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Aber waren wir denn wirklich auf dem Wege nach Spa? Wir verließen die Hauptverkehrsstraße und schlängelten uns durch hügeligen Laubwald, bis wir einen kleinen Fahrweg erreichten, wo hoch am Hügel eine einsame weiße Villa sichtbar wurde.

Der Wagen hielt vor dem grünen Tor zur Villa. Die Tür öffnete sich, als ich ausstieg. Ein älterer Diener stand im Hauseingang und verbeugte sich.

«Monsieur le capitaine Hastings?», fragte er in französischer Sprache. «Monsieur le capitaine werden bereits erwartet. Wenn Sie mir bitte folgen wollen!»

Er führte mich durch die Empfangshalle hindurch und öffnete eine Tür im Hintergrund, indem er beiseite trat, um mich eintreten zu lassen. Ich war ganz geblendet, denn der Raum lag nach Westen zu und war erfüllt von einer grellen Nachmittagssonne. Nachdem ich mich an die Helle gewöhnt hatte, sah ich eine Gestalt, die mir mit ausgebreiteten Armen entgegenkam. Es war… oh, konnte es denn möglich sein… aber es konnte gar kein anderer sein!

«Poirot!», rief ich und machte vor Freude keinerlei Anstalten, mich aus seiner Umklammerung zu lösen.

«Natürlich, ja doch, ich bin es wirklich. Es ist doch nicht so einfach, Hercule Poirot um die Ecke zu bringen.»

«Aber, Poirot – erkläre mir doch, wie soll ich das alles verstehen?»

«Eine Kriegslist, mein Freund – nichts als eine Kriegslist. Alles ist jetzt bereit für unseren großen Coup.»

«Aber mich hättest du doch wenigstens in deine Pläne einweihen können.»

«Non, Hastings, das war nicht möglich. Nie, niemals, nicht in tausend Jahren wärest du fähig gewesen, deine Rolle beim Begräbnis zu spielen. So wie die Sache vor sich ging, so und nicht anders musste es sein. Ich durfte nichts riskieren, wenn ich die Großen Vier täuschen wollte.»

«Aber denkst du denn nicht daran, was ich habe durchmachen müssen?»

«Glaube nur nicht, dass ich das nicht voll erkannt habe. Teilweise führte ich diese Täuschung auch in deinem Interesse durch. Zwar war ich in diesem Kampfe bereit, mein Leben einzusetzen, aber auf die Dauer konnte ich es nicht verantworten, auch das deine zu riskieren. Gleich nach der Explosion in unserer Wohnung hatte ich einen brillanten Einfall, und der gute Ridgeway verhalf mir dazu, ihn zur Ausführung zu bringen. Ich war dem Anschlag zum Opfer gefallen, und du solltest nach Südamerika zurückkehren. Jedoch, mon ami, das war es ja gerade, wogegen du dich stets sträubtest. Endlich kam ich auf den Gedanken, nach meinem vermeintlichen Tode durch meinen Anwalt mit dir in Verbindung zu treten, und war gezwungen, dir ein furchtbar sentimentales Geschwätz vorzumachen, um dich zu bekehren. Aber – nun bist du ja Gott sei Dank hier bei mir – und das ist großartig. Jetzt machen wir es uns hier recht bequem, bis der Augenblick für den großen Coup gekommen ist – und damit die endgültige Vernichtung der Großen Vier.» 

17

 Von unserem idyllischen Zufluchtsort in den Ardennen aus beobachteten wir die Vorgänge in der großen Welt. Zeitungen waren reichlich vorhanden, und jeden Tag empfing Poirot einen umfangreichen Brief, der wahrscheinlich irgendwelche Berichte enthielt. Zwar bekam ich diese nie zu Gesicht, jedoch aus seinem Mienenspiel konnte ich meistens entnehmen, ob dessen Inhalt zufriedenstellend war oder nicht.

Unerschütterlich hielt er an dem Glauben fest, dass nur sein jetziger Plan Aussicht auf Erfolg habe.

«Es war wirklich ein unerträglicher Zustand, lieber Hastings», bemerkte er eines Tages, «ständig in Angst um dein Leben zu sein, ich war nervös wie eine Katze, die auf dem Sprung liegt, wie du immer zu sagen pflegst. Gottlob bin ich diese Sorge jetzt los. Selbst wenn man entdecken sollte, dass der Mann, welcher in Buenos Aires an Land geht, nicht Hauptmann Hastings ist – dabei bezweifle ich, dass dort Agenten der Großen Vier verfügbar sind, die dich persönlich kennen –, wird man annehmen, dass du ihren Anordnungen auf deine Art ausgewichen bist, und wohl auch nicht weiter nachforschen nach deinem Verbleib. Von der für sie wesentlichen Tatsache meines Todes sind sie auf jeden Fall fest überzeugt, und so werden sie nicht aufhören, ihre Pläne in die Tat umzusetzen.»

«Und was wird dann geschehen?», fragte ich neugierig.

«Dann, mon ami, kommt die sensationelle Wiederauferstehung von Hercule Poirot. Fünf Minuten vor zwölf Uhr erscheine ich dann wieder, werfe alle ihre bisherigen Pläne über den Haufen und erziele einen durchschlagenden Erfolg, wie nur ich ihn erreichen kann.»

Ich wusste, dass Poirots Selbstbewusstsein durchaus am Platz war und dass er sämtliche Eventualitäten in seine Rechnung einbezogen hatte. Obgleich ich bereits im Voraus wusste, dass meine Ratschläge zwecklos waren und Poirot niemals in seinem Vorhaben hindern konnten, wies ich ihn darauf hin, dass unsere Gegner uns bereits verschiedene Male mit der Durchführung ihrer Pläne überrascht hatten.

«Schau her, Hastings, ich erinnere mich an ein kleines Kartenkunststück, das du bestimmt selbst schon gesehen hast. Du nimmst die vier Buben und verteilst sie, einen oberhalb des Blattes, einen unterhalb, die beiden anderen beliebig dazwischen – dann mischst du wieder die Karten… und plötzlich sind alle Buben beieinander. Genau dasselbe mache ich. In meinem bisherigen Kampf hatte ich einmal den einen, ein andermal den anderen der Großen Vier zum Gegner. Aber erwische ich sie einmal zusammen, dann bringe ich sie zur Strecke, und zwar mit einem Schlage – wie die Buben bei dem Kartenkunststück.»

«Und wie willst du es anstellen, sie alle zusammen zu erwischen?», fragte ich.

«Indem ich dazu den geeigneten Moment abwarte und mich so lange auf die Lauer lege, bis sie zum Schlage ausholen.»

«Das kann aber unter Umständen noch ziemlich lange dauern», wandte ich ein.

«Er ist immer noch so ungeduldig, der gute Hastings! Aber so sehr lange wird es nicht mehr dauern, denn der Mann, welchen sie am meisten fürchteten – nämlich ich selbst –, steht ihnen nicht mehr im Wege. Im Höchstfalle rechne ich mit zwei bis drei Monaten.»

Seine Worte, er stände den Großen Vier nicht mehr im Wege, erinnerten mich an Mr Ingles und seinen tragischen Tod, dabei fiel mir ein, dass ich Poirot noch gar nicht von dem sterbenden Chinesen im St.-Giles-Hospital erzählt hatte.

Er hörte mit wachsender Aufmerksamkeit zu.

«Also war es wirklich ein Diener von Mr Ingles, und die wenigen verständlichen Worte waren in italienischer Sprache? Merkwürdig!»

«Ich war ständig im guten Glauben, die Großen Vier hätten auch hier wieder ihre Hände im Spiel.»

«Deine Erwägungen sind nicht richtig, lieber Hastings, strenge doch einmal deine kleinen grauen Zellen ein wenig an. Wenn deine Widersacher bestrebt waren, dir eine Falle zu stellen, so würden sie mit Sicherheit einen Chinesen gewählt haben, der sich im Pidgin-Englisch verständlich machen konnte. Aber mit dem, was dieser Chinese sagen wollte, muss es schon seine Richtigkeit haben. Erzähle deshalb noch mal, was du glaubst vernommen zu haben.»