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Seine Worte hatten mich sehr nachdenklich gestimmt. Obgleich Poirot in seinen Darstellungen gelegentlich zu Übertreibungen neigte, so war er niemals ein Bangemacher gewesen. Zum ersten Male war ich mir wirklich ernstlich bewusst, in welch verzweifeltem Kampf wir uns befanden.

Harvey gesellte sich bald wieder zu uns, und wir ließen unser Gesprächsthema fallen.

Etwa um die Mittagszeit erreichten wir Bozen und setzten von dort die Fahrt im Autobus fort.

Mehrere große Straßenkreuzer standen auf dem Parkplatz im Zentrum der Stadt, einer davon war für uns bestimmt. Poirot, ungeachtet der Hitze des Tages, hatte sich mit einem grauen Reisemantel und Wollschal fast ganz unsichtbar gemacht, seine Augen und Ohrenspitzen waren alles, was von ihm sichtbar blieb. Ich war im Zweifel, ob diese Vermummung nur auf das Konto seiner übertriebenen Furcht vor Erkältungen zu setzen war. Die Wagenfahrt dauerte einige Stunden und war wirklich wundervoll. Zuerst führte uns der Weg an riesenhaften Felsgebilden und einem brausenden Wasserfall vorbei. Dann durchfuhren wir ein fruchtbares Tal, welches sich einige Meilen erstreckte, und weiter ging es in vielen Kurven aufwärts, bis die kahlen, felsigen Bergspitzen sich aus dicht bewachsenen Tannenwäldern erhoben. Die ganze Landschaft war wildromantisch. Schließlich erreichten wir nach einer Reihe von Haarnadelkurven eine gerade Straße, beiderseits von Tannenwald gesäumt, und hielten vor einem großen Hotel. Wir befanden uns am Ziel unserer Reise.

Die Zimmer für uns waren reserviert, und unter Harveys Führung nahmen wir Besitz von unserem neuen Quartier. Hier bot sich uns ein freier Ausblick auf die Felsspitzen und die steilen, mit Tannen bewachsenen Abhänge. Poirot wies mit einer Handbewegung auf sie hin.

«Ist es dort?», fragte er mit leiser Stimme.

«Ja», antwortete Harvey, «das ist der Ort, der als Felsenlabyrinth bezeichnet wird – er ist umgeben von gigantischem Felsgeröll, das einen ganz fantastischen Eindruck macht, nur ein schmaler Pfad windet sich hindurch. Der Steinbruch befindet sich rechts davon, und wir nehmen an, dass sich der Eingang im Felsenlabyrinth selbst befindet.»

Poirot nickte zustimmend.

«Komm, mon ami», sagte er zu mir, «lass uns hinuntergehen und uns auf der Terrasse an der schönen Sonne wärmen.»

«Hältst du das nicht für etwas gewagt?», fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern.

Die Sonnenbestrahlung war überwältigend, beinahe schon zu stark für mich. Wir tranken anstatt Tee etwas Kaffee mit Sahne und zogen uns dann wieder auf unsere Zimmer zurück, um die Koffer auszupacken. Poirot befand sich wieder in seiner fast unnahbaren Verfassung und war ganz in Gedanken versunken. Einige Male schüttelte er stumm den Kopf und seufzte. Ich selbst fühlte mich ziemlich beunruhigt durch einen Mann, der in Bozen aus dem gleichen Zuge ausgestiegen und von einem Privatwagen abgeholt worden war. Es war ein kleiner Mann; er erregte meine Aufmerksamkeit dadurch, dass er sich in der gleichen Weise wie Poirot eingehüllt hatte. Außer Reisemantel und Halstuch trug er noch eine unförmige blaue Brille. Ich war beinahe überzeugt davon, dass wir in der Person dieses Mannes einen Agenten der Großen Vier vor uns hatten. Poirot schien zuerst keinen allzu großen Wert auf meine Wahrnehmungen zu legen, doch als ich mich aus dem Schlafzimmerfenster hinauslehnte und ihm mitteilte, dass der Betreffende sich in der Umgebung des Hotels zu schaffen machte, gab er zu, dass doch etwas Wahres daran sein mochte. Ich bat meinen Freund dringend, nicht am gemeinsamen Essen teilzunehmen, doch ließ er meine Einwände nicht gelten. Ziemlich spät betraten wir am Abend den Speisesaal und wurden zu einem Tisch in der Nähe des Fensters geleitet. Als wir uns gerade niederließen, wurde unsere Aufmerksamkeit auf einen erschreckten Ausruf und den Lärm herunterfallenden Porzellans gelenkt. Eine Schüssel voll Hammelfleischragout nebst Gemüse hatte sich über einen Herrn ergossen, der am Nebentisch saß. Der Oberkellner eilte sofort herbei und erging sich in einer Flut von Entschuldigungen.

Als der Kellner anschließend uns bediente, kam Poirot auf den Vorfall zu sprechen.

«Das war ein für Sie peinlicher Zwischenfall, aber Sie waren dafür nicht verantwortlich zu machen.»

«Haben Monsieur das gesehen? Nein, das war wirklich nicht meine Schuld, der Herr sprang plötzlich halb von seinem Sitz auf, zuerst war ich der Annahme, er wolle sich auf jemand stürzen. Ich konnte dies unmöglich voraussehen.»

Poirots Augen begannen grün zu leuchten, ein Anzeichen, das ich so gut an ihm kannte, und als der Kellner sich entfernt hatte, sagte er mit leiser Stimme zu mir:

«Siehst du, Hastings, das ist die Auswirkung von Hercule Poirots Wiederauferstehung.»

«Glaubst du etwa…?»

Ich hatte keine Zeit mehr, meine Worte zu beenden, denn Poirots Hand berührte mein Knie, und er flüsterte mir erregt zu: «Sieh nur, Hastings, sieh seine Manier, mit dem Brot zu hantieren. Das ist unsere Nummer vier!»

Wahrhaftig, der Mann am Nebentisch war auffallend bleich und tupfte mit einem Stückchen Brot mechanisch auf dem Tischtuch herum. Ich beobachtete ihn eingehend, sein Gesicht, glatt rasiert und aufgedunsen, war von einer teigigen, krankhaft gelblichen Farbe – dicke Säcke lagen unter den Augen, und tiefe Falten, Spuren eines ausschweifenden Lebenswandels, zogen sich von der Nase bis zum Mund. Sein Alter schätzte ich auf vierzig bis fünfzig Jahre. In keiner Weise war er mit einer der Gestalten vergleichbar, die er bisher als Nummer vier gespielt hatte. Wenn es nicht die Angewohnheit, mit dem Brot zu spielen, gewesen wäre – deren er sich gar nicht bewusst war –, hätte ich schwören mögen, dass ich den am Nebentisch sitzenden Mann noch nie gesehen hatte.

«Er muss dich erkannt haben», flüsterte ich, «du hättest dich nicht so öffentlich zeigen sollen.»

«Mein lieber Hastings, einzig und allein zu diesem Zwecke habe ich während der Dauer von drei Monaten meinen Tod vortäuschen müssen!»

«Etwa zu dem Zwecke, unsere Nummer vier in Angst und Schrecken zu versetzen?»

«Nein, sondern um ihn gerade zu diesem Zeitpunkt zu zwingen, voreilig zu handeln und Fehler zu machen. Weiterhin haben wir den großen Vorteil… er weiß nicht, dass er erkannt wurde, und wiegt sich bei diesem Gefühl in Sicherheit. Wie dankbar bin ich Flossie Monro, dass sie uns über diese seine sonderbare Eigenart Mitteilung machte.»

«Was wird jetzt geschehen?», fragte ich.

«Was kann schon passieren? Er erkennt den einzigen Mann, den er fürchtet und der wie durch ein Wunder von den Toten auferstanden ist, und zwar in dem Augenblick, wo die Endpläne der Großen Vier zur Ausführung kommen sollen. Madame Olivier und Abe Ryland haben heute hier ebenfalls gespeist und sind vermutlich nach Cortina gefahren. Nur wir allein haben davon Kenntnis, dass sie hier ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben. Die Frage, die sich Nummer vier in diesem Moment stellt, ist – wie viel uns nun wirklich von den Plänen bekannt ist. Dabei weiß er, dass er kein Risiko eingehen darf. Ich muss beseitigt werden, koste es, was es wolle. Eh bien, er soll getrost den Versuch unternehmen, mich aus dem Wege zu schaffen. Ich werde mich zu wehren wissen!»