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Mit linkischen Bewegungen betrat ein junger Mann den Raum. Er hatte ein rundes Gesicht und eigenartig hochgezogene Augenbrauen, die seinem Gesicht den Anschein ständigen Erstaunens verliehen. Er lachte verlegen, als er uns die Hand zur Begrüßung reichte. Offensichtlich handelte es sich um den Sohn des Hauses, von dem die Schwester uns schon erzählt hatte. Dr. Treves führte uns nun in das Esszimmer, verließ uns jedoch gleich wieder, wie ich annahm, um eine Flasche Wein zu holen. In diesem Moment verwandelte sich das Gesicht des jungen Mannes in ganz erstaunlicher Weise, er beugte sich vor und starrte Poirot an.

«Sie sind meines Vaters wegen gekommen», sagte er, mit dem Kopfe nickend. «Ich weiß genau, ich weiß sogar noch mehr – aber niemand vermutet es. Meine Mutter wird froh sein, wenn Vater tot ist und sie Dr. Treves heiraten kann. Sie ist auch nicht meine richtige Mutter, wie Sie wohl wissen, und ich kann sie gar nicht leiden. Sie hat den Wunsch, dass Vater stirbt.»

Es trat darauf eine unheimliche Stille ein, und bevor Poirot Zeit fand, darauf zu antworten, kam glücklicherweise der Arzt zurück. Die sich beim Essen entwickelnde Unterhaltung war sehr stockend und gezwungen. Ganz unvermutet lehnte sich Poirot in seinen Stuhl zurück und stöhnte heftig mit schmerzverzerrtem Gesicht.

«Allmächtiger Himmel, was ist denn los?», rief der Doktor aus.

«Es ist ein plötzlicher Krampf, wie ich ihn des Öfteren habe. Es besteht durchaus kein Grund zur Beunruhigung, Herr Doktor, wenn ich mich nur eine kurze Zeit in einem der oberen Räume niederlegen könnte.»

Seinem Ersuchen wurde natürlich sofort stattgegeben, und ich begleitete ihn nach oben, wo er auf ein Bett niedersank und heftig stöhnte. Zunächst war ich beunruhigt, doch dann wurde mir klar, dass Poirot, wie schon oft, Theater spielte und damit nur den Zweck verfolgte, unbeobachtet in die Nähe des Krankenzimmers zu kommen. Ich glaubte deshalb, dass er mir gleich eine diesbezügliche Erklärung geben würde, doch kaum waren wir allein, sprang er vom Bett auf.

«Schnell, Hastings, hinaus durch das Fenster, wir können an dem Efeu hinabklettern, ehe man Verdacht schöpft!»

«Am Efeu hinabklettern?», fragte ich ungläubig und ganz überrascht.

«Ja, frag nicht so lange, wir müssen auf dem schnellsten Wege das Haus verlassen. Hast du ihn denn nicht beim Essen beobachtet?»

«Wen, meinst du den Arzt?»

«Nein doch, ich meine den jungen Templeton! Hast du nicht gesehen, was er mit dem Brot machte? Du erinnerst dich doch noch daran, was Flossie Monro uns erzählte, bevor sie sterben musste? Über Claude Darrell und seine Eigenart, bei Tisch mit dem Brot zu spielen? Hastings, dies ist ein abgekartetes Spiel, und jener blöd aussehende junge Mann ist kein anderer als – unser Erzfeind Nummer vier. Deshalb schnell, ehe es zu spät ist.»

So versäumte ich denn keine Minute, und wie unglaublich und widersinnig mir auch die ganze Sache erscheinen mochte, so hielt ich es doch für klüger, Poirots Aufforderung Folge zu leisten.

So leise wie irgend möglich kletterten wir am Efeu hinab, stürmten dann zu dem Bahnhof des kleinen Ortes und konnten gerade noch den letzten Zug erreichen, der gegen dreiundzwanzig Uhr in London eintreffen sollte.

«Ein Komplott», sagte Poirot gedankenvoll, «ich möchte nur wissen, wie viele der dort Anwesenden darin verwickelt sind; beinahe neige ich zu der Annahme, dass es sich bei allen um Mitglieder der Bande handelt. Zu welchem Zweck wollten sie uns dorthin locken, welche Teufelei steckt da wieder dahinter? Beabsichtigen sie etwa, uns abzulenken und uns von einer anderen Begebenheit fern zu halten? Zu gern möchte ich ergründen, welchen Zweck die ganze Sache hatte.»

Als wir spät in der Nacht in unserer Wohnung anlangten, hielt er mich an der Wohnungstür zurück.

«Achtung, Hastings, ich ahne etwas, lass mich vorausgehen.»

Er ging mir voran ins Zimmer und nahm zu meiner Belustigung einen alten Gummischuh, um damit den elektrischen Lichtschalter zu betätigen. Dann schlich er mit katzenartigen Bewegungen durch den Raum, behutsam auf jede Veränderung achtend. Ich beobachtete ihn eine Zeit lang, gehorsam an der Wand stehen bleibend, wohin er mich gewiesen hatte.

«Es ist doch alles in Ordnung, Poirot», sagte ich bereits ungeduldig.

«Es kann schon sein, mon ami, aber ich muss mich erst noch gründlich davon überzeugen.»

«Welch ein Unsinn», bemerkte ich, «ich werde inzwischen Feuer machen und mir erst einmal eine Pfeife anzünden. Jetzt habe ich dich aber doch einmal erwischt, Poirot, du hattest zuletzt die Zündhölzer benutzt und hast sie nicht wieder dahin gelegt, wo ihr Platz ist.»

Ich streckte bereits meine Hand nach den Zündhölzern aus, hörte noch Poirots Warnungsruf – sah ihn auf mich zulaufen und ergriff die Zündholzschachtel.

Dann – ein blauer Feuerstrahl – ein ohrenbetäubender Krach und völlige Dunkelheit.

Als ich wieder zu mir kam, erblickte ich das vertraute Gesicht unseres Freundes Dr. Ridgeway über mich gebeugt. Ein Seufzer der Erleichterung entschlüpfte ihm.

«Verhalten Sie sich, bitte, ganz ruhig», sagte er besänftigend, «Sie haben einen schweren Unfall gehabt, wissen Sie.»

«Wo ist Poirot?», murmelte ich. «Was ist mit ihm geschehen?»

«Beruhigen Sie sich», erwiderte er, «Sie befinden sich in meiner Obhut, alles andere erzähle ich Ihnen später.»

Eine wahnsinnige Angst griff mir ans Herz, und sein Ausweichen auf meine direkte Frage beunruhigte mich in höchstem Grade.

«Wo ist Poirot?», fragte ich wiederum. «Was ist mit ihm geschehen?»

Er hatte wohl eingesehen, dass ich es doch einmal erfahren musste und jedes Ausweichen zwecklos war.

«Wie durch ein Wunder sind Sie davongekommen – Poirot leider nicht!»

Ein Aufschrei kam von meinen Lippen.

«Er ist doch nicht etwa tot? Das kann doch unmöglich sein!»

Ridgeway nickte nur mit dem Kopf, während sein Gesicht seine innere Erregung widerspiegelte.

Mit Anspannung aller Kräfte richtete ich mich auf.

«Poirot mag zwar tot sein», sagte ich mit schwacher Stimme, «aber sein Geist wird fortleben, und ich werde nicht eher ruhen, bis ich sein Ziel erreicht habe – nämlich die Großen Vier zur Strecke zu bringen.»

Dann verfiel ich wieder in tiefe Bewusstlosigkeit. 

16

 Sogar noch heute fällt es mir schwer, von den Ereignissen jener Märztage zu sprechen.

Poirot – der einmalige, der unübertreffliche Hercule Poirot war tot! Eine wahrhaft teuflische Eingebung, das mit der Zündholzschachteclass="underline" Derjenige, der die Höllenmaschine darin verborgen hatte, kannte den unüberwindlichen Ordnungssinn Poirots. Diese Tatsache und ferner der Umstand, dass eigentlich ich es gewesen war, der an allem schuld war, hörte niemals auf, mein Gewissen zu belasten. Wie Dr. Ridgeway betont hatte, war es tatsächlich ein Wunder, dass ich nicht getötet worden und mit nur unbedeutenden Verletzungen davongekommen war.

Obgleich mir schien, dass ich nur kurze Zeit bewusstlos gewesen sein konnte, so waren doch in Wirklichkeit vierundzwanzig Stunden vergangen, bis ich wieder zu mir kam. Erst am Abend des nächsten Tages war ich in der Lage, auf unsicheren Beinen in den angrenzenden Raum zu wanken und stand dort lange Zeit vor dem bereits geschlossenen schwarzen Sarg, der die sterblichen Überreste eines Mannes enthielt, wie ihn die Welt nur einmal hervorbringen konnte.

Vom ersten Moment an, in welchem ich wieder mein Bewusstsein erlangte, hatte ich nur einen Gedanken: Poirots Tod zu rächen und die Großen Vier erbarmungslos zur Strecke zu bringen.

Ich hatte im Stillen gehofft, dass Dr. Ridgeway mich unterstützen würde, doch zu meiner größten Überraschung schien der gute Doktor wenig Verständnis dafür zu haben.

«Fahren Sie nach Südamerika zurück», lautete sein Rat bei jeder sich bietenden Gelegenheit. «Warum wollen Sie sich mit einer so schweren und beinahe unlösbaren Aufgabe belasten?» Dabei überbot er sich selbst in seinen Überredungskünsten.