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«Ich habe es nun einmal geschworen bei meinen verehrten Vorfahren. Haben Sie deshalb keine Bedenken, und ruhen Sie sich einstweilen hier etwas aus, meine Diener werden sich während meiner Abwesenheit um Sie kümmern.»

Ich wurde in dieser unterirdischen luxuriösen Umgebung mir selbst überlassen. Einer der Diener war wieder erschienen. Man brachte mir Speisen und Getränke und nötigte mich, zuzulangen, doch lehnte ich ab. Ich war traurig und niedergeschlagen bis zum tiefsten Grunde meines Herzens.

Nach kurzer Zeit kehrte unvermutet mein Peiniger zurück, groß und stattlich in seinen weißen Gewändern, und gab Anweisungen. Auf seinen Befehl wurde ich durch den Keller und den Tunnel in das Haus zurückgeleitet, das ich zuerst betreten hatte. Dort führte man mich zu einem ebenerdigen Zimmer. Die Fenster waren mit Sonnenblenden von außen geschlossen, jedoch konnte man durch die Schlitze auf die Straße sehen. Ein alter, zerlumpter Mann humpelte an der gegenüberliegenden Straßenseite entlang, und als ich sah, dass er ein Zeichen zu unseren Fenstern hin machte, wusste ich, dass er einer der auf Wache befindlichen Helfershelfer war.

«Alles in bester Ordnung», sagte der vornehme Chinese. «Hercule Poirot ist in die Falle gegangen. Er nähert sich bereits dem Hause, und zwar allein, abgesehen von dem Jungen, der ihn hierher führt. Nun, Hauptmann Hastings, haben Sie noch eine weitere Rolle zu spielen. Wenn Sie sich nicht zeigen, wird er das Haus nicht betreten. Wenn er sich also gegenüber dem Hause befindet, müssen Sie sich unter der Tür zeigen und ihn hereinwinken.»

«Auch das noch!», rief ich empört.

«Sie spielen Ihre Rolle ganz allein; denken Sie daran, was auf dem Spiele steht, wenn es schief geht. Sofern Hercule Poirot Verdacht schöpft und das Haus nicht betritt, stirbt Ihre Frau eines langsamen, qualvollen Todes. Ah, da ist er ja.»

Mit klopfendem Herzen und einem schrecklichen Gefühl der Übelkeit sah ich durch den Schlitz der Holzblenden. In der Person auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkannte ich meinen Freund sofort, obgleich er den Kragen hochgeschlagen hatte und ein großer gelber Schal den unteren Teil seines Gesichtes verbarg. Aber es konnte kein Zweifel bestehen, dass er es war, mit seinem unverkennbaren Gang und dem eiförmigen Kopf. Es war Poirot, der mir in gutem Glauben zu Hilfe kam und nichts Schlechtes ahnte. An seiner Seite ging ein typischer Londoner Gassenjunge, mit schmutzigem Gesicht und zerlumpter Kleidung. Poirot hielt inne und sah zum Haus herüber, während der Junge eifrig auf ihn einredete und auf das Haus hinwies. Für mich war die Zeit zum Handeln gekommen, und ich begab mich in den Hausgang. Auf ein Zeichen des großen Chinesen entriegelte einer der Diener die Tür.

«Denken Sie an die Folgen, wenn es fehlschlägt», sagte mein Peiniger mit leiser Stimme.

Alsbald befand ich mich auf den Stufen vor dem Haus und winkte zu Poirot hinüber. Er kam eilends auf mich zu.

«Aha, so ist also alles in Ordnung bei dir, mein Freund, ich begann mich schon um dich zu sorgen. Offensichtlich hast du dir schon Zutritt verschafft; ist das Haus denn leer?»

«Ja», sagte ich mit einer Stimme, die so natürlich wie möglich klingen sollte. «Es muss irgendwo ein geheimer Ausgang vorhanden sein; komm herein und lass uns danach suchen.» Ich trat auf die Schwelle, während Poirot sich in völliger Unbefangenheit anschickte, mir zu folgen.

Und dann begann etwas in meinem Kopf blitzartig umzuschalten. Ich sah nur zu deutlich, welch falsches Spiel ich trieb, die Rolle eines Judas.

«Zurück, Poirot!», schrie ich. «Zurück, wenn dir dein Leben lieb ist, du bist in einer Falle, kümmere dich nicht um mich, nur schnell fort!»

Während ich noch sprach, vielmehr meine Warnung hinausschrie, griffen bereits Hände wie Schraubstöcke nach mir. Einer der chinesischen Diener sprang an mir vorbei, um sich auf Poirot zu stürzen.

Ich sah ihn noch zurückspringen, seinen Arm erheben – dann eine dichte Rauchwolke, die mich fast erstickte, nahezu tötete. Ich fühlte, dass ich umsank und nicht mehr atmen konnte – so also sah das Ende aus…

Langsam und unter starken Schmerzen kam ich wieder zu mir, alle meine Sinne waren umnebelt. Das Erste, was ich erblickte, war Poirots Gesicht. Er saß mir gegenüber und beobachtete mich mit ängstlicher Miene. Als er sah, dass ich die Augen aufschlug, stieß er einen Freudenschrei aus.

«Ah, du kommst wieder zu dir. Nun wird alles gut. Mein Freund, mein armer Freund!»

«Wo befinde ich mich?», fragte ich gequält.

«Wo? Natürlich bei uns daheim.»

Ich sah mich um: tatsächlich befand ich mich in der altvertrauten Umgebung. Hinter dem Kamingitter befanden sich noch die vier Kohlenstücke, die ich dort sorgfältig platziert hatte. Poirot war meinen Blicken gefolgt.

«Das war einmal eine feine Idee von dir, dies, und dann noch der Hinweis mit den Büchern. Wenn einmal jemand zu mir kommen und behaupten sollte, mein Freund Hastings wäre nicht mit allzu großem Verstand gesegnet, so werde ich ihm antworten: ‹Da haben Sie gar keine Ahnung!› Es war ein ausgezeichneter und treffender Einfall, den du gehabt hast.»

«Also hast du sofort den Sinn begriffen?»

«Bin ich denn ein Trottel? Natürlich begriff ich sofort, im Nu erfasste ich die Warnung und hatte noch Zeit, einige Vorkehrungen zu treffen. Auf irgendeine Weise hatten die Großen Vier es fertig gebracht, dich aus der Wohnung zu locken. Zu welchem Zweck? Sicherlich nicht deiner schönen Augen wegen, gleichfalls nicht, weil sie dich fürchteten und dich aus dem Wege schaffen wollten. Nein – ihr Zweck war mir sogleich völlig klar. Du warst als Köder gedacht, um den großen Hercule Poirot in die Falle zu locken. Ich hatte schon lange etwas Ähnliches erwartet. So traf ich denn meine kleinen Vorbereitungen, und programmmäßig traf ein Bote ein, ein ganz harmlos aussehender Straßenjunge. Ich war meiner Sache ziemlich sicher und machte mich sogleich mit ihm auf den Weg. Glücklicherweise erlaubten sie dir, auf den Treppenabsatz herauszukommen. Meine einzige Besorgnis bestand darin, dass ich unterwegs von ihnen überwältigt werden könnte, bevor ich den Ort erreichte, wo sie dich verborgen hielten, oder dass ich nach dir hätte suchen müssen und – dies vielleicht sogar vergeblich.»

«Von ihnen überwältigt zu werden, sagtest du?», fragte ich leise. «Und dazu vielleicht ganz allein auf dich gestellt.»

«Oh, das ist gar nicht so etwas Besonderes; wenn man auf ein Ereignis vorbereitet ist, ist alles ganz einfach – so sagen wenigstens die Pfadfinder, ist es nicht so? Ihr Motto: ‹Allzeit bereit›, ist sehr treffend. Auf jeden Fall war ich vorbereitet. Vor einiger Zeit habe ich einem Chemiker, der während des Krieges mit Giftgas zu tun hatte, einen kleinen Gefallen getan. Dafür stellte er für mich eine kleine Bombe her – klein und unauffällig zum Mitnehmen. Man braucht sie nur zu werfen, und augenblicklich entwickeln sich starke Gase, die zu Bewusstlosigkeit führen. Ich warf sie beim Betreten des Hauses, und gleich darauf erschienen einige von Japps zuverlässigen Leuten, die die Liegenschaft bereits unter Beobachtung hielten, bevor ich mit dem Jungen dort eintraf, dazu noch einige, die uns auf dem Weg gefolgt waren und sogleich das Notwendige veranlassten.»

«Aber wie kam es, dass du nicht gleichfalls bewusstlos wurdest?»

«Ein weiterer glücklicher Umstand. Unser gemeinsamer Freund, Nummer vier, der auch sicherlich jenen Brief an mich zusammengestellt hat, erlaubte sich einen kleinen Scherz bezüglich meines Schnurrbarts, der es mir ermöglichte, unter dem Schal eine kleine Gasmaske zu verbergen.»

«Ja, ich erinnere mich», rief ich eifrig, und dann kam mir bei der Erwähnung dieses Wortes mit einem Schlag all die große Sorge zum Bewusstsein, die durch die Ereignisse ganz in den Hintergrund gerückt war. Cinderella… Mit einem Stöhnen fiel ich zurück. Wiederum musste ich für einige Minuten das Bewusstsein verloren haben und kam erst wieder zu mir, als Poirot mir etwas Brandy einflößte.