte die Sache noch verdächtiger. Ich hatte so viel erfahren von der Allmacht der Großen Vier, dass ich ihnen beinahe übernatürliche Kräfte zuschrieb. Nach allem, was ich bereits wusste, konnte sogar unser kleines, harmlos erscheinendes Dienstmädchen einer ihrer Agenten sein.

Nein, ich durfte es nicht riskieren. Aber eines konnte ich doch tun – nämlich das Telegramm zurücklassen. Mein Freund würde daraus ersehen, dass Cinderella verschwunden und wer dafür verantwortlich war. All dies ging mir blitzartig durch den Kopf, ich drückte mir den Hut auf den Kopf und stürmte die Treppen in weniger als einer Minute hinab.

Der Überbringer der Nachricht war ein hagerer Chinese, zwar sauber, jedoch schäbig gekleidet. Er verbeugte sich und sprach mich an. Er sprach recht gut Englisch, jedoch in einem singenden Tonfall.

«Sie Hauptmann Hastings?»

«Ja», sagte ich.

«Sie geben mir bitte Zettel.»

Dies hatte ich bereits vorausgesehen, wortlos übergab ich ihm das Stück Papier. Aber das war noch nicht alles.

«Sie haben Telegramm heute, ja? Gerade heute angekommen? Von Südamerika, ja?»

Ich erkannte aufs Neue ihr ausgezeichnetes Spionagesystem – Bronsen war in einem Falle wie diesem verpflichtet, mir unverzüglich zu kabeln. Sie hatten abgewartet, bis das Telegramm abgeliefert war, und hatten dann sofort gehandelt. So hatte es keinen Zweck, abzuleugnen, was offensichtlich Tatsache war.

«Ja», sagte ich, «ich habe ein Telegramm erhalten.»

«Sie holen es, ja? Holen es jetzt.»

Ich knirschte mit den Zähnen, was blieb mir anderes übrig? Ich rannte wieder hinauf und überlegte dabei, ob ich Mrs Pearson ins Vertrauen ziehen sollte, auf jeden Fall insoweit, als es Cinderellas Verschwinden betraf. Sie stand auf dem Treppenabsatz, aber dicht hinter ihr lauerte unser Dienstmädchen, und so zögerte ich. Vielleicht war sie auch ein Spitzel – die drohenden Worte der Nachricht tanzten vor meinen Augen:«… ihr Leben wird in Gefahr sein.»

Ich betrat das Wohnzimmer, ohne ein Wort zu sagen, nahm das Telegramm und war bereits wieder im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als mir eine Idee kam. Konnte ich nicht irgendein Zeichen hinterlassen, welches meinen Gegnern nicht auffallen und doch meinem Freund einen Hinweis geben würde? Ich stürzte zum Bücherschrank hinüber und riss wahllos vier Bücher heraus, die ich auf dem Boden verteilte. Poirot würde sie sicher sofort bemerken, denn das Durcheinander auf dem Fußboden musste seinen Ordnungssinn beleidigen – außerdem würde er, nach den Titeln der Bände zu urteilen, diese Lektüre zumindest als ungewöhnlich empfinden. Alsdann warf ich eine Schaufel voll Kohlen auf das Feuer und steckte vier Kohlenstücke in das Gitter. So hatte ich denn alles getan, was ich konnte – der Himmel stehe mir bei, dachte ich, dass Poirot meine Zeichen verstehen werde. Dann lief ich eilends wieder hinunter. Der Chinese nahm das Telegramm entgegen, las es, steckte es alsdann in seine Tasche und gab mir durch ein Kopfnicken zu verstehen, dass ich ihm folgen solle. Es war ein langer und beschwerlicher Weg, den er mich führte. Einmal bestiegen wir einen Bus, und dann wieder benutzten wir für eine ganz beträchtliche Strecke die Straßenbahn, jedoch ständig führte uns unser Weg ostwärts. Wir gingen durch mir gänzlich fremde Gegenden, von deren Existenz ich mir nie hätte träumen lassen. Wir mussten uns schließlich ganz in der Nähe der Hafenanlagen befinden, und ich erkannte, dass ich ins Zentrum des Chinesenviertels geführt wurde.